Die vielen Sportplätze standen schon früher im Schatten des Fernsehturms. Foto: Landesarchiv/StAL/EL-68IX-2408, LGL

Im Rahmen unserer Serie BW von oben schauen wir heute auf das Stuttgarter Wahrzeichen auf der Waldau.

Stuttgart - So ändern sich die Zeiten: Als der Stuttgarter Fernsehturm Anfang der 1950er Jahre gebaut wurde, hagelte es schon in der Vor-Social-Media-Ära Proteste. In Leserbriefen erregten sich die Bürger darüber, dass der Turm über die umgebenden Baumwipfel rage und aus allen Himmelsrichtungen sichtbar sei. Von Schildbürgerstreich, gar von einem „Schandmal“ war die Rede.

Ähnliches begab sich, als der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) im März 2013 die sofortige Schließung des Stuttgarter Wahrzeichens wegen Defiziten beim Brandschutz verkündete. Nun tobten die Bürger in Facebook-Gruppen und forderten die sofortige Wiedereröffnung des mehr als 216 Meter hohen Bauwerks, der über dem Stuttgarter Talkessel thront. So wandelt sich der Zeitgeist: Mittlerweile ist der Fernsehturm Anwärter auf die Auszeichnung als Weltkulturerbe.

Bauzeit betrug nur knapp zwei Jahre – heute kaum noch vorstellbar

Der Turm mit seiner Aussichtsplattform samt gastronomischem Angebot war ursprünglich als reiner TV-Sendemast konzipiert. So wollte der damalige Süddeutsche Rundfunk (SDR) den störungsfreien landesweiten Empfang für das damals noch in den Kinderschuhen steckende Fernsehen sicherstellen. Geplant war ursprünglich ein 200 Meter hoher Stahlgittermast. Als der Stuttgarter Regierungsbaumeister und Bauingenieur Fritz Leonhardt davon erfuhr, begeisterte er den SDR für seine Idee, nicht nur einen reinen Sendemasten, sondern einen Aussichtsturm inklusive Café zu bauen. Bei der Stadt und dem damaligen Rathauschef Arnulf Klett stießen die Pläne auf Ablehnung, so dass der SDR 1954 beschloss, den Turm auf eigene Rechnung zu bauen. Im Juni 1954 rollten die Bagger an.

Heute ist es kaum noch vorstellbar, dass die Bauzeit lediglich knapp zwei Jahre betrug und sich die Kosten nur auf circa 4,2 Millionen Mark beliefen. Schon im Oktober 1955 startete der Sendebetrieb, 1956 folgte die offizielle Einweihung. Seither wirft der Fernsehturm vom hohen Bopser aus seinen langen Schatten über die Waldau und weit darüber hinaus. Er ist zudem Anziehungspunkt für Tausende von Besucher, die sich im Aufzug in 36 Sekunden auf die untere Aussichtsplattform bringen und den Blick über den Stuttgarter Talkessel schweifen lassen. Auch die englische Königin Elisabeth II. und ihr Mann Prinz Philip haben 1965 auf Einladung der Stadt bei ihrer Staatsvisite diesen Ausblick genossen. Seit 1986 genießt der Fernsehturm den Status eines „Kulturdenkmals“ von besonderer Bedeutung.

Um den Turm herum wird vor allem viel Sport getrieben

Auch drumherum hat sich in den Jahren einiges getan. Die schon Mitte der 1960er Jahre auf der Hochebene vorhandenen zahlreichen Sport- und Freizeitflächen wurden neu geordnet, das Stadion der Stuttgarter Kickers in unmittelbarer Nähe des Turms von einer ovalen Arena in eine den Anforderungen höherer Fußballligen entsprechende Sportanlage mit einem Fassungsvermögen von rund 11 000 Zuschauern inklusive Flutlichtmasten umgebaut und mit Tribünen versehen. Heute trägt sie den Namen des Molkereiprodukteproduzenten und Sponsors Gazi. Rein sportlich sind die Kickers, die dort seit 1905 dem runden Leder hinterherjagen, nach zwischenzeitlichen Höhenflügen in der ersten und zweiten Bundesliga allerdings wieder dort angekommen, wo sie schon beim Bau des Fernsehturms waren – nämlich in der Oberliga.

Zusätzliche Sportangebote kamen im Lauf der Jahre hinzu: Das Kletterzentrum auf der Waldau, zunächst nur im Außenbereich und seit 2005 auch Indoor, entstand, ebenso die heutige Eislaufwelt. Bis 1977 eine reine Freilufteisfläche, sind es heute zwei moderne beheizbare Eislaufhallen, die Schlittschuhläufern und Eishockey-Teams beste Trainings- und Wettkampfbedingungen bieten. Zahlreiche weitere Vereinssportanlagen, die Bezirkssportanlage für Fußball und Leichtathletik sowie weitere Bewegungsangebote runden das Angebot ab.

Degerlocher müssen sich ihr Naherholungsgebiet mit vielen teilen

Für viele Einwohner des Stadtbezirks Degerloch war und ist die Gegend rund um den Fernsehturm vor allem ein Naherholungsgebiet, das sie sich heute mit vielen Freizeitsportlern und Besuchern aus ganz Stuttgart teilen müssen. Zahlreiche gastronomische Angebote in den Vereinsheimen und Restaurants locken speziell im Sommer viele Stuttgarter auf die Waldau – nicht immer zur Freude der Degerlocher.

Zurück zum Fernsehturm: Der hat für die Ausstrahlung von TV-Programmen schon seit dem Jahr 2006 keine Bedeutung mehr. Das übernimmt mittlerweile der benachbarte Fernmeldeturm auf dem Frauenkopf. Seine Bedeutung als markanter Aussichtspunkt für Ausflügler und Touristen aus nah und fern bleibt dagegen unangetastet, und er macht seinem Namen weiterhin alle Ehre: Bei klarem Himmel ist er im wahrsten Sinn des Wortes ein Fern-Seh-Turm.