Die Cannstatter Straße ist so etwas wie die Feinstaubmeile Stuttgarts. Die CDU im Rathaus möchte sie entlasten – durch den Bau von weiteren Straßen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

2018 müssen die Luftschadstoffe am Neckartor entschärft sein, spätestens 2021 zuverlässig in ganz Stuttgart. Wie die Verantwortlichen in Stadt und Land die Kurve kriegen wollen, steht noch in den Sternen.

Stuttgart - Für die Zeit direkt nach den Sommerferien zeichnen sich immer mehr Debatten über Luftreinhaltung und Verkehrsbeschränkungen in Stuttgart ab. Jetzt kündigte auch noch das Landesverkehrsministerium unter Winfried Hermann (Grüne) an, das Landeskabinett werde in einer der nächsten Sitzungen mit neuen Lösungsansätzen für den Luftreinhalteplan befasst.

Mit nur 22 Zeilen auf einer DIN-A-4-Seite versuchten Hermanns Mitarbeiter, zu einer komplexen Thematik ein Signal an die Öffentlichkeit zu senden. Lapidarer Titel der Pressemitteilung: „Gemeinsam gegen den Feinstaub in Stuttgart – Verkehrsministerium arbeitet mit Stadt und Regierungspräsidium konstruktiv zusammen“.

Hinter den Kulissen heißt es, man habe Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) zur Seite springen wollen. Zuvor hatte die Rathaus-CDU Kuhn und seinem Stab nämlich völlige Konzeptionslosigkeit sowie Verschleppung der Lösungen vorgeworfen. Das sei ungerecht, meint man im Ministerium, zumal die CDU selbst nicht viel mehr formuliert habe als Hoffnung auf bessere Automobiltechnik.

Umweltstreifen ist ebenfalls eine Idee

Minister Hermann kann sich in Kuhn mit Sicherheit hineinfühlen, zumal er sich zuletzt selbst als unschuldige Zielscheibe der Union fühlte. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte behauptet, das Land müsse mit zeitweiligen Fahrverboten für besonders schadstoffträchtige Kfz nicht darauf warten, dass der Bund eine blaue Umweltplakette für ganz schadstoffarme Kfz schaffe.

Hermanns Leute setzen weiter auf den blauen Aufkleber und halten ihn für die praktikabelste Lösung, sie müssen zunächst aber ohne ihn planen. Dabei geht es in den nächsten Monaten um Lösungen für den Ernstfall im Jahr 2018, wenn der freiwillige Feinstaubalarm für Autofahrer und Besitzer von Komfortheizungen die Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte in Stuttgart nicht ermöglicht. Zeitgleich arbeite Professor Markus Friedrich vom verkehrswissenschaftlichen Institut der Universität Stuttgart an einer Machbarkeitsstudie über Umweltstreifen auf Stuttgarter Straßen. Die Studie solle aufzeigen, ob man damit Schadstoffe aus dem Kfz-Verkehr verringern könnte.

Ohne weitere Konkretisierung des vorhandenen Maßnahmenpakets würden wegen einer Klage der Deutschen Umwelthilfe Verkehrsbeschränkungen drohen, hielt das Ministerium noch mal fest. Die Beschränkungen könnten pauschal alle Fahrzeuge des Individualverkehrs oder zumindest alle Diesel treffen. Außerdem hat sich das Land verpflichtet, am Feinstaub- und Stickoxid-Brennpunkt Neckartor von 2018 an den Verkehr um 20 Prozent zu reduzieren – wenn dort anders der Feinstaubgrenzwert nicht einzuhalten ist. Und die EU Union droht auch mit Strafen. 2020, spätestens 2021 sollen die Grenzwerte in Stuttgart zuverlässig eingehalten sein, signalisierten Land und Stadt.

Kuhn setzt auch auf Fahrgemeinschaften

Vor dem Ministerium hatte bereits Kuhn auf die CDU reagiert: Nach den Ferien stünden ohnehin Gespräche im Gemeinderat über diese Themen an. Viele Weichenstellungen gebe es schon, auch den dicken Aktionsplan „Stuttgart nachhaltig mobil“. Zudem will Kuhn jetzt endlich Fahrgemeinschaften in Schwung bringen und beim Feinstaubalarm mit Nahverkehrstickets zum halben Preis das Umsteigen ankurbeln.

Die CDU, die den Druck auf Kuhn und Hermann vergangene Woche erhöhte, hat unterdessen nachgelegt. Stadtrat Philipp Hill sagte dieser Zeitung, er erwarte, dass Kuhn binnen vier Wochen nach den Sommerferien endlich erstmals den Unterausschuss Mobilität tagen lasse. Bei der Frage, ob die CDU Verkehrsbeschränkungen ablehnen wird, wenn der Feinstaubalarm 2018 verbindlich gemacht werden müsste, blieb Hill auf der Linie der Pressemitteilung: „Verkehr muss verflüssigt und nicht verboten werden.“ Lokale Fahrverbote in Stuttgart lehne man ab. Zum Gerichtsvergleich über Maßnahmen am Neckartor habe sich im Rathaus allenfalls die Linke bekannt. Der CDU gehe es um die längerfristige Perspektive.

Fraktionschef Alexander Kotz sagte wie Hill, die CDU müsse nicht gleich neue Lösungsvorschläge für 2018 vorlegen, wenn sie von Kuhn welche fordere. Der OB aber müsse liefern. Der Feinstaubalarm auf freiwilliger Basis sei bisher möglicherweise wirkungslos geblieben, weil Kuhn und Hermann besonders den Berufspendlern „null Ansagen gemacht“ hätten, wie verbindliche Verkehrsbeschränkungen für sie aussehen würden. Kotz sagte dieser Zeitung aber auch: „Kein Stadtrat kann sich über gerichtliche Realitäten hinwegsetzen.“

CDU will sich einem Kompromiss nicht verschließen

Das CDU-Postulat, dass Verkehr verflüssigt und nicht verboten werden müsse, sei in erster Linie auf die langfristige Perspektive gemünzt. Die CDU werde sich nicht der Diskussion über einen Kompromiss bei den Kurzfristmaßnahmen bis zur Wirksamkeit der langfristigen Maßnahmen verschließen. Man werde abwägen und bewerten. Die Fraktion fordert aber einen Maßnahmenmix, zu dem neue Straßen gehören.

Dazu zählt ein neuer Tunnel zwischen dem Stuttgarter Neckartal und den Fildern. Außerdem der Nordostring, also eine neue Straßenverbindung zwischen Kornwestheim und Fellbach. Im Vordergrund steht für Fraktionschef Kotz aber die Idee des Ostheimer Tunnels: eine unterirdische Verbindung zwischen dem bestehenden Wagenburgtunnel und der B 10 beim Gaskessel in Gaisburg. Das soll die Cannstatter Straße sowie den B 14-Feinstaubbrennpunkt Neckartor entlasten. Den Ostheimer Tunnel halte er für realistischer und schneller realisierbar als die anderen Straßenprojekte, sagte Kotz. Für den Ostheimer Tunnel, der binnen acht Jahren entstehen könne, müsse die Verwaltung nach den Ferien grobe Kosten- und Zeitprognosen beibringen.

Selbst wenn Kuhns Plan greifen würde, die Kfz mit Verbrennungsmotoren im Stadtkessel um 20 Prozent zu reduzieren – „80 Prozent bleiben übrig, und Stuttgart zieht mehr Menschen und Verkehr an“.