Auf dem Cannstatter Wasen wird auch beim Frühlingsfest wieder Lärm gemessen Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

In den Festzelten auf dem Cannstatter Wasen dürfen die Bässe wieder stärker wummern. Das hat in erster Linie technische Gründe. Der Streit um den Wasenlärm zwischen Stadt und Festwirten ist damit aber nicht ausgestanden. Er könnte 2016 sogar noch die Gerichte erreichen.

Stuttgart - Wasen-Zeit ist seit Jahren auch Arbeitszeit für die Lärmermittler. Diplomingenieur Thomas Heine wird auch in dieser Woche während des Frühlingsfestes wieder messen. Und zwar umfassender als früher.

Bei bisherigen Frühlings- und Volksfesten fanden Lärmmessungen vor Fahrgeschäften, in den Festzelten und über den Zeltdächern statt, außerdem vor der Cannstatter Feuerwache und dem Stadtarchiv in der Nachbarschaft des Cannstatter Wasens. Diese Woche geht Heine noch einen Schritt weiter. Jetzt wird er auch im Inneren der Feuerwache und des Stadtarchivs messen. Man will ergründen, wie die Bässe bei den Anwohnern ankommen.

Den erweiterten Messauftrag hat Heine vom Städtebau- und Umweltbürgermeister Matthias Hahn (SPD) und vom Gemeinderatsausschuss für Umwelt und Technik (UTA) erhalten. Man will es jetzt genau wissen. Denn vor kurzem hatte der Erste Bürgermeister Michael Föll (CDU) dem Wirtschaftsausschuss berichtet, dass die Festwirte die Bässe wieder etwas stärker wummern lassen dürfen.

93 statt 90 Dezibel laute Bässe

Genauer: Die Bässe dürfen dann 93 statt 90 Dezibel erreichen. Gemessen wird das einen Meter über dem Zeltdach, nicht mehr wie bisher drei Meter über dem Dach. Wenn der Messpunkt um zwei Meter sinkt, bedeutet das, dass der zulässige Gesamtlärmpegel nach dem üblichen Messverfahren – bisher 80 Dezibel – um ein Dezibel gesenkt wird.

Diese Doppelstrategie trug auch das Gutachterbüro Heine + Jud mit. Lautere Bässe hätten keine Auswirkungen auf den maßgeblichen Pegelwert von 80 Dezibel, glauben Fachleute. Gleichzeitig verbessere man aber die Klangqualität in den Zelten. Denn dort, so hatten auch passionierte Festbesucher unter den Stuttgarter Stadträten erkannt, war die heruntergeregelte Musik oft blechern und metallisch.

Amt für Umweltschutz: Lockerung wird Folgen haben

Aber dass die Bässe die Anrainer nicht stärker stören, konnten auch die Gutachter nicht garantieren. „Das ist ein bisschen ein Blindflug“, sagte Hahn. Im Amt für Umweltschutz, das Hahn untersteht, glaubt man nicht, dass die Lockerung ohne Folgen bleiben wird. Hahn unterschrieb die Mitteilungsvorlage aus dem Referat Föll trotzdem.

Dabei habe er aber nicht gewusst, sagte Hahn im UTA, dass der Festwirt Hans-Peter Grandl den geplanten Bebauungsplan für Hunderte von Wohnungen auf dem alten Güterbahnhofsgelände bekämpfe. Daher befremdete ihn im Nachhinein umso mehr, dass man die Festwirte nach Jahren des Bemühens um weniger Lärm jetzt wieder die Bässe aufdrehen lässt.

In der UTA-Sitzung drang Hahn dann darauf, dass umgehend Messungen in Nachbargebäuden vorgenommen werden, obwohl man von dort bisher keine Vergleichswerte hat.

Wirte wollen gegen die Änderung des Flächennutzungsplans angehen

Nach der Sitzung kam es sogar noch schlimmer für ihn. Da erfuhrt er auch noch, dass nicht nur Grandl seinen Bebauungsplanentwurf bekämpft, „sondern alle acht Festwirte vom Volksfest“, wie Hahn den Stuttgarter Nachrichten dann bestätigte.

Formal wollten die Wirte gegen die Änderung des Flächennutzungsplans für den Neckarpark angehen. „Inhaltlich zielt das aber voll auf den Bebauungsplan, der im Oktober gemeinsam mit dem neuen Flächennutzungsplan beschlossen werden soll“, fügte Hahn hinzu.

Damit der Wohnungsbau möglich wird und auch Klagen von derzeitigen Anwohnern gegen den Wasen-Rummel vermieden werden, muss der Lärm vom Volksfest weiter reduziert werden. Das war schon vor der Lockerung bei den Bässen klar.

Im Jahr 2011 war der Gesamtlärmpegel um fünf Dezibel zu hoch gewesen. Durch Maßnahmen auf dem Wasen konnte der Lärm, der vor dem Stadtarchiv aufschlägt, zwar um drei bis vier Dezibel reduziert werden. Vor der Feuerwache aber nur um ein bis zwei Dezibel.

Volksfest-Wirte formulieren vorsorglich Einspruch gegen die Beschlüsse

Was aber geschieht, wenn die erforderliche Beruhigung auch beim Volksfest 2015 nicht erzielt wird? Dann müsse man mal klären, „wer hier mit wem wackelt“, sagt Hahn: der Hund mit dem Schwanz oder der Schwanz mit dem Hund. Dann müsse die Stadt, auf deren Boden Schausteller und Wirte tätig sind, den Lärm stärker limitieren. Aufgeben könne man die Wohnungsbaupläne nicht: „Das ist schließlich ein Eckpfeiler unseres Wohnungsbauprogramms.“

Von einer Gerichtsklage kann man nach den Worten von Werner Klauss, Sprecher der Volksfest-Wirte, „noch lange nicht sprechen“. Man habe aber vorsorglich einen Einspruch gegen die im Oktober geplanten Beschlüsse formuliert.

Die Lösung der Lärmfrage sei eine Herausforderung. Solange man trotz großer Anstrengungen sowie vieler und kostspieliger Vorleistungen der Wirte noch keinen Lösungsweg habe, „können wir es nicht hinnehmen, dass die Planungen weitergehen“, sagt Klauss.

Jedes Volksfest bringt der Region mehr als eine halbe Milliarde Euro

Man wolle sicherstellen, dass die Feste nicht stranguliert werden. Es stehe viel Kaufkraft für die Stadt durch Veranstaltungen im gesamten Neckarpark auf dem Spiel. Das sei ein in Europa einmaliger Fest- und Veranstaltungsort. Klauss: „Wir müssen uns fragen, ob man dieses Stuttgarter Alleinstellungsmerkmal durch das Wohnungsbauprojekt gefährdet.“

Bei der Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart, Tochter der Stadt und Partnerin der Schausteller und Festwirte, fällt das auf fruchtbaren Boden. Jedes Volksfest habe eine Umwegrentabilität, also Effekte für die Region, von über einer halben Milliarde Euro, sagt Geschäftsführer Andreas Kroll. Jetzt schon könne man Hotelzimmer fürs Volksfest 2015 nicht mehr unter 135 Euro pro Tag buchen.

Es sei ein internationales Fest, habe ein jüngeres Publikum und andere Musikangebote als das Münchner Oktoberfest, der von Hahn gern angestellte Vergleich sei kaum möglich. Weniger Besucher werde es auch künftig kaum geben. Beim Volksfest 2014 musste sogar einmal für 90 Minuten der Zugang geschlossen werden.

Kroll wirbt für ein maßvolles, pragmatisches Vorgehen

Beim Lärm seien auch nicht mehr die Festwirte das Problem gewesen, sondern acht Ausreißer bei den Schaustellern, sagt Kroll. Das Reden in den Zelten könne man leider nicht verbieten. Weitere Maßnahmen drohten den Charakter des Volksfestes zu verändern.

Kroll schließt nicht aus, dass man im Herbst über das Abdrehen der Lautsprecher im Außengelände und weiteres Zurückdrehen in den Zelten reden wird. Aber er hofft, dass die Erfahrungen bei diesem Frühlingsfest zu weiteren Maßnahmen beim Volksfest führen, die zu verkraften sind.

Kroll wirbt jedenfalls für ein maßvolles, pragmatisches Vorgehen. Ginge Hahn nicht Ende August in den Ruhestand, würde Kroll ihn vermutlich noch aufs Volksfest einladen. Denn: „Ich glaube, der Bürgermeister war schon arg lang nicht mehr auf dem Volksfest.“