Thomas Strobl wirbt für die grün-schwarze Koalition. Steht er am Ende alleine da? Foto: dpa

Thomas Strobl gilt als Vollblutpolitiker. Seit gut 20 Jahren ist er im parlamentarischen Geschäft. Nun aber, da er ein zentraler Bestandteil von Grün-Schwarz sein soll, ist er mal Mensch.

Stuttgart - Wenn Thomas Strobl mal nicht Politik macht, wenn der CDU-Landeschef und Vize-Vorsitzende mal nicht zwischen Berlin und Stuttgart jettet, sondern einfach abschalten will, taucht er ab. Im wahrsten Sinn des Wortes. Tauchen, das ist die große Leidenschaft des 56-Jährigen. Am Mittwochmittag ist Strobl auch abgetaucht. Nicht im Neckar. Einfach weg. Heim nach Heilbronn. Keinen aus dem politischen Betrieb sehen, nicht vor Mikrofone oder Kameras treten müssen, nur mal Privatmann sein. Strobl will nachdenken – und eine möglicherweise bahnbrechende Entscheidung treffen. Wird er am Donnerstag die CDU-Seite in die grün-schwarze Landesregierung führen, wenn das Kabinett im Landtag vereidigt wird? Oder wirft er zuvor das Handtuch, weil er fürchten muss, dass die 42-köpfige CDU-Fraktion bei der Wahl von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nicht mit Ja stimmt?

„Das kann der Thomas doch nicht machen“, sagt ein CDU-Mann, als sich das mögliche Horrorszenario am Mittwoch wie ein Lauffeuer im Landtag herumspricht. „Wir müssen ihn davon abhalten“, ergänzt ein anderer. Hintergrund für die Aufregung: Tags zuvor hatte die CDU-Landtagsfraktion bei einer Probeabstimmung ihrem Parteichef quasi zu einem Drittel die Gefolgschaft bei der Kretschmann-Wahl versagt. Unter den Nein-Stimmen, das ist inzwischen verbrieft, sind viele, die sich ein Amt als Minister oder Staatssekretär in der neuen Landesregierung ausgemalt hatten, dann aber nicht berücksichtigt wurden. „Da haben einige eiskalt ihr Mütchen gekühlt“, umschreibt einer den Rachefeldzug. Opfer Strobl.

Klare Kante gegen Strobl

Einer der wenigen, der das bestätigt, ist Claus Paal. Der Abgeordnete aus Schorndorf war tagelang als heißer Kandidat für das Wirtschaftsministerium gehandelt worden. Am Ende ging er leer aus. Wie Polizeiexperte Thomas Blenke, wie Bildungsfachmann Georg Wacker, wie Sozialfachfrau Sabine Kurtz, wie Verkehrsexpertin Nicole Razavi, und, und, und. Und Paal macht keinen Hehl daraus, dass der Stachel tief sitzt. „Das war gestern klare Kante gegen Strobl.“ Die Art und Weise, wie der Parteichef und designierte stellvertretende Ministerpräsident Strobl der Fraktion die Kabinettsliste vorgelegt habe und ein Mitspracherecht praktisch nicht mehr möglich war, sei nicht akzeptabel. „Das kann nicht der Stil von morgen werden. Da muss sich was verbessern.“ Die Fraktion habe ein Selbstbewusstsein, das lasse man sich auch nicht nehmen. Paal räumt ein, dass das Vorkommnis vom Vortag „kein schönes Bild der CDU nach außen“ abgebe. „Aber manchmal tut ein reinigendes Gewitter ja gut.“

Nun ist es ein altes Geheimnis von Kabinettsbildungen, dass die Personalien meistens kurz vor 12 Uhr entschieden werden, wenn sie um 12 Uhr verkündet werden sollen. Das haben schon frühere Ministerpräsidenten so gemacht. Das Motiv war stets identisch: Bloß nichts zu früh durchsickern lassen, es könnte sonst zu massiven Problemen kommen. Meistens ging es irgendwie gut. Einmal ging es aber auch schief. Als Regierungschef Erwin Teufel im Jahr 1996 frühzeitig sein Personaltableau komplett hatte und es Posten für Posten bekannt wurde, erhielt er im Landtag die Quittung. Teufel bekam im ersten Wahlgang nicht die erforderlichen Stimmen, die Abgeordneten musten ein zweites Mal an die Urnen. Fortan machte das Schlagwort vom „Ministerpräsidenten zweiter Wahl“ die Runde.

Strobl enttäuscht

Genau das aber will und wollte Strobl verhindern. Seit Wochen betont er, wie gut sein Verhältnis zu Winfried Kretschmann ist. Die beiden haben hart verhandelt, um den Koalitionsvertrag zurechtzuzimmern. Dass es am Ende bei den Parteitagen von CDU und Grünen am vergangenen Wochenende zwar etliche kritische Wortmeldungen gab, letztendlich aber die Basis zu über 90 Prozent dem Papier zustimmte, hatte den Eindruck erweckt, das Bündnis sei auf gutem Weg.

Von wegen. „Die Abgeordneten, die am Dienstag bei der Probeabstimmung nein gesagt haben, haben alles kaputt gemacht“, beklagt einer aus dem CDU-Präsidium, „die haben nur an sich gedacht, aber nicht an die Außenwirkung“. Schon nach der verlorenen Landtagswahl 2011 hatte Strobl versucht, die Partei wieder zu einen, hatte geglaubt, ihr neuen Mut einhauchen zu können. Umso größer war seine Enttäuschung, dann den internen Wettkampf um die Spitzenkandidatur gegen Guido Wolf zur Landtagswahl verloren zu haben. Strobl machte gute Miene zum bösen Spiel, kämpfte mit und für Wolf, Freunde wurden die beiden freilich nie.

Mit allen politischen Wassern gewaschen

Aber einer wie Strobl, der mit allen politischen Wassern gewaschen ist, der durch seine Funktionen im Stadtrat von Heilbronn genauso wie als Landesgruppenchef im Bundestag, als Vize-Chef der Bundespartei und als CDU-Landesboss ein Kontaktverzeichnis haben dürfte, das dem Telefonbuch einer Kleinstadt gleicht, gab nicht auf. Aus allen Himmelsrichtungen in Deutschland wurde er nach dem Absturz der Partei bei der Landtagswahl auf 27 Prozent bedrängt, zuvorderst von Kanzlerin Angela Merkel, die dahin siechende Landes-CDU jetzt bitte bloß nicht im Stich zu lassen.

Ein paar Tage hielt sich Strobl zurück und hoffte auf ein wenig Demut des gescheiterten Spitzenkandidaten Guido Wolf. Als das ausblieb, ergriff Strobl die Initiative: „Ich musste das Ding in die Hand nehmen“, sagte er mal im kleinen Kreis. Also führte er auf CDU-Seite die Koalitionsverhandlungen, pflegte einen harten, aber freundlichen Umgangsstil mit seinem Gegenüber Kretschmann, wiederholte immer und immer wieder, da würden „zwei gleich starke Partner am Tisch sitzen“, den Begriff Juniorpartner könne man also getrost vergessen. Dass sich die beiden dabei im Tragen von grün-schwarz-gefärbten Krawatten überboten, mag nur eine Fußnote sein, aber es zeigte: Da haben sich zwei getroffen, die vorher aneinander vorbei gelaufen waren.

Acht Nein-Stimmen

Und nun das. Probeabstimmung in der Landtagsfraktion, erst kritische Nachfragen zur Kabinettsliste, dann das verheerende Ergebnis von acht Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen, in einem zweiten Durchgang immer noch drei Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen. Strobl traute seinen Augen und Ohren nicht, verließ verärgert die Sitzung. Kein Zweifel: Er muss den Abstimmungstest als eine persönliche Demütigung, vielleicht auch als Undankbarkeit, mit Sicherheit als Ungerechtigkeit empfinden.

Und so lässt er am Mittwoch im Landtag auch alle Anfragen nach einer Stellungnahme wie Wassertropfen an sich abperlen. Ein guter Freund sagt: „Wie soll der Thomas als Regierungsmitglied einer Fraktion vertrauen, wenn sie ihm schon jetzt so in den Rücken fällt.“ Strobls Lächeln ist einem traurigem Blick gewichen. Nahezu im Minutentakt reden führende Abgeordnete auf ihn ein, jetzt bloß nicht zu resignieren. Dem Vernehmen nach gibt es nicht nur einen regen telefonischen Kontakt in die Parteizentrale nach Berlin, auch Ministerpräsident Kretschmann sucht mit Strobl mehrfach das Gespräch. Der neue CDU-Landtagsfaktionschef Wolfgang Reinhart zieht sich mit ihm zu einem Vier-Augen-Gespräch zurück. Es bedarf keiner allzu großen Fantasie, um was es geht. Danach? Kein Kommentar!

Unmut in der Fraktion

Die Sorge, die neue Koalition könnte zerbrechen, bevor sie überhaupt ihre Arbeit aufgenommen hat, ist mit Händen zu greifen. „Es hätte alles so gut werden können mit Grün-Schwarz, aber so gibt es schon jetzt eine große Delle“, meint ein Parlamentarier frustriert. „Wenn Strobl hinwirft, gibt es Neuwahlen“, sagt ein Grüner später beim Empfang zwischen Kartoffelgratin, Braten und Dessert. Was dann mit der CDU passieren würde, mag sich niemand vorstellen. „Dann landen die unter 20 Prozent.“

Nicole Razavi, die Verkehrsexpertin der Fraktion, die auch für ein Staatssekretärs-Amt gehandelt worden war, will nicht schwarz malen. „Ich bin sicher, dass der Ministerpräsident mit großer Zustimmung gewählt wird.“ Ob er alle 89 Stimmen von Grünen und CDU erhält, ist damit aber nicht gesagt. Razavi meint nur kurz: „Wir haben bei der CDU 42 frei gewählte Abgeordnete. Da darf jeder seine Meinung haben.“ Ja, räumt sie noch ein, die Strobl’sche Kabinettsliste habe „Unmut“ in der Fraktion erzeugt.

Paradiesvogel der CDU

So ist es Fraktionschef Reinhart vorbehalten, aufkommende Panik zu zerstreuen. Den „Paradiesvogel der CDU“, wie ihn seine Kollegen ob seiner farbig-schrillen Jackets manchmal nennen, gibt im dunklen Anzug ganz den Staatsmann. „Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit am Donnerstag bei der Wahl steht.“ Mehr noch. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir keine Nein-Stimmen aus der CDU haben werden.“ Wirklich? Er werde noch einige „intensive Gespräche“ mit einzelnen Abgeordneten führen, eine Art politische Mund-zu-Mund-Überzeugungsarbeit. Im Übrigen sei er zuversichtlich, dass es künftig in der Fraktion und mit Innenminister Strobl ein „gutes Miteinander geben wird“. Wichtig sei es eben, „offen miteinander zu kommunizieren“.

Zumindest an diesem Mittwochmittag ist das kaum noch möglich. Als sie auf den Gängen noch wild diskutieren und es noch eine kurzfristig anberaumte Sitzung gibt, ist Thomas Strobl wie angekündigt längst über alle Berge. Am Donnerstagmorgen um 9 Uhr müssen sie alle wieder da sein. Da hat Reinhart einen „Zählappell“ angesetzt. Allein, es dürfte nicht beim Durchzählen bleiben. Vielmehr dürfte im Beisein von Kretschmann die Bitte mitschwingen, um 11 Uhr bei der Wahl mit Ja zu stimmen.