Diese Bilder wird es auch 2021 nicht auf dem Wasen geben. Das Volksfest fällt aus. Foto: dpa/Silas Stein

Das Volkfest fällt aus! Und die Welt geht unter? Die meisten Stuttgarter Bürger nehmen den Verzicht auf Rummel und Bierzelt gelassen hin. Allerdings äußern alle ihr Mitgefühl für die existenzbedrohten Schausteller und Marktkaufleute.

Stuttgart - Also kein Volksfest. Schon das zweite Jahr, in dem der Cannstatter Wasen traurig öd und leer daliegen wird, wenn er eigentlich in eine bunte, flirrende und lärmende Zauberwelt und einen Hort ganz handfester Genüsse verwandelt sein sollte. Sollen Dirndl und Lederhosen wieder im Schrank verstauben, weil ihnen das passende Bierzelt-Szenario verwehrt ist? Und wie und wo soll man sich in der Zeit vom 24. September bis zum 10. Oktober sonst vergnügen? Reichen die Buden und Fahrgeschäfte in der Innenstadt? Da müssen doch die annähernd vier Millionen Besucher, die das zweitgrößte Volksfest Deutschlands jährlich stürmen, schier verzweifeln. Und wo bleiben die Protest-Demos? Kaum eine Rede davon. Stattdessen überwiegende Gelassenheit angesichts der Entscheidung der Stadtverwaltung, wenn man die Stuttgarter Bürger befragt. Und mehr Zustimmung als Ablehnung. Sofern überhaupt Begeisterung oder wenigstens Interesse für diese Lustbarkeit vorhanden ist.

Für die Brauereien ist es eine Katastrophe

„Mir ist es egal, ich gehe sowieso nicht aufs Volksfest“, sagt Stefanie Alber, die gerade auf dem Schillerplatz inmitten der Blumenstände mit ihrer Freundin Brigitte Laurenz plauscht. Aber sie habe Mitgefühl mit allen, die auf dem Wasen ihr Geld verdienen und nun wieder um ihre Existenz bangen müssen. Dieses Mitgefühl hat einen besonderen familiären Grund: „Mein Bruder Martin Alber ist Chef von Stuttgarter Hofbräu, und für den ist es eine Katastrophe“, verrät sie. Doch selbst diese enge Verbindung zur Quelle der Volksfestfreuden kann sie nicht ins Bierzelt locken: „Ich gehe lieber ins Museum.“ Denn Stefanie Alber ist Kunsthistorikerin. Genau wie ihre Freundin seit Studienzeiten, Brigitte Laurenz, die es als viel schlimmer bezeichnet, dass die Menschen so lange auf Museen und alle anderen Kultureinrichtungen verzichten mussten: „Kultur ist lebensnotwendig“, sagt die 59-Jährige. Dass Schaustellern und Marktkaufleuten als Ersatz ermöglicht werden soll, sich von Juli bis September in der Innenstadt zu präsentieren, hält Brigitte Laurenz für eine „Witznummer“: Das ist doch kein Ersatz. Ich finde, das Volksfest sollte stattfinden.“

Mitleid mit den Schaustellern

„Die Absage tut uns leid für die Schausteller, Wirte und Marktkaufleute, die jetzt schon im zweiten Jahr diesen Verdienstausfall hinnehmen müssen“, sagt das Ehepaar Wolf-Jürgen und Inge Kleppin aus Warmbronn. Sie selbst seien schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf dem Volksfest gewesen: „Ja früher, da sind wir mit den Kollegen regelmäßig hingegangen“, erinnert sich Kleppin, der unter anderem bei der Polizei in Göppingen war. Die Schießbuden, lacht er, seien für ihn als gelernten Förster und Sportschützen das bevorzugte Ziel gewesen.

Angesichts des Gedränges die richtige Entscheidung

Die Absage des Cannstatter Volksfestes war schon am frühen Morgen Gesprächsthema bei der Familie Ragoßnig auf der Fahrt in die Markthalle. Vater Heribert, Mutter Dagmar und Tochter Stefanie waren sich einig: „Es ist die richtige Entscheidung.“ Stefanie Ragoßnig, die ihr Kosmetik-Studio im ersten Lockdown aufgegeben hat und jetzt im Obst- und Gemüsehandel der Eltern mitarbeitet, fürchtet, dass sich nach zwei Wochen Volksfest mit dem üblichen Gedränge die Pandemie wieder ausbreiten könnte: „Dann müssen alle Friseure und Kosmetikerinnen, die jetzt endlich wieder arbeiten können, erneut ihr Geschäft schließen“, denkt sie an die ihr vertraute Branche. Dass ein bisschen Rummel in die Innenstadt verlegt wird, findet sie dagegen gut. „Da hat keiner was dagegen“, sekundiert Vater Heribert.

Es gibt auch Fans: „Eine idiotische Entscheidung“

Während einige junge Damen auf der Königstraße auf das Stichwort Volksfest nur abwinken oder sich als Nicht-Besucher outen, ist Werner Grün – „ich war Eisenbahner und bin verwandt mit Pater Anselm Grün“ – ziemlich ungehalten: „Eine idiotische Entscheidung“, schimpft er. Und bekommt Unterstützung von Knut Krüger, der als FDP-Mitglied lange im Bezirksbeirat von Sillenbuch saß: „Ich finde die Absage nicht in Ordnung. Man kann nicht ständig alle Freiheiten der Bürger beschneiden, und die Schausteller brauchen die Möglichkeit Geld zu verdienen“, vertritt er die eindeutig liberale Haltung. Die Politiker machten es sich mit einer Absage zu einfach, findet er auch im Hinblick auf junge Leute: „Die brauchen ein Ventil. Zum Beispiel beim Volksfest. Das hätte man so organisieren können, dass die Gefahr wieder ansteigender Corona-Zahlen gebannt gewesen wäre.“