Roderich Kiesewetter war bis 2009 Generalstabsoffizier. Heute ist der Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss und stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss. Foto: dpa

Die Rufe nach einer besseren Finanzaustattung der Bundeswehr werden immer lauter. Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter wirft der SPD ein doppeltes Spiel vor, weil sie zwar Ausrüstungsmängel beklagt – aber nicht ausreichend Geld bereitstellen will.

Stuttgart - CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kieswetter wirft der SPD ein doppeltes Spiel vor, weil sie sich einer noch besseren Finanzierung verweigert.

Herr Kiesewetter, der Bundeswehr fehlen jetzt auch noch Zelte und Unterhosen für Wintereinsätze. Inwieweit sehen Sie die Einsatzfähigkeit noch gegeben?
Zunächst ist es wirklich gut, dass das Ganze transparent wird. In einer Parlamentsarmee bleibt nichts verborgen. Es ist auch ein Weckruf an uns Parlamentarier: Wenn wir schon eine Parlamentsarmee haben, müssen wir sie auch bestmöglich ausstatten und nicht nur über das Für und Wider der Auslandseinsätze diskutieren. Somit müssen die Mängel, die auch vom Wehrbeauftragten schon angesprochen wurden, sehr rasch abgestellt werden. Hier ist die Verantwortung des Bundestags gefragt, dass wir noch mal in den Koalitionsvertrag schauen und den Satz, dass zusätzliche Einnahmen des Bundes im Verhältnis eins zu eins der Bundeswehr und der Entwicklungszusammenarbeit zu Gute kommen müssen, doppelt und dreifach unterstreichen. Die zwei Milliarden, die bisher für diese beiden Bereiche vorgesehen sind, sind deutlich zu knapp bemessen. Wir müssen den Verteidigungsetat besser ausstatten.
Es mangelt auch an schwerem Gerät für multinationale Einsätze. Gehen der Auftrag und finanzielle Aufwand immer weiter auseinander?
Das gehört auch zur Geschichte der Bundeswehr – diese Schere wurde schon vor 40 Jahren in der De-Maizière-Kommission angesprochen. Entscheidend ist, dass bei unseren Verpflichtungen in der Nato die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit Deutschlands gefragt ist. Insofern ist es ein gutes Zeichen, dass anderthalb Jahre, bevor das zum Tragen kommt, die Führung des Heeres die Mängel gemeldet hat.
Das Durchstechen der Informationen spricht für wenig Vertrauen in die Führung, dass es besser wird?
Da ist etwas aus dem Arbeitsbereich an die Öffentlichkeit gedrungen, was sonst zum guten Ton gehört: nämlich Meldung zu machen und Lösungen aufzuzeigen. Fatal ist der öffentliche Eindruck, der daraus entsteht. Dennoch erhöhen solche Vorgänge den Druck, die Bundeswehr besser zu machen.
Mittwoch tagt der Verteidigungsausschuss – erwarten Sie da mehr Klarheit von der Ministerin? Braucht es einen Fahrplan zur Lösung der Probleme?
Das Ministerium erarbeitet ja den Fahrplan. Und ich gehe davon aus, dass die Ministerin aufzeigt, wie sie Abhilfe schaffen will und welche Schritte sie vorhat. Dann müssen wir bereit sein, ihr mehr Mittel zur Verfügung zu stellen.
Ursula von der Leyen hat auch bei der Sicherheitskonferenz keinen Zeitplan zum Erreichen des Nato-Ziels benannt, bis 2025 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung auszugeben. Finden Sie das richtig?
Die zwei Prozent sind vor allem ein Nährungswert – es geht darum, eine Trendwende zu erzielen, um den USA deutlich zu machen: Uns Deutschen ist gemeinsame Sicherheit in der Nato wichtig. Da das Bruttoinlandsprodukt wegen des Wirtschaftswachstums wächst, müsste der Verteidigungshaushalt überproportional wachsen. Nun versuchen wir mit dem 51. Finanzplan eine schrittweise Annäherung. Das bedeutet: Jedes Jahr fließen zwischen 1,5 und 2 Milliarden mehr bis 2020. Das wird aber nicht ausreichen. Es wäre schon gut, wenn wir bis 2025 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kommen – das wären in etwa 45 bis 50 Milliarden Euro gegenüber 37 Milliarden heute. Das bedeutet auch, dass wir uns politisch verpflichten, nach der Regierungsbildung zusätzliche Staatseinnahmen in erster Linie Verteidigung und Entwicklung zugutekommen zu lassen.
Gegen die SPD sind zwei Prozent nicht durchsetzbar?
Ich bedaure sehr, dass die SPD den Eindruck vermittelt, ein doppeltes Spiel zu betreiben. Einerseits wird der Mangel bei der Bundeswehr beklagt und die Ministerin in die Pflicht genommen. Andererseits wehrt sich die SPD gegen das Zwei-Prozent-Ziel, weil das – wie Außenminister Gabriel sagt – nicht der Entspannung mit Russland diene. Die SPD muss sich bekennen zu einer besseren Ausrüstung der Bundeswehr. Es geht hier nicht um Aufrüstung, sondern um bestmögliche Ausrüstung – das ist ein Riesenunterschied! Die Argumente der SPD vertragen sich nicht mit dem Anspruch, Volkspartei zu sein und dafür zu sorgen, dass unser Land sein Ansehen in der Welt wahren kann. 2011 hat der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg ohne Not von sich aus der Bundesregierung vorgeschlagen, 8,3 Milliarden Euro einzusparen und die Wehrpflicht auszusetzen. Das wurde auch gemacht. Die Bundeswehr wurde einer doppelten Spirale nach unten ausgesetzt. Das versucht man jetzt mühsam zu beheben. Jetzt hat die Ministerin das Ganze zusammen mit dem Wehrbeauftragten transparent gemacht. Und wir – auch die SPD – müssen im Bundestag für die Mehrheiten sorgen.
Gabriel sagt aber, dass sich die deutschen Nachbarn das gar nicht alle wünschen würden?
Das ist ein sehr doppelzüngiges Argument, weil sich ja alle Nato-Staaten dazu verpflichtet haben. Der frühere polnische Außenminister Sikorski hat dazu gesagt: Es ist viel schlimmer, wenn die Bundesrepublik den Eindruck vermittelt, dass sie kein Interesse an gemeinsamer Sicherheit hat. Vor allem forderte Minister Gabriel zugleich mehr militärische Verantwortungsübernahme durch Europa – sein Gedankengebäude ist also nicht ganz logisch aufgebaut.
Wie sehr haben die Partner auf der Sicherheitskonferenz gedrängelt, dass Deutschland mehr tun muss?
Sehr intensiv. Genauso wichtig wie das Geld ist es aber, sich besser abzustimmen. Also Standardisierungen zu erreichen, dass nicht jeder ein eigenes Waffensystem entwickelt oder dass man in der Datentechnik besser und ohne Schnittstellen kooperieren kann. Das alles bedarf einer gemeinsamen sicherheitspolitischen Kultur – da ist für mich die deutsch-französische Zusammenarbeit der Hebel. In München wurde sehr klar wahrgenommen: Wenn wir bereit sind mehr zu tun, sind auch die USA bereit, ihre Vorbehalte gegenüber der europäischen Sicherheitspolitik aufzugeben.
2016 hat die Ministerin Investitionen von mehr als 130 Milliarden Euro binnen 15 Jahren versprochen. Sind wir noch im Plan?
Sie hat es nicht versprochen, sondern aufgezeigt, was sie braucht. Je länger man wartet, umso stärker ist der Finanzierungsdruck. Bis 2030 blieben noch zwölf Jahre, um etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr mehr aufzuwenden. Wir haben bisher aber nur zwei Milliarden mehr pro Jahr. Bleibt eine Lücke von acht Milliarden, die wir einfordern müssen – in der Summe sogar 16 Milliarden Euro, weil gleichermaßen auch der Entwicklungshaushalt steigen soll. Die müssen erst mal erwirtschaftet werden.
Wo sehen Sie vorrangigen Handlungsbedarf?
Zunächst im Bereich der Verfügbarkeit von Waffen und Geräten. Das Bundesamt für Beschaffung hat über zwei Jahre Tausende Aufträge nicht bearbeitet – diesen Missstand infolge Personalmangels kann man nur beheben, indem das Amt vernünftig ausgestattet wird. Dann hat der Truppe die Einführung der 41-Stunden-Woche nicht unbedingt geholfen. Dies dient ja der Attraktivität und dem Abbau von Überstunden, aber es muss in manchen Bereichen eben auch Mehrarbeit angeordnet werden. Das Zweite sind die oft maroden Kasernen. Nicht zuletzt für die vielen Pendler in der Bundeswehr müssen angemessene Unterkünfte bereitgestellt werden. Als Drittes muss den Führungskräften so viel Vertrauen von höheren Ebenen eingeräumt werden, dass sie in der Lage sind, Mängel zeitgerecht abzustellen – ohne Überbürokratisierung oder kurzfristige Richtungsänderungen.