Angela Merkel will den CDU-Vorsitz aufgeben. Dass Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer (links) ihr nachfolgt, ist keineswegs ausgemacht. Foto: AFP

Der interne Druck war offenbar enorm: Angela Merkel will auf den CDU-Vorsitz verzichten, aber vorerst noch Kanzlerin bleiben. Dass sie diesen Vorsatz durchhalten kann, ist höchst zweifelhaft. Merkel hat den Zeitpunkt für einen würdevollen Wechsel aus freien Stücken verpasst, meint Matthias Schiermeyer.

Stuttgart - Als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder 2004 den SPD-Vorsitz abgab und Fraktionschef Franz Müntefering als Nachfolger vorschlug, reagierte die CDU-Chefin unmissverständlich: Angela Merkel wertete den Vorstoß als Scheitern der Bundesregierung insgesamt. Für Schröder bedeute der Schritt einen „Autoritätsverlust auf der ganzen Linie“. Schröder sei nun in der Hand von Müntefering. „Das ist der Anfang vom Ende des Bundeskanzlers und der Anfang vom Ende dieser Regierung“, sagte sie.

Auch die Getreuen gehen von der Fahne

14 Jahre später muss Angela Merkel das gleiche Verdikt für ihre eigene Zukunft gelten lassen, nachdem sie im Parteipräsidium angekündigt hat, auf dem Parteitag Anfang Dezember nicht wieder für den Vorsitz kandidieren zu wollen. Allein diese Ansage ist eine historische Zäsur. Bis zuletzt hat Merkel mit einer gewissen Berechtigung den Anspruch unterstrichen, dass Parteivorsitz und Kanzlerschaft in einer Hand liegen müssen. Es darf nicht zwei parallel agierende Machtzentren geben. Nun – nach den schweren Wahlverlusten in Bayern und Hessen – kann sie diese Position nicht mehr halten, weil sie den Rückhalt dafür nicht mehr hat. Merkels Macht ist erodiert, und es ist höchst zweifelhaft, ob sie – wie von ihr erhofft – die volle Legislaturperiode als Kanzlerin durchhält. Denn: siehe oben.

Aus der zweiten und dritten Reihe waren die Forderungen nach einem personellen Wandel an der Spitze immer deutlicher geworden. Dass Merkel ihren Fraktionschef Volker Kauder nicht mehr halten konnte, war ein lauter Warnschuss. Dieser Wechsel hat in der Fraktion weitere Kräfte gegen die Parteivorsitzende freigesetzt. Nach der Hessen-Wahl kamen auch von Getreuen nicht mehr die gewohnten Treuebekenntnisse. Selbst die Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer blieb vage auf die Frage hin, ob sie Merkel bei einer erneuten Kandidatur auf dem Parteitag noch unterstütze. Es fragt sich angesichts dieser Absetzbewegungen, ob Merkel selbst einsieht, dass ihre Zeit abläuft – oder ob man ihr dies vielmehr beibringen musste.

Nun folgt wochenlanger politischer Stillstand

Noch im hessischen Wahlkampf hatte Merkel immer wieder geradezu davor gewarnt, bei der Wahlentscheidung ihre eigene Arbeit zu bewerten – ein einzigartiger Vorgang. Der Versuch, von Berlin abzulenken, ist gründlich misslungen. Denn die Kanzlerin hat auch im Volk die Rückendeckung verloren, wie neue Analysen der persönlichen Beliebtheitswerte zeigen.

Nun dürfte in der CDU mit harten Bandagen um die Macht gerungen werden, weil auch die künftige Kanzlerschaft auf dem Spiel steht. Dies verheißt einen weiteren wochenlangen politischen Stillstand – nichts wird es mit der am Sonntagabend viel beschworenen Sacharbeit der großen Koalition. Erneut wird es jetzt vornehmlich um das Personal gehen – mit allen Fragen, die sich zum Beispiel auch in der CSU und um Horst Seehofer aufdrängen.

Die Nachfolge ist längst nicht ausgemacht

Es rächt sich, dass Merkel die Ära nach ihr nicht ausreichend vorbereitet hat. Kramp-Karrenbauer ist nicht gesetzt als neue Vorsitzende – da machen sich längst andere, wie etwa auch Jens Spahn, sicher ebenso große Hoffnungen. Der frühere Fraktionschef und Merkel-Widersacher Friedrich Merz, der jetzt keck den Kopf hervorstreckt, dürfte hingegen keine Chance haben. Warum sollte die Partei einen Mann von gestern reaktivieren wollen? Lange Zeit war Merkel ein Garant christdemokratischer Homogenität. Nun ist sie es nicht mehr. Es war einmal ein Kanzlerwahlverein. Zerfällt ihre Partei nun in unterschiedliche Strömungen wie die SPD? Dass 18 weitgehend erfolgreiche Jahre als CDU-Vorsitzende auf diese Weise zu Ende gehen müssen, ist tragisch – doch Merkel hat es sich auch selbst zuzuschreiben. Den Zeitpunkt für einen Wechsel aus freien Stücken und für einen Abgang in Würde hat sie verpasst.