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VfB-Trainer Christian Gross appelliert vor dem Heimspiel gegen Hannover an die Profi-Ehre.

Barcelona - Keiner der Roten fand nach der Lehrstunde in Barcelona erholsame Ruhe. Vor allem Trainer Christian Gross grübelte lange: Wie konnte das geschehen? Und wie geht es jetzt mit dem VfB weiter? Nun, da praktisch keine ambitionierten Ziele in dieser Saison mehr zu erreichen sind.

Verlieren tut weh. Deklassiert zu werden, ist für ehrgeizige Sportler die Höchststrafe. In solchen Momenten brennt der Schmerz noch mehr. Jens Lehmann machte es sogar wütend. Aber bevor ihm etwas Unbedachtes über die Lippen rutschte, stopfte er sich ein Stück Banane in den Mund, setzte seine Kopfhörer auf und verkroch sich im Mannschaftsbus. Dort litt er, haderte und ließ Blicke sprechen. Cacau kennt dieses Spiel des Keepers: "Er zeigt uns so, dass er mehr von uns erwartet hat."

Stille Vorwürfe an ein Team, dem in dieser Nacht im Camp Nou gar nichts gelungen war. Null Torschüsse lautete die trostlose Bilanz gegen den FC Barcelona. Ausgerechnet in jener Nacht, die mit einem Wunder enden sollte. Gut möglich, dass dieser Druck und die gewaltige Kulisse (88.543 Zuschauer) die Roten lähmte. Möglich auch, dass Trainer Christian Gross zu viel riskierte. Er setzte bewusst Reize durch (zu?) hartes Training. Zwei Tage vor dem Spiel nahm er die Profis über zwei Stunden ran. Auch das Abschlusstraining war kein lockeres Schaulaufen. Diese Form des Übertrainings ist ein bewährtes Mittel vor großen Wettkämpfen. Aber es kann auch mächtig in die Hosen gehen. Jedenfalls standen gegen den FC Barcelona elf müde Krieger auf dem Platz.

Von wegen selbstloser Einsatz. Keinen einzigen Punkt aus dem Anforderungskatalog des Trainers setzte das Team um: Kompakt stehen. Cool bleiben. Clever spielen. Ballbesitz haben, um Barça wie im Hinspiel (1:1) "leiden zu lassen" (Sergio Busquets). Nichts von alledem. Bis zum 0:2 (22.) hatte der FC Barcelona fast 70 Prozent Ballbesitz. Und der VfB schaute andächtig zu. "Wir konnten Barça und Messi in den entscheidenden Momenten durch die Mitte nicht stoppen, obwohl wir da in Zdravko Kuzmanovic und Sami Khedira zwei stehen hatten", sagte Gross nach dem 0:4. Von seinen zwei Sechsern hatte er viel mehr erwartet. Wie auch von den Flügelspielern Alexander Hleb, Christian Träsch und Timo Gebhart. "Wir konnten uns nicht über die Außen durchsetzen, hatten kein zwingendes Angriffsspiel", seufzte der Schweizer, "Barcelona war kollektiv und individuell besser."

Wer Gross so in seiner Enttäuschung reden hörte, der ahnte, was dem VfB nun droht: der totale Spannungsverlust. Das große, wenn auch wenig realistische Ziel Viertelfinale hat der Club verpasst. Und in der Liga ist auch nicht mehr viel zu holen. In den verbleibenden acht Spielen ist der Rückstand zu den Europapokal-Startplätzen kaum noch wettzumachen. Die Gefahr ist groß, dass die Saison nur noch dahinplätschert. Zumal die Akkus nach der kräftezehrenden Aufholjagd unter Gross leer sind.

Droht nun der Einbruch? "Das darf nicht sein", erklärte Gross vehement, "wir müssen Stolz zeigen." Die kommenden Tage und Wochen im Liga-Finale, aber auch schon das Heimspiel am Samstag gegen Hannover 96 werden laut Gross zum Charaktertest: "Da werden wir extrem gefordert sein. Ich werde an die Ehre appellieren."

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