Er machte das Café Weiß zu einem ganz besonderen Ort: 2010 ist Heinz Weiß (hier ein Foto aus den 1990er Jahren) mit 74 gestorben – sein Sohn will sein Erbe fortführen. Foto: Kraufmann

Hier war die Heimat von Halbwelt und Halbhöhe: Das Café Weiß, so hört man in der Stadt, wird nach 60 Jahren geschlossen. Das Stadtmuseum will sich das Inventar sichern. Besitzer Bernhard Weiß aber versichert: Das Erbe von Vater und Großvater wird fortgeführt. Ein Mythos und seine Geschichten.

Stuttgart - Mit dem Blümchenmuster auf samtigen Tapeten, der Skulptur eines dicken Mönchs auf dem Tresen und einem Kronleuchter, der Pufflicht im Raum schummrig verteilt, hat das Café Weiß nur geringe Chancen auf einen Platz im Magazin „Schöner Wohnen“. Schon immer war das Lokal beim Hans-im-Glück-Brunnen der Gegenentwurf zum Zeitgeist, es war der Ort, an dem Mythen entstehen. Unvergipst erinnert ein Einschussloch an längst abgelaufene Rotlicht- und Ganoventage. Es scheint, als sei der plüschige Charme des alten Stuttgarts in den schweren Vorhängen hängen geblieben.

Die Zeit hat keine Macht über diese Räume, nur über die Menschen. Der erste Chef, Alois Weiß, ist 1977 mit 67 gestorben, der zweite Chef, Heinz Weiß, 2010 mit 74.

„Dieses Café hat in Stuttgart eine so wichtige Rolle gespielt“, sagt Gerhard Goller, der über mehrere Jahrzehnte die Gaststättenbehörde im Rathaus geleitet hat, „dass man es zum Weltkulturerbe erklären müsste.“

Und mit diesem Erbe soll Ende März Schluss sein? Wirt Ranko, der nach dem Tod von Heinz Weiß die Geschäfte mit reichlich Wodka und Schokolade weitergeführt hat, zieht sich nach 40 Berufsjahren in den Ruhestand zurück. Inhaber Bernhard Weiß bedankt sich ausdrücklich bei ihm. In der Stadt jedoch ist die Aufregung groß: Verschwindet wieder ein historischer Ort? Kommt da ein Schickimicki-Laden rein?

Großvater Weiß war ein nobler Herr

Bernhard Weiß, der Sohn aus erster Ehe von Heinz Weiß, hält den Zusammenhalt der Familie hoch. „Es wird im Sinne von meinem Vater und Großvater weitergehen“, verspricht der 51-Jährige. Toiletten und elektrische Anlagen müssten saniert werden, doch am 8. Mai gehe es mit neuem Pächter im alten Ambiente weiter. Im Sinne des Vaters war es, dass Bernhard Weiß, der beim Softwarehersteller SAP in Walldorf arbeitet, niemals selbst in der Gastronomie tätig wird. „Wenn du das machst“, soll der Vater gesagt haben, „hau ich dir die Haxen weg!“ Den Stress und die familienunfreundlichen Arbeitszeiten in der Gastronomie wollte er ihm nicht zumuten. Mit acht Jahren zog der Junior nach der Scheidung seiner Eltern mit der Mutter in die USA. In den Sommerferien kam er stets nach Stuttgart und lernte die Welt seines Vaters und Großvaters kennen.

Es war nicht unbedingt eine heile Welt, aber eine behagliche, in der die Menschen ein großes Herz hatten und tolerant waren, in der die Hure neben dem Theaterintendanten saß und der Anwalt beim Zuhälter.

Großvater Weiß war ein nobler Herr, meist vornehm gekleidet und mit guten Manieren. Auf alten Fotos sieht er ein bisschen aus wie ein Schauspieler aus Hollywood. Sein Beruf: Schneidermeister. An der Oberen Bachstraße (die heute vom Schwabenzentrum überbaut ist) führte er eine Schneiderei, aus der 1953 mit amtlicher Genehmigung ein Schnellimbiss wurde. Die Schneiderei war nicht allein berühmt für gute Stoffe und Schnitte, wie die vom Zentrum Weissenburg und vom Stadtarchiv erarbeitete Ausstellung „Homosexuellenverfolgung in Stuttgart“ nachweist. Es war die Zeit, als Toleranz chancenlos schien und viele Schwule mit Frauen verheiratet waren. Das Geschäft von Alois Weiß sei unter der Woche „eine ganz brave Schneiderei“ gewesen, erinnern sich zwei Zeitzeugen, die Rentner Reiner P. und Johann W., „aber am Wochenende gab es dort Tanz für Homosexuelle“. Hinter der Schneiderei befanden sich Räume, in die sich die Männer unbeobachtet zurückziehen konnten. „Es war völlig harmlos, nur Tanz und Musik.“ Kam die Polizei, konnten die Tänzer im Hinterzimmer gewarnt werden. Die Musik wurde sofort abgestellt.

Immer mehr ein kultureller Treff

1961 ging’s in die Kulmbacher Bierstuben an der Geißstraße, aus der das bis heute plüschig konservierte Café Weiß geworden ist. Dank Verhandlungsgeschick gab es eine der damals noch raren Sperrzeitverkürzungen. Man erzählt sich, dass Weiß wie auch die findigen Chefs der Nachtclubs der Vereinigten Hüttenwerke den damaligen Leiter des Ordnungsamte diskret auf dessen dunkle Vergangenheit als SS-Mann in besetzten Gebieten hingewiesen haben, weshalb es mit der Sperrzeitverkürzung problemlos klappte.

Im Café Weiß trafen sich weiterhin Schwule – doch auch Damen fanden sich nun ein. Der menschenverachtende Paragraf 175 verlangte Raffinesse. Chef Weiß holte Prostituierte ins Haus. So konnte man der Ordnungsmacht keinen Vorwand liefern, um einzuschreiten. Nach Streichung dieses Paragrafen wurde das Lokal immer mehr zum kulturellen Treff. Alle waren da: der Buchhändler Wendelin Niedlich, sogar Willy Brandt sowie die italienischen WM-Helden von 1974. Die Prominenz ihres Freiers, des Torwarts Dino Zoff, soll eine Dame so sehr die Sinne vernebelt haben, dass sie vergaß, ihre Gage zu kassieren. Dann habe sie sich bei ihm beschwert – dieses Zitat erzählt man sich heute noch gern: „Dass du da Verstand zwischa de Füeß hosch, han e jo g’wisst. Aber dass dees so wenig isch, hätt‘ e ned denkt.“

Diese schönen Geschichten vom Café sollen nicht enden. „Meine Frau und ich sorgen dafür, später unsere Söhne“, versichert Bernhard Weiß. Das Familienerbe sei ihm sehr wichtig. Stuttgart behält einen Ort der Mythen – ein lebendiges Museum.