Sie könnte schwierig sein. Launisch. Herablassend. Ist sie aber nicht. Cecilia Bartoli ist freundlich und erdverbunden. Dennoch ist, wenn sie redet, um sie herum alles Bühne. Auch in Salzburg, wo sie über ihre große Liebe spricht: den Barock-Komponisten Agostino Steffani.
Sie könnte schwierig sein. Launisch. Herablassend. Ist sie aber nicht. Cecilia Bartoli ist freundlich und erdverbunden. Dennoch ist, wenn sie redet, um sie herum alles Bühne. Auch in Salzburg, wo sie über ihre große Liebe spricht: den Barock-Komponisten Agostino Steffani.
Salzburg - Am Ende erhebt sich die Diva vom weißen Sofa und beginnt laut zu schimpfen. Auf die italienische Regierung, auf Berlusconi, auf die Mafiosi überall im Stiefelstaat, der ihre Heimat ist. Dann sprühen Cecilia Bartolis Augen ganz ähnlich wie im Konzert, wenn sie die schnellen Tonperlenketten barocker Arien mit ausgefeilter Technik aus ihrer Kehle herausschleudert, und dann spürt man, dass die 47-Jährige hier wie dort voller Emotionen steckt. Die müssen raus.
Manchmal entdeckt man die Gefühle allerdings erst auf den zweiten Blick. Manchmal braucht man erst einmal Zeit für das Staunen über die Perfektion, mit der die derzeit wohl erfolgreichste Sängerin der Klassik-Szene selbst hochvirtuose Musik in rasanten Geschwindigkeiten darbietet. Und manchmal braucht man außerdem Zeit, um Cecilia Bartoli auf jenen Trampelpfaden des Repertoires zu folgen, auf denen sie sich am liebsten bewegt – weit weg von den Einfallstraßen des Bekannten.
Schließlich finden sich dort oft Künstler und Kunstwerke, die ihre Reize nicht nach außen tragen und die behutsam erobert werden wollen. Zum Beispiel von einer Mezzosopranistin, die, eine dicke Brille auf der blassen Nase, monatelang in einer staubigen Bibliothek mit klammen Fingern alte Notenbände durchblättert. Ein hübsches, lustiges Bild – auch wenn es sicherlich so nicht zutrifft. Cecilia Bartoli ist als Alte-Musik-Entdeckerin so etwas wie die Luxusversion eines Trüffelschweins. Wenn sie und ihre Mitarbeiter nichts Unbekanntes finden, tut es auch mal ein ungewohnter Zugang: Vincenzo Bellinis „Norma“, sängerisch neu gesehen aus der Perspektive der Klassik und gespielt mit historischen Instrumenten, ist Neuland für die Ohren, die CD-Aufnahme ist eine echte Sensation.
Geistliche Barockmusik mit Groove
Agostino Steffani ist ein Komponist des Frühbarock, der, wie Cecilia Bartoli bemerkt, „mit einem Bein noch in der Renaissance steht“ – und der sich stilistisch als echter Europäer gibt. Hier ein Tänzchen im französischen, dort eine Melodielinie im italienischen Stil, hier ein Purcell-Nachklang, dort ein typischer Händel-Ton. Steffani ist ein Komponist aus einer jener Übergangszeiten, für die „La Ceci“ seit jeher eine Leidenschaft hat. „Menschen zwischen zwei Epochen sind deshalb besonders interessant“, sagt sie, „weil sie etwas riskieren.“
Das tut Steffani allerdings: Statt, wie sonst üblich, mit einem Chor, beginnt das „Stabat mater“ mit einem Sopransolo über das Leiden Marias unter dem Kreuz, später unterbricht der Chor immer wieder die Solisten, die Form wird brüchig, und harmonisch wie strukturell geht das Stück oft weit über die Grenzen des damals Üblichen hinaus. „Diese Musik“, sagt die Sängerin, „ist etwas zwischen Geist und Seele.“ Dass Steffanis Musik auch abheben, ja: schweben kann, ist auf der neuen CD ebenfalls zu erleben: Wenn die Mezzosopranistin in der Kantate „Non plus me ligate“ zwischen Zweier- und Dreierrhythmus wechselt, dann ist das geistliche Barockmusik mit Groove. Dass man hörend zuweilen den Boden unter den Füßen zu verlieren meint, hat allerdings nicht nur mit der Zeitgestaltung in der Musik, sondern auch mit dem Zustand der Schwerelosigkeit zu tun, in den die Sängerin Steffanis lange Koloraturen versetzt. „Für diese Musik“, erklärt Cecilia Bartoli selbst, „braucht man eine sehr elastische Stimme, denn man muss nicht nur lange Phrasen schön und beweglich gestalten, sondern gleichzeitig auch die vielen Verzierungen präzise ausformulieren.“ Auch gebe es etliche Passagen, in denen die Stimme parallel zu Trompete oder Orgel geführt werde – und „dafür braucht man die Technik eines Instrumentalisten“.
Aus dem Stand singt sie gebrochene Akkorde
Die hat Cecilia Bartoli allerdings. Und beim Interview im schönen Wintergarten des Salzburger Hotels Sacher serviert sie – „Moment, ich gebe Ihnen ein Beispiel“ – auch gleich eine Demo-Version der Fallstricke, die Agostino Steffani in seiner Musik auswirft. Aus dem Stand singt sie gebrochene Akkorde, die wiederholt, aber dabei mit lauter kleinen Varianten angereichert werden: fast eine barocke Minimal-Music und dabei sackschwer. „Steffani“, sagt die Sängerin, „hat mich gelehrt, nichts für selbstverständlich zu nehmen.“ Das ist auch ein Understatement.
Ob sie, die das Unbekannte und Unerwartete so liebt, sich nicht mehr mit zeitgenössischer Musik beschäftigen wolle? Ach nein, wehrt die Mezzosopranistin ab, in der neuen Musik empfinde sie es einfach als allzu frustrierend, dass „die Melodie immer springt, oft über viele Noten hinweg – dann entsteht kein Bogen“. Sagt die Italienerin und ärgert sich laut über „zeitgenössische Komponisten, die viel zu viel Angst haben, als altmodisch zu gelten, wenn sie tonale Musik schreiben“.
Dann – man hätte es ahnen können – entgleitet das Gespräch. Kurz nicht aufgepasst, schon übernimmt Cecilia Bartoli die Regie und spricht über: Gioachino Rossini. Und erzählt, dass dieser zweimal in seinem Leben geweint haben soll: das erste Mal, als er den Teufelsgeiger Paganini („Nein, nicht David Garrett!“) spielen hörte, und das zweite Mal, als bei einem Picknick ein kunstvoll gefüllter Truthahn aus Versehen in den Fluss fiel. Rossinis „Otello“ will die Sängerin als Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele 2014 auf ihr Festivalprogramm setzen. „weil alle nur die komischen Opern Rossinis kennen“.
„Auf der Insel, die ich mir aussuchen würde, gäbe es keinen Strom.“
Ob „La Ceci“ vielleicht beantworten kann, warum ihr Landsmann so früh mit dem Komponieren aufhörte? Die Diva schweigt. Ein Seufzer, bühnenreif. „Ich denke, Rossinis Seele war der Klassik und dem Barock nahe, nicht aber seiner eigenen Zeit. Außerdem ist diese Art aufzuhören vielleicht die beste Art, sich unsterblich zu machen, ohne deshalb gleich sterben zu müssen.“
Nun solle, mahnt der begleitende Herr von der großen Plattenfirma, aber wirklich Schluss sein mit dem Interview. Genug geredet. Er bleibt ziemlich unbeachtet. „Gefühle“, sagt die Sängerin, „sind Nahrung für unsere Seele. Wir brauchen sie, um zu überleben. Wir müssen unsere Seele bereichern, und Musik hilft dabei.“
Das wäre eigentlich ein schöner Schlusspunkt, aber die Journalistin muss noch eine Frage loswerden. Wenn Cecilia Bartoli auf eine einsame Insel nur eine einzige CD mitnehmen könne, welche das dann wohl wäre? Da lacht sie aber, die Diva auf dem Diwan: „Auf der Insel, die ich mir aussuchen würde, gäbe es keinen Strom.“ Sagt’s, springt auf und schimpft. Auf Berlusconi, auf diese ganzen Mafiosi in der Politik. Das ist ernst gemeint, gleichzeitig aber auch Theater, und wäre der Mann von der Plattenfirma nicht gewesen, hätten Interviewerin und Interviewte am Ende womöglich noch die als Tournedos Rossini bekannt gewordenen Filetsteaks bestellt, dazu einen guten Brunello – und dabei komplett vergessen, dass nicht alles in der Welt nur schöne Kunst ist.