Auch wenn es schüttet: Der Aufbau läuft. Foto: LICHTGUT/Max Kovalenko

Drei Jahre lang musste man auf das 175. Cannstatter Volksfest warten. Jetzt wird nicht nur auf dem Wasen gefeiert. Zeitgleich wird auch auf dem Schlossplatz zum zweiten Male das Historische Volksfest aufgebaut.

Lange herrschte Ruhe. Grabesruhe. Mit dem Frühlingsfest kehrte an Ostern wieder Leben auf den Wasen zurück. Dann kamen Iron Maiden, die Fantas, Rammstein und die Toten Hosen. Jetzt darf auch das Cannstatter Volksfest sein Comeback feiern. Am Freitag, 23. September, beginnt das größte Fest des Landes.

Cholera, Kriege und Corona

Es sind keine guten Zeiten, wenn das Volksfest abgesagt werden muss. Zwei Dutzend Male seit der Stiftung 1818 blieb der Wasen leer im Herbst: Kriege, Überschwemmungen, Hunger, Schulden, 1873 und 1892 die Cholera, und zuletzt 2020 und 2021 das Coronavirus ließen keinen Platz für Prosit und Umtata. Eigentlich ist der Schwabe ja wie gemacht fürs Social Distancing. Abstand halten liegt ihm im Blut. Bussi Bussi ist seine Sache nicht. Sitzt in einem Lokal an jedem Tisch ein Gast, geht man wieder: alles besetzt. Da ist es kein Wunder, dass man in Stuttgart seinen Schmerz anders als das hysterische Münchner Gejammere über das fehlende Oktoberfest nur in homöopathischen Dosen nach außen getragen hat: Was auch daran lag, dass es gerade die Jungen waren, die vermissten, was für sie das Fest ausmacht: sich in Tracht werfen, oder was man so dafür hält, und Party machen. Und den Jungen hat man während der Pandemie eher nicht zugehört.

Es werden drei Feste gefeiert

Doch nun darf wieder gefeiert werden. Und durch den Verzug fällt das 175. Cannstatter Volksfest mit dem 101. Landwirtschaftlichen Hauptfest und dem Historischen Volksfest auf dem Schlossplatz zusammen. Doch eines nach dem anderen. Zunächst hat die Veranstalterin in.Stuttgart samt der Wirte und Schausteller am Donnerstag das Volksfest und sein Programm vorgestellt.

Man ist etwas aus der Übung. So mancher Festwirt gestand, dass er erst einmal wieder die Aufbaupläne studieren musste. Was man früher im Kopf hatte, musste man nachlesen. Doch ein bisschen Zeit ist ja noch bis zum Auftakt. „Wir werden sicher bis in die letzten Stunden bohren, hämmern und sägen“, sagt der Wirtesprecher Werner Klauss. Am 23. September um 15 Uhr werden die knapp 250 Buden, Karussells und acht Festzelte fertig sein. Acht Festzelte? Tatsächlich. Obwohl Andreas Zaiss sein Weinzelt nicht mehr aufbaut, bleibt es bei acht Festzelten. Nina Renoldi hat aus Bremen ihre Wasenalm mitgebracht, die Platz für 2200 Gäste bietet. Dafür wird es kein Almhüttendorf geben.

Steigende Kosten

Die Vorbereitungen waren etwas andere als sonst. Die Personalsuche war durchaus spannend, wie Daniela Maier vom Göckelesmaier erzählt, man habe viel telefoniert, um Mitarbeiter zu finden. Das sei nur eine der Schwierigkeiten, mit denen man zu kämpfen hatte, sagt Klauss. „Der Krieg in der Ukraine, die hohen Energiekosten, die allgemeine Teuerung, die Lieferschwierigkeiten.“ Fritz Weeber hatte Zeltplanen für sein Dach bestellt, „die kommen hoffentlich zum Frühlingsfest“, sagt er. Jetzt will er sich mit Imprägnierspray für die Nähte behelfen. Und Kollege Michael Wilhelmer erzählt, dass er damit rechnet, dass der Auf- und Abbau seines Schwabenbräu-Zelts nun 30 Prozent mehr kostet, das schlug 2019 mit 1,1 Millionen Euro zu Buche.

Und das Bier?

Was folgt daraus? Dass auch die Maß Bier teurer wird. Die Leitwährung beim Volksfest folgt dem Gaspreis in steile Höhen. 2019 kostete der Liter Bier noch 11,20 Euro. Jetzt verlangen die Wirte zwischen 12,40 Euro und 13,20 Euro, sagt Klauss. Die Schausteller sind da erst mal defensiver, sagen deren Sprecher Linda Brandl und Mark Roschmann. „Unsere Kundschaft sind Familien, da können wir unsere Kosten gar nicht umlegen“, sagt Roschmann. Am Ende nutze ihm das aber nichts. „Die Leute sagen ja nicht, an dem Karussell habe ich weiterhin 3 Euro für die Fahrt bezahlt“, sagt Roschmann, „sondern sie kommen heim und sagen: Jetzt habe ich auf dem Volksfest 150 Euro ausgegeben.“ Mitgefangen, mitgehangen. Die Preise steigen, nicht nur beim Volksfest, hohe Inzidenzen, trotzdem keinerlei Corona-Einschränkungen, es gibt einige Unwägbarkeiten, dennoch ist Andreas Kroll, Chef von in.Stuttgart, zuversichtlich. Er rechnet mit 3,5 Millionen Besuchern. „Das sensationelle Frühlingsfest“ und viele andere Feste hätten gezeigt: „Die Menschen wollen sich treffen, sie wollen feiern.“

Der größte Bauernhof des Landes

Das gilt auch, so hoffen sie, für das Landwirtschaftliche Hauptfest auf dem Wasen, das Stuttgart während der Volksfestwoche mit den Hunderten Tieren und Agrarmaschinen in den größten Bauernhof des Landes verwandelt. Sowie das Historische Volksfest, das vom 24. September bis 3. Oktober auf dem Schlossplatz stattfindet. Mit seinen alten Fahrgeschäften und Gauklern ist es eine Zeitreise in die Geschichte des Volksfests. Das ja erstmals 1818 gefeiert wurde, als nach Zeiten schlimmster Hungersnot wieder eine Ernte eingebracht worden war. Feiern, um schlechte Zeiten zu vergessen? Das hat schon vor 204 Jahren funktioniert.