Real Madrid zieht verbal alle Register, um am Dienstagabend das Aus gegen den VfL Wolfsburg in der Champions League abzuwenden. Das Rückspiel gewann der VfL 2:0.
Madrid - Von den Deutschland-Kennern Dani Carvajal („Das wird Krieg“) und Toni Kroos („Brauchen totale Unterstützung“) über Trainer Zinédine Zidane („Wenn es schwierig wird, geschehen große Dinge“) bis zur Clublegende im Funktionärsstatus, Emilio Butragueño („An solchen Abenden hat Real Madrid seine Geschichte geschrieben“) – es war schon reichlich beschwört worden, als auch noch Cristiano Ronaldo in die Bütt stieg. Diesmal nicht halb nackt, Oliver Kahn („Ronaldos Oberkörper sehe ich in letzter Zeit öfters als den meiner Frau“) sei beruhigt. Nein, der dreimalige Weltfußballer posierte staatsmännisch vor Reals Trophäenvitrine, als er im Club-TV zu seinem Appell anhob. Ihr Fans kommet, denn: „Es wird eine perfekte Nacht. Eine magische Nacht.“
Bei Real Madrid mag ansonsten in dieser Saison alles drunter und drüber gehen – die Kampagnenfähigkeit des Rekordeuropapokalsiegers bleibt beeindruckend. Direkt nach Abpfiff der 0:2-Hinspielniederlage in Wolfsburg soll Präsident Florentino Pérez in der Umkleidekabine die Losung ausgegeben haben: „Das reparieren wir zu Hause.“ Seither wurde die Botschaft durch die offiziellen und inoffiziellen Partnermedien mit derartiger Penetranz in die Welt getragen, dass man darüber leicht die Fakten vergessen könnte. Die lauten nach wie vor: Seit 14 Jahren und acht Versuchen hat Real im Europapokal kein verlorenes Hinspiel mehr umgebogen – damals gab es nach einem 1:2 bei den Bayern ein 2:0. Gar seit 23 Jahren hat es kein 0:2 mehr aufgeholt.
Ein Aus gegen Wolfsburg wäre eine historische Blamage für Real
Hunde, die bellen, beißen nicht: Wenn die Deutschen sich von dem ganzen Lärm nicht verrückt machen ließen, hätten sie schon einiges gewonnen. Die endlosen Kampfansagen sind ja nicht zuletzt als Stoßgebete eines taumelnden Clubs ohne Sicherheitsnetz zu verstehen. Ein Ausscheiden gegen den Bundesliga-Achten, den niemand in Spanien ernst nahm, würde am Königshof als Blamage von historischem Ausmaß gelten und ein epochales Scherbengericht zur Folge haben. Für die Stars der Mannschaft, für Trainer Zidane, auch für den Präsidenten Pérez.
„Real Madrid ist nie darauf vorbereitet, nicht weiter zu kommen“, beantwortete Zidane am Montag die Frage nach möglichen Konsequenzen. „Das verbietet seine große Geschichte.“ Ansonsten distanzierte er sich weitestgehend von Mythen und Mystik, von dem Gerede um die Aufholjagden aus den 1970er und 1980er Jahren, als allein die „szenische Angst“ (Jorge Valdano) im Estadio Santiago Bernabéu jedem Gast die Knie schlottern zu lassen schien. „Das Spiel ist ziemlich heiß geredet worden, aber was wir brauchen, ist ein kühler Kopf“, sagte Zidane, oder: „Kampf, ja, alles schön und gut. Aber es gilt, den besseren Fußball zu spielen. Das ist das Wichtigste.“
Madrid tut sich schwer, das Spiel zu kontrollieren
An markigen Sprüchen, triumphalen Empfängen für den Spielerbus und beseelten Anfeuerungen hat es ja auch in den vergangenen Jahren nie gefehlt. Dass die jüngeren Statistiken die Madrilenen dennoch als unbrauchbar für Aufholjagden ausweisen, liegt tatsächlich am Fußball. VfL-Profis wie Dante, Naldo oder Julian Draxler wissen aus Auftritten im Bernabéu, wie schwer sich Real damit tut, eine Partie über die volle Spielzeit zu kontrollieren. Selbst dem AS Rom wurden im Achtelfinale trotz eines 2:0-Vorsprungs aus dem Hinspiel etliche Chancen konzediert. Nur die mangelnde Effizienz der Italiener verhinderte, dass es noch einmal knapp wurde.
Vom Naturell her eine Kontermannschaft, haben die Madrilenen notorisch Probleme mit der Spielgestaltung gegen kompakte Gegner – zu sehen auch in Wolfsburg, als sie nach dem Rückstand weitgehend wirkungslos zwischen Mittelfeld und Strafraum kombinierten. Aus dem Positionsspiel ist Real nicht ansatzweise so gefährlich, wie wenn es freie Räume attackieren kann. Um diese zu finden, neigt es dazu, das Spielfeld in die Länge zu ziehen, was oft Lücken zwischen die Mannschaftsteile reißt und Gegner mit schnellem Umschaltspiel (wie Wolfsburg) zu Konterchancen verhilft.
Die „Eier“ allein, wie sie der offizielle „Anfeuerungsblock“ am Samstag während des Heimspiels gegen Eibar in der Endlosschleife einforderte, werden nicht reichen. Auch wenn sie etwa in der Anfangsphase sicher angerührt werden dürften, wenn Real regelrecht über seine Gegner herzufallen pflegt. Eibar war schon nach 20 Minuten mit 3:0 verspeist. Der 4:0-Endstand wahrte den Schnitt von vier Toren pro Heimspiel in der Ära Zidane. Allerdings taugen diese Ligabegegnungen kaum als Blaupause für das Wolfsburg-Spiel. Die hohen Ergebnisse kamen in der Regel dadurch zustande, dass die Gegner nach ihrem Rückstand den Defensivverbund und bald auch den gesamten Widerstand lockerten. Beides wird der VfL dank seines Hinspiel-Vorsprungs nicht tun müssen. Er wird seine Chance bekommen. Die Geschichte spricht für ihn.