Schlägereien und Schüsse: In Calais eskalieren Spannungen unter Migranten. Dort sammeln sich trotz harter Linie der Polizei weiter Menschen, die illegal nach Großbritannien gelangen wollen.
Calais - Nach schweren Auseinandersetzungen zwischen Migranten in Calais hat Frankreich zusätzliche Bereitschaftspolizisten in die Hafenstadt beordert. Innenminister Gérard Collomb beklagte ein „nie gekanntes Ausmaß“ der Gewalt. Die Situation für die Einwohner der Stadt am Ärmelkanal sei „unerträglich“, sagte er in der Nacht zum Freitag. „Wir können nicht das Recht des Stärkeren in unserem Land herrschen lassen.“
Afrikanische und afghanische Migranten waren am Donnerstag mehrfach aneinandergeraten - dabei fielen auch Schüsse, auf Fotos waren mit Stöcken bewaffnete Männer zu sehen. Die Präfektur des Verwaltungsbezirks Pas-de-Calais meldete 21 Verletzte, fünf Migranten erlitten Schussverletzungen. Vier von ihnen wurden lebensgefährlich verletzt, eine Person war auch am Freitag noch in Gefahr. „Wir haben Kriegsszenen gesehen. Ich verstehe das nicht“, sagte ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation dem Sender BFMTV.
Zusammenhang mit Schleuserbanden vermutet
Das Innenministerium teilte mit, dass vermutlich ein Afghane auf eine Gruppe Eritreer geschossen habe. Wie es zu den Auseinandersetzungen kam, ist noch nicht geklärt. Innenminister Collomb sagte aber, es handele sich nicht um „spontane Phänomene“, und legte einen Zusammenhang mit Aktivitäten von Schleuser-Banden nahe. Nach Angaben der Regionalzeitung „La Voix du Nord“ sagte er am Freitagvormittag, dass es bislang noch keine Festnahme gegeben habe.
In Calais sammeln sich seit Jahren Migranten, die illegal nach Großbritannien gelangen wollen. Der Staat hatte im Oktober 2016 ein als „Dschungel von Calais“ bekanntes riesiges inoffizielles Flüchtlingscamp geräumt und verhindert seitdem die Entstehung neuer Elendslager. Der Hafen, von wo Fährschiffe nach Dover ablegen, ist streng abgeschirmt - erst kürzlich hatte London Frankreich etwa 50 Millionen Euro für neue Grenzschutzmaßnahmen zugesagt. Trotzdem halten sich nach Schätzungen mehrere Hundert Migranten in der Region auf, laut Hilfsorganisationen unter sehr prekären Bedingungen.
François Guennoc von der Organisation Auberge des Migrants verwies im Sender BFMTV darauf, dass Schleuser in Calais versuchten, für die Migranten wichtige Orte zu kontrollieren. Der Präsident der Hilfsorganisation Salam, Jean-Claude Lenoir, sprach bei Franceinfo von Verbitterung bei den Migranten, die er auf „tägliche Belästigung“ durch die Sicherheitskräfte zurückführte. Die Organisationen werfen der Polizei immer wieder vor, zu hart gegen Migranten vorzugehen und etwa Zelte wegzunehmen. „Diese Spannung hat eine Auswirkung: Das lässt den Schleusern freie Bahn.“
Polizei musste eingreifen
Collomb entgegnete in Richtung der Kritiker, dass die Bilanz der Auseinandersetzungen noch schlimmer hätte ausfallen können, wenn die Polizei nicht eingegriffen hätte. Er war noch in der Nacht zu einem eilig angesetzten Besuch in Calais eingetroffen und kündigte an, dass am Freitag zwei zusätzliche Kompanien der Bereitschaftspolizei in Calais eintreffen sollten. Um ähnliche Vorfälle künftig zu verhindern will der Staat demnächst die Essensausgabe an Migranten übernehmen, die bislang von Hilfsorganisationen gestemmt wird. Collomb forderte die Migranten erneut auf, sich in Aufnahmezentren in Frankreich zu begeben: In Calais gebe es keine Lösung für sie.