Der Karl-Benz-Platz ist ein junger Platz. Er entstand 1992 durch die Umgestaltung des Verkehrsknotens hinter dem Untertürkheimer Bahnhof. Er führt ein Schattendasein.
Untertürkheim - Verkehrsknotenpunkt, Bahnhofsvorplatz oder Festplatz? Der Karl-Benz-Platz in Untertürkheim führt ein Schattendasein. Zwei Stadtbahn-, zwei Buslinien, S-Bahn- und Regionalzüge fahren ihn an. Rund 40 000 Fahrzeuge passieren ihn täglich, Tausende Fußgänger huschen auf dem Weg zur Arbeit und Schule über ihn, aber nur wenige verweilen auf ihm. Er wird von der Bevölkerung nicht als Platz mit Aufenthaltscharakter angenommen. Das liegt auch an seiner Geschichte. Erst vor 30 Jahren, im Sommer 1992, bekam er seinen Platzcharakter. Er sollte das Ortszentrum mit dem Lindenschulviertel verbinden. Der Bahnhof trennte bis dahin Untertürkheims Ortskern von „der anderen Seite des Bahnhofs“.
Bunkerbau während des Weltkriegs
Ortschronist Eberhard Hahn hat die Entwicklung des Geländes hautnah miterlebt. „In den 1940er-Jahren wurde dort der Tiefbunker gebaut. Bei Bombenangriffen suchten wir dort Schutz in der uns zugeteilten Kabine.“ Im 1500 Quadratmeter großen, unterirdischen Schutzraum kamen im Zweiten Weltkrieg rund 1280 Menschen unter. Embed-Code: Erst 2016 wurde er als Zivilschutzraum aufgegeben. „Nach Ende des Krieges diente das Gelände unter anderem der Firma Kaiser& Zoller als Firmensitz mit Gleisanschluss für die Anlieferung von Eisen und Metallen“, erzählt Hahn. Autos und Straßenbahnen teilten sich die Fahrbahn der Wunderstraße.
Auf der Seite des Daimler-Firmengeländes stand ein signifikanter Hochbunker: der Winkelturm mit dem größten Fassungsvermögen in Stuttgart. Das massive Bauwerk wurde Ende der 60er-Jahre abgetragen. Über die öffentlich nutzbare Mercedesstraße fuhren Autos durch das Mercedes-Benz-Werk in Richtung Cannstatter Wasen und zu den Bundesligaspielen des VfB strömten die Fans durchs Werksgelände ins Neckarstadion und nach Siegen wieder fahnenschwenkend zurück. Erst mit dem Bau der Benzstraße wurde die Straße für den Verkehr gesperrt.
Autos umkurvten den Daimler-Parkplatz
Mitte der 1960er-Jahre, so Hahn, folgte der nächste Einschnitt für den Bereich zwischen Untertürkheimer Bahnhof und dem Elektrizitätskraftwerk. Kaiser & Zoller verlegten ihren Firmensitz nach Wangen. Stadtplaner entschlossen sich, den Bereich umzugestalten: Die Straßenbahnhaltestellen der Linie 13 und 4 erhielten von Autos getrennte Haltestellen. „Am Arlbergdurchlass wurde mit großem Aufwand eine Fußgängerunterführung gebaut, durch die die Daimler-Beschäftigten vom Bahnhof aufs Werksgelände und zurück gelangen“, erinnert sich Hahn. Auch vom Inselkraftwerk zum gegenüberliegenden Stadtbad, das freilich erst 1971 gebaut und eingeweiht wurde, führte und führt heute noch eine Unterführung.
Damals moderne Unterführungen
Fußgänger wurden in den Untergrund geschickt – Autos bestimmten damals das Geschehen vor dem Bahnhof: Auf dem Kaiser& Zoller-Gelände stellten die Beschäftigten ihre Autos ab. Um den „Daimler-Parkplatz“ führten mehrspurige Einbahnstraßen. Wer von Wangen oder Bad Cannstatt in den Untertürkheimer Ortskern gelangen wollte, musste den Parkplatz umrunden. Staus waren programmiert. Es war laut, stickig und gefährlich. Schülerinnen und Schüler mussten auf ihrem Weg von den Haltestellen oder dem Bahnhof ins Lindenschulviertel Fußgängerwege überqueren. Eine aus heutiger Sicht unvorstellbare, alles beherrschende Verkehrsdrehscheibe aus Insel-, Wunder- und Benzstraße.
Filigrane Stegverbindungen
Mitte der 1980er-Jahre erkannten auch die Stadtgestalter den Missstand. Sie drängten auf eine Umgestaltung und Oberbürgermeister Manfred Rommel unterstützte den Vorstoß. Die Bauarbeiten begannen 1988. Die Verkehrsführung wurde komplett geändert. Der Autoverkehr wurde im südlichen Bereich gebündelt, so dass die Benutzer des Öffentlichen Nahverkehrs seitdem ihre Haltestellen ungestört erreichen können. Filigrane Fußgängerstege überbrücken die Straßen: der Wundersteg zum Lindenschulviertel und die spindelförmige Brückenverbindung zum Untertürkheimer Tor des Mercedes-Benz-Werks.
Platz mit Aufenthaltscharakter
Gleichzeitig entstand eine Fläche, die den Namen Platz verdient. Der Architekt, Professor Schreiber, lässt mehrere Fußgängerwege sternförmig auf die Bahnhofsunterführung zustreben. Passanten können ungestört von einer Haltestelle zur nächsten wechseln und es sind gleichzeitig genug Freiflächen vorhanden, um sich zu treffen und Veranstaltungen zu feiern. Die erste Gelegenheit bot sich am 28. August 1992. OB Rommel weihte den Platz mit den Worten „Es ist eine gute und vernünftige Lösung“ ein. Die Stadt hatte 32 Millionen Mark investiert. Insgesamt pflasterten die Handwerker 3000 Quadratmeter Fläche, beackerten 10 000 Quadratmeter Grünareal und legten zehn Kilometer Kabel. Die Untertürkheimer strömten an dem heißen Freitag zum Einweihungsfest. In den darauffolgenden Jahren blieb der Karl-Benz-Platz – über die Benennung nach dem Autopionier aus der Kurpfalz entbrannte übrigens eine heftige Diskussion – meist verwaist. Feste und Veranstaltungen wurden selten gefeiert.
Ende der Straßenbahn nach Obertürkheim
Auch 1992 war die Umgestaltung noch nicht fertig. Zwei Jahre später war Rommel abermals zu Besuch. Das Stadtbahnzeitalter hielt Einzug: Die U4 endet seitdem am Karl-Benz-Platz. Nur noch eine Buslinie fährt fortan auf der einstigen Straßenbahnroute nach Obertürkheim. Der nächste Meilenstein bahnte sich damals bereits an. Auch der 13er wurde im Jahr 1997 auf Stadtbahnbetrieb umgestellt. Voraussetzung dafür war der Bau des neuen Arlbergtunnels. Die Züge müssen seitdem nicht mehr durch den engen Durchlass kurven und ihn sich mit Autos teilen. Noch vor dem Millennium gab es zwei Ergänzungen: Seit 1998 steht der blaue Infoturm vor der Bahnhofsunterführung und kurze Zeit später stellte die Stadt einen Skaterpark auf. Das Interesse war jedoch kurz und die Elemente wurden abgebaut.
Hoffnung auf IBA 2027
30 Jahre nach der Schreiberschen Platzplanung diskutieren Bezirksbeiräte, Stadtplaner, Architekturstudierende und Behörden abermals darüber, wie der Platz attraktiver gemacht werden könnte. Das neue Ziel ähnelt dem alten: Der Ort müsse besser mit dem Neckar und dem Lindenschulviertel verbunden werden, der Platz die Bürger zum Verweilen locken. Die Hoffnung ruht dabei auf der IBA 2027.