Kasperköpfe und einfältige Seppel gibt es in der deutschsprachigen Hip-Hop-Welt bekanntlich im Übermaß, umso mehr sticht da also einer heraus, der alles anders und schlichtweg auch besser macht. Der Deutschamerikaner Casper zum Beispiel.
Stuttgart - Das geht schon damit los, dass sich sein Plattenlabel mit der allseits beliebten Schubladeneinsortierung reichlich schwer tut (die Bezeichnung „Post-Genre“ haben sich die Musikvermarkter für Casper zur Stilkategorisierung zusammenfabuliert) und auch der Künstler selbst diesbezüglich ein wenig mit sich ringt: „Meine Arbeitsweise entspricht immer noch dem Rap-Ansatz. Ich empfinde das auch nicht als Singen. Nur die Musik, die am Ende rauskommt, klingt anders als das, was man im Fachhandel sonst so unter Rap findet“, hat er kürzlich im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt. Das geht weiter damit, dass es zu diesem Gespräch vor einem kleinen Konzert in Stuttgart kam, das der einstige Pädagogikstudent im September gratis vor dem Mercedesmuseum gab, was Casper in seiner demütigen Erdverbundenheit von vielen seiner insbesondere US-amerikanischen Kollegen unterscheidet, etwa dem Rapper Lil Wayne, der sich im August seinen nicht einmal sechzig Minuten währenden Stuttgarter Auftritt vom gründlich verarschten Publikum mit über sechzig Euro pro Nase entlohnen ließ. Und das manifestiert sich schließlich darin, dass Casper als Inspirationsquellen - etwa für seinen Song „Alles ist erleuchtet“ - die Literaten Jonathan Safran Foer und David Foster Wallace nutzt oder für den Titeltrack seines aktuellen Albums „Lang lebe der Tod“ als Gast Blixa Bargeld gewinnen konnte, einen der Gralshüter deutscher Qualitätsmusik.
Wie es der Zufall will, rahmen diese beiden Stücke als Alpha und Omega den Auftritt des Buchstabendrechslers in der Schleyerhalle. „Alles ist erleuchtet“ ist das Eröffnungslied in der am Samstagabend mit rund neuntausend Zuschauern gut gefüllten Arena, „Lang lebe der Tod“ der letzte Song vor der Zugabe. Blixa Bargeld betritt dabei wenig überraschend nicht als Gast die Bühne, diese Sorte von Entertainment ist bei aller Sympathie dann doch gewiss nicht seine. Denn im Publikum wird kräftig abgefeiert, und die Zuschauer werden dazu auch nach Kräften vom wie ein Flummi über die Bühne hüpfenden Casper mit Worten und Gesten animiert. Da sind wir dann doch ganz bei einem klassischen Hip-Hop-Konzert, mit der einschlägigen Rhetorik Caspers („Ich will hier jeden einzelnen springen sehen“) und entsprechend willigen Besuchern, die gewiss nicht gekommen sind, um sich in andächtiger Hörkonzentration einen bargeld’schen Strauß an Melodien aus den Blumen des Bösen binden zu lassen.
Das Publikum ist unglaublich textsicher
Auch Benjamin Griffey, wie Casper mit bürgerlichem Namen heißt, hat allerdings reichlich Depression und Dystopie in seinen Texten zu bieten. Die nachdenkliche Seite seines Schaffens wird in der Schleyerhalle jedoch, freundlich formuliert, etwas unterbelichtet. Der ausgeprägte Wille des Sängers, es allen recht zu machen und dem unglaublich textsicheren Publikum ausnahmslos alle Gassenhauer zu servieren, ist dann doch stärker.
Den Vorwurf der Anbiederung und des Ausverkaufs aller ursprünglichen Intentionen der Hip-Hop-Bewegung musste sich Casper von Seiten der beinharten Puristen schon häufig gefallen lassen; das sei geschenkt, doch selbst liberalere Geister mögen sich in der Schleyerhalle mehr als nur ein paar konsensfähige Ansagen (denn jawohl, auch wir sind gegen Nazis!) und einen Habitus wünschen, der mehr an Reflexion zu bieten hat als nur die mehrfach artikulierte unendliche Dankbarkeit über die Wogen des Schicksals, die einen kleinen Bub aus Extertal in Ostwestfalen mit seinem Traum von der großen weiten Welt nun auf die Bretter der Riesenhallen gespült haben.
Live fehlt es ein wenig an Wucht
Denn das hat er doch gar nicht nötig. Casper hat seinen Weg zu einem der derzeit erfolgreichsten deutschen Popmusiker (im Gegensatz zu vielen anderen dieser Tage die Hallen füllenden jungen deutschen Popmusikern!) gemacht, indem er sich sorgsam ein Publikum erspielt hat – von seinem ersten Auftritt damals noch in der Röhre über das Longhorn bis hin zu nun Stuttgarts größter Veranstaltungsarena. Er hat dies geschafft mit zuletzt drei bemerkenswerten Alben, also einer Kontinuität, die heutzutage auch alles andere als die Regel ist. Und er verfügt über einen wachen Blick auf unsere Zeiten, wenngleich er die Emotionalität bisweilen fast schon überstrapaziert.
Musikalisch, um für das vermeintliche Stilkaleidoskop dann doch noch exakt zwei Schubladen zu finden, changiert der Abend zwischen angerocktem Hip-Hop und mit dem Mainstream flirtendem Alternativepop. Live von fünf Begleitmusikern gespielt, wirkt das in der Summe und im Verlauf eines knapp zweistündigen Konzerts etwas variantenarm; von jener Prägnanz, die Caspers herrlich raues Organ auszeichnet, würde man sich auch instrumental ein wenig mehr wünschen – symptomatisch zu hören ist dies beim Stück „Sirenen“, das bei aller Show in der Schleyerhalle doch etwas von der Wucht der Albumeinspielung einbüßt.
Gänzlich unvermittelt endet dieses alles in allem ordentliche Konzert schließlich. Das Scheinwerferlicht erlischt, das Publikum steht schweigend da, da alle Beteiligten offensichtlich davon ausgehen, dass weder der Künstler sich verabschieden noch die Besucher die Zugabe einfordern müssen. Sie kommt dann „natürlich“ doch noch, und vielleicht ist diese letzte und wirklich verblüffende Volte ja auch dem Gesundheitszustand des Sängers geschuldet. Er sei sehr, sehr, wirklich sehr erkältet, beteuert Casper gleich mehrfach während des Konzerts und hoffe, das alles durchzustehen. Das hat er in Stuttgart tapfer geschafft. Und das sei ihm natürlich auch für den Rest dieser Tournee von Herzen gewünscht. In diesem Sinne: Gute Reise – und gute Besserung.