Eine Koalition mit der FDP ist ein soziales Schreckgespenst? Von wegen, sagt Angela Merkel und wirbt im Interview mit unserer Zeitung für Schwarz-Gelb.

Berlin - Eine Koalition mit der FDP ist ein soziales Schreckgespenst? Von wegen, sagt Angela Merkel und wirbt im Interview mit unserer Zeitung für Schwarz-Gelb: Die Kanzlerin über Vollbeschäftigung, Steuererhöhungen und Günther Oettinger.

Frau Merkel, Sie betonen im Wahlkampf das "Miteinander" und die "Nächstenliebe". Das ist eine neue Sprache. Das ist ein wichtiger Kern unseres Zusammenlebens. Die SPD versucht dagegen glauben zu machen, dass die Union in einer Koalition mit der FDP zu einem sozialen Schreckgespenst mutieren würde. Das ist ein Ausdruck der Verzweiflung, denn es war die Union, die in 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland die meisten Sozialgesetzgebungen von der Mitbestimmung über das Rentensystem bis zur Pflegeversicherung eingeführt hat. Unser Kernanliegen ist immer soziale Marktwirtschaft, also sozialer Ausgleich und wirtschaftliche Vernunft, damit sich Leistung lohnen kann. Nur wer die Stärkeren motiviert, etwas leisten zu wollen, kann auch den Schwächeren helfen.

Macht es Sie nachdenklich, dass Ihr Wunschpartner FDP ein Programm präsentiert, das im Vergleich zu 2005 fast unverändert ist? CDU und CSU sind Volksparteien der Mitte. Wir wenden uns an alle Bevölkerungsgruppen und werben dafür, selbst möglichst stark zu werden. Koalitionen sind keine Familienzusammenführung, sondern Zweckbündnisse. In der kommenden Legislaturperiode geht es um Wachstum und Beschäftigung. Darum können wir uns in einer Koalition der Union mit der FDP entschiedener und mit größten inhaltlichen Übereinstimmungen kümmern, obwohl ich niemals zu denen gehören werde, die die Verdienste der Großen Koalition schmälern werden. Die SPD dagegen ist zerrissen in einem Richtungsstreit. Ein immer größerer Teil will möglichst schnell Rot-Rot, Herr Steinmeier spricht von einer Ampel mit FDP und Grünen, die keinerlei Aussicht hat, und wieder andere reden von einer weiteren Großen Koalition. Dies zeigt, dass es stabile Verhältnisse nur mit der Union gibt, und wer mich dabei unterstützen und stärken will, der kann das mit beiden Stimmen für die Union tun.

Die FDP ist in einigen wichtigen Punkten sehr entschieden. Der Gesundheitsfonds soll so schnell wie möglich verschwinden. Dazu wird es nicht kommen. Der Fonds arbeitet äußerst unbürokratisch, mit einem kleinen Apparat, und er hat die Beitragssätze in der Rezession besser stabil gehalten als die alte Rechtslage. Der Fonds sammelt die Beitragsmittel, um sie dann gleichmäßig an die Versicherten nach Alter und Gesundheitszustand zu verteilen. An dieser gerechten Aufteilung gibt es nichts zu kritisieren. Jeder Versicherte soll die gleiche gesundheitliche Fürsorge erhalten. Das ist unser Anspruch. Deshalb wird der Fonds auch erhalten bleiben.

Ein anderes Lieblingsthema der FDP ist der dreistufige Steuertarif bei der Einkommensteuer. Ist das mit Ihnen zu machen? Uns eint das Ziel, dass wir an die Kraft glauben, die Entlastungen für mehr Wachstum mit sich bringen. Wir konzentrieren uns dabei angesichts der Haushaltslage auf Maßnahmen zur Abmilderung der kalten Progression bei der Einkommensteuer, damit mehr Netto vom Brutto bleibt. Wer sich engagiert, Überstunden leistet, mehr Lohn bekommt, soll davon einfach mehr übrig behalten. Davon werden insbesondere die kleinen und mittleren Einkommen profitieren.

Eine andere FDP-Forderung ist eine Korrektur der Erbschaftsteuer, etwa eine bessere Regelung für Geschwister. Veränderungen bei der Erbschaftsteuer sehe ich vor allem dort, wo es um Betriebsübergaben an die nächste Generation oder um Folgen aus der Krise geht. Prinzipiell gilt: Der Staat braucht auch Einnahmen. Wir versprechen nicht Entlastungen, ohne auf nachhaltige Staatsfinanzen zu achten. Die Entlastung bei der kalten Progression der Einkommensteuer hat für mich deshalb oberste Priorität.

"Ich halte nichts von Horrorprognosen"

Das wird die FDP aber nicht freuen, die will viel mehr. Viel Geld für Bildung ausgeben, Steuern drastisch senken und den Haushalt konsolidieren - das geht gleichzeitig nur in der Opposition ziemlich schnell. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir bei gemeinsamer Verantwortung konstruktiv und gut handeln werden.

Sind Belastungen an anderer Stelle die Kehrseite Ihrer Steuerversprechen? 2005 hatte ich aus voller Überzeugung und trotz der positiven Wachstumsaussichten darauf hingewiesen, dass wir nicht um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer herumkommen. Die SPD hat die Wähler 2005 getäuscht und vor der Wahl anders geredet als nach der Wahl. Heute bin ich gegen Steuererhöhungen, weil die wirtschaftliche Situation infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise eine völlig andere ist.

Inwiefern? Wir haben die Talsohle einer sehr schweren Rezession erreicht, der Aufschwung ist nur eine ganz zarte Pflanze. Wenn wir den Aufschwung jetzt zerstören, wird das für Deutschland sehr viel teurer. Das Lehrbeispiel sind die 30er Jahre in Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Damals hatten die USA zunächst riesige Konjunkturprogramme aufgelegt. Dann aber schalteten sie zu schnell um, fingen zu früh an zu sparen und verlängerten dann die Krise. Die Politik muss daher darauf achten, einen beginnenden Aufschwung nicht im Keim zu ersticken. Wir müssen auf Wachstum setzen und dynamisch denken.

Also: Mit Merkel keine Steuererhöhungen? Ich halte nichts von den Horrorprognosen, man müsse jetzt um zig Prozent die Mehrwertsteuer erhöhen. Wir werden die Mehrwertsteuer nicht erhöhen, nicht den vollen und nicht den ermäßigten Satz.

Gut, aber auf jeden Fall kommen doch die Sozialbeiträge erheblich unter Druck. Im Gesetzblatt steht bereits, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ab 2011 wieder von 2,8 Prozent auf drei Prozent steigen wird. Wir haben ihn für 2009 und 2010 abgesenkt.

"Ich halte nichts von Horrorprognosen"

Und einen weiteren Beitragsdruck sehen Sie nicht - weder bei Arbeit noch bei Gesundheit? Natürlich gibt es in einer schweren Krise mit steigender Arbeitslosigkeit Druck auf die Sozialsysteme. Aber wie gesagt, es wäre ein großer Fehler, mitten in der Krise die Lohnzusatzkosten zu erhöhen. Ziel muss sein, Wachstum für neue Jobs zu fördern, damit der Druck auf die Beitragssysteme wieder sinkt. Beitragserhöhungen verringern dagegen die Beschäftigungschancen.

Eine andere Facette der Krise ist das Thema Kreditklemme. Das Instrument der Bad Bank wird nicht sehr stark genutzt. Das sind verschiedene Themen, um die wir uns kümmern. Die WestLB hat ja bereits einen Antrag gestellt. Ich bin sicher, dass auch andere Banken diese Möglichkeit einer Bad Bank nutzen werden. Das andere Thema ist die Versorgung gerade der mittelständischen Unternehmen mit Krediten. Die Kreditvergabebedingungen sind vielfach schwieriger geworden. Genau deshalb haben wir unser Bürgschafts- und Kreditprogramm aufgelegt, das vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen hilft. Vor kurzem haben wir beschlossen, das Programm um neue Instrumente zu erweitern. So werden zum Beispiel in Zukunft die Kreditversicherungen durch staatliche Absicherungen ergänzt und neue Spielräume für die Exportfinanzierung geschaffen.

Ihr Konkurrent Frank-Walter Steinmeier wurde dafür belächelt, Vollbeschäftigung als Ziel aller Krisenbekämpfung auszugeben ... Die Kritik entzündete sich daran, dass für das Jahr 2020 vier Millionen neue Arbeitsplätze versprochen wurden. Da habe ich darauf verwiesen, dass Rot-Grün mit Herrn Steinmeier schon einmal die Arbeitslosenzahlen halbieren wollte. Tatsächlich stieg die Zahl in sieben Jahren Rot-Grün auf fünf Millionen. Von solchen Versprechen halte ich nichts. Das hat im Übrigen auch bei Kanzler Helmut Kohl nicht geklappt. Ich will den Menschen Taten und keine Ankündigungen präsentieren. Deshalb werde ich ganz konkrete Projekte für neue Jobs anstoßen, wie CDU und CSU das schon im Juni in unserem Regierungsprogramm formuliert haben.

Aber das Ziel Vollbeschäftigung in einer Industriegesellschaft halten Sie für realistisch? Ja, wir wollen Arbeit für alle. Schon in einigen Jahren werden wir im Übrigen das Problem haben, dass wir wegen des Rückgangs der Zahl junger Menschen dringend Facharbeiter suchen. Deshalb ist auch das Thema Bildung für mich so wichtig. Wir haben zu viele Schulabbrecher, zu viele Schüler werden von den Unternehmen als nicht ausbildungsfähig eingestuft. Das ist für die jungen Menschen schlecht, aber auch unsere Wirtschaft kann sich das in Zukunft nicht mehr leisten. Zudem lege ich auf das Thema Integration großen Wert. Ein großer Teil der unter 25-Jährigen sind Kinder von Zuwanderern. Niemand darf akzeptieren, dass diese Kinder keinen Zugang zu guter Bildung, zu guten Arbeitsplätzen und zur Teilhabe an der Gesellschaft haben. Der Migrationshintergrund darf nicht zum Nachteil werden.

"Ich halte nichts von Horrorprognosen"

Auf der Zielgerade des Wahlkampfs betonen Sie Ihre Skepsis gegenüber einer Fortsetzung der Großen Koalition. Es könnte aber auch für Schwarz-Gelb knapp werden. Ich werbe für eine starke Union, weil das ein Garant für eine Politik der Mitte ist. Zweitens: Ich sage, welche Koalition ich anstrebe - die mit der FDP. Und weil wir gute Chancen haben, das Ziel zu erreichen, befasse ich mich mit anderen Varianten nicht.

Politiker müssen sich doch damit beschäftigen, was die Wähler interessiert. Vielleicht gibt es potenzielle Unionswähler, die wissen wollen, ob Sie lieber die Große Koalition wiederholen wollen, als ein Jamaika-Bündnis auszuprobieren - wenn es eben nicht reicht für Schwarz-Gelb. Die Wähler wissen genau, was ich will, und das ist eine starke Union in einer Regierung mit der FDP.

Jetzt wird viel über Überhangmandate geredet. Die sind Teil des Wahlsystems ... ...richtig.

Und Sie hätten kein Problem, nur mit Hilfe dieser Mandate zu regieren? Es gibt keine Mandate erster oder zweiter Klasse. In der letzten Legislaturperiode hatte die SPD ungefähr so viele Überhangmandate wie wir, in den zurückliegenden zehn Jahren sogar mehr als wir. Diese Mandate basieren auf dem geltenden Wahlrecht. Die SPD hat sich im vollen Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht entschlossen, dieses Wahlrecht für diese Wahl weiter so bestehen zu lassen. Deshalb rate ich, nicht weiter gegen ein Recht, das Karlsruhe für diese Wahl bestätigt hat und das die SPD selbst mit ermöglicht hat, Sturm zu laufen. Ansonsten denke ich sowieso, dass die Überhangmandate nicht die entscheidende Rolle spielen werden.

Zum Schluss noch eine Frage zum Südwesten. Die Südwest-CDU stand schon einmal besser da, und es gibt ein lauter werdendes Gemäkel über den Ministerpräsidenten. Ich arbeite mit Günther Oettinger gut zusammen. Unter seiner Führung steht Baden-Württemberg in allen Bereichen sehr gut da und gilt anderen Ländern als Leuchtturm, zum Beispiel in der Forschung. Die Landesregierung hat kluge Programme gemacht, um junge Ingenieure in der Krise in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist eine zukunftsweisende Politik. Im Südwesten gibt es eine stabile Mehrheit von CDU und FDP. Aber gerade im Südwesten kämpfen wir für uns, für eine starke CDU, weil sie große Erfolge vorweisen kann.