Wer nur an einer Stellschraube dreht, löst nicht das Problem der Gewalt gegen Polizisten: Darüber ist sich der Landtag im Klaren. Doch wo dreht man? Eine der wichtigsten Schrauben heißt Alkohol.
Stuttgart - Selten zuvor hat die Polizei so viele Solidaritätsadressen erhalten wie am Donnerstag in der Landtagsdebatte über Gewalt gegen die Staatsmacht. Die Zahl der Delikte ist nämlich im ersten Halbjahr um 24 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen, wie Innenminister Reinhold Gall jüngst bekannt gab. „Dank und Respekt“ bekundete etwa der SPD-Abgeordnete Nikolaus Sakellariou, und seine Grünen-Kollegin Petra Häffner sagte: „Jeder verletzte Polizist ist einer zu viel.“
Wie sich das Problem lösen lässt, das eng mit übermäßigem Alkoholkonsum zusammenhängt, macht die Volksvertreter jedoch eher ratlos. Das zeigen die vielen Stellschrauben, an denen sie drehen wollen – mal bei den Familien, mal bei den Medien, mal beim öffentlichen Schnapsausschank. Sakellariou meinte, die Autorität der Polizei werde auch durch das Kabel-TV, ja sogar durch „neoliberales Denken“ infrage gestellt – der Staat als Moloch, der Steuern frisst.
Die CDU konzentrierte sich auf die Forderung, den Kommunen das Instrument eines Alkoholverbots für öffentliche Plätze an die Hand zu geben – auch wenn die übrigen Fraktionen nicht so recht verstanden, wie mit dieser Einzelmaßnahme das komplexe Problem zu bewältigen sei. Mehr als 85 Prozent der Delikte ereigneten sich doch im täglichen Polizeidienst, gab Häffner zu bedenken. Bei der Verkehrssicherung etwa oder wenn die Ordnungshüter zu häuslichen Streitereien gerufen werden: „Hier würde dieses Gesetz nicht greifen.“
„Ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen hat mit Gewalt gegen Polizisten fast nichts zu tun“
Die CDU fordert es trotzdem. Auch weil sich Rote und Grüne derzeit intern so schwer damit tun, wie der jüngste SPD-Landesparteitag gezeigt hat, wo ein Vorstoß der SPD-Spitze abgeschmettert wurde. Ein Alkoholkonsumverbot wäre „aktive Prävention“, sagte CDU-Fraktionschef Peter Hauk und lobte Ministerpräsident Winfried Kretsch-mann dafür, dass für ihn das Thema noch nicht vom Tisch ist. Er möge ein Machtwort sprechen, forderte ihn Hauk auf und kündigte an, das Gesetz erneut zu beantragen.
Für Ulrich Goll (FDP) ist das ein Fehlschluss: „Ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen hat mit Gewalt gegen Polizisten fast nichts zu tun.“ Es habe eben einen allgemeinen Einstellungswandel gegeben, diagnostizierte der frühere Justizminister: „Weg vom obrigkeitsstaatlichen Denken, hin zum Gegenteil.“ Doch was tun? Das Strafrecht sei ja schon verschärft worden, warf er ein.
Auf das Gewaltproblem gebe es keine einfachen Antworten, erwiderte Innenminister Gall und erläuterte ein Drei-Säulen-Modell, mit dem die Ordnungshüter versuchen, dem Gewaltproblem zu begegnen: Indem sie früher intervenieren und auch Beleidigungen konsequent verfolgen, indem sie auf Schulungen besser damit umzugehen lernen und indem sie sich Partner suchen – etwa die Justiz, die ihre Verfahren gegen Jugendliche beschleunigt. Auch die Kriminalprävention spiele eine große Rolle: 17.000 Veranstaltungen habe die Polizei dazu im vergangenen Jahr gemacht. Gall: „Da stoßen wir an Grenzen.“
„Wir brauchen ein anderes Staatsverständnis“
Er befürwortet zwar, dass die Kommunen ein Alkoholkonsumverbot aussprechen dürfen, räumt aber ein, dass dies nur ein kleiner Teil der Problemlösung wäre.
„Es wird gesoffen wie nie“, sagte es drastisch Paul Locherer (CDU) aus Oberschwaben. Ist das also die richtige Stellschraube, um die Gewaltbereitschaft einzudämmen? Immerhin weiß man, dass mehr als zwei Drittel aller Täter unter Alkoholeinfluss stehen. Petra Häffner (Grüne) schlug deshalb einige Dinge vor, „die wir schon tun können“. Hochprozentiges auf Stadtfesten verbieten zum Beispiel – ein Mittel, das mancherorts mit Erfolg angewandt wird. Auch das Instrument der Nachtwanderer – das sind Freiwillige, die nachts gemeinsam Brennpunkte aufsuchen und dort mit den Jugendlichen das Gespräch suchen – habe sich vielerorts bewährt.
„Wir brauchen ein anderes Staatsverständnis, bei dem klar wird, dass das, was die Polizeibeamten machen, das ist, was wir hier entschieden haben“, lautete Sakellarious Appell an die Öffentlichkeit.