Wer küsst wie in welchem Land? Foto: dpa

Es gibt 200 Varianten jemanden zu küssen. Und jedes dieser Lippenbekenntnisse hat eine andere Bedeutung – erst recht im Ausland. Wir klären am Tag des Kusses auf, wie sich in Belgien, Italien, Kanada und Co. die Menschen näherkommen und was es mit den Bussis, Knutschern und Besos auf sich hat.

Stuttgart - Der 6. Juli gilt als Welttag des Kusses. Eine wunderbare Gelegenheit mal bei den Korrespondenten unserer Zeitung nachzufragen, was den Kuss in ihrem Land so besonders macht. Ist er besonders schüchtern, vielleicht sogar verschämt oder eher hemmungslos und wild? Darf Zunge sein – oder bitte bloß nicht? Das sind die Antworten.

Spanien: Küsschen, Küsschen

Hochzeitsfoto von 2004: König Felipe VI. von Spanien (damals noch Kronprinz) küsst seine Frau Letizia. Foto: EFE
„El beso“ ist ein Paso doble von 1947, und der geht so: „Die Spanierin, wenn sie küsst – olé! –, dann küsst sie wirklich, und keine interessiert es – olé! –, aus Leichtfertigkeit zu küssen.“ So wollte das Franco-Regime seine Frauen haben. Darüber lachen Spanierinnen heute. Sie küssen aus Lust oder Liebe oder beidem. Was aber geblieben ist: keine Begrüßung oder Verabschiedung ohne Küsschen links und Küsschen rechts. Von Mann zu Mann gibt man sich in Spanien die Hand. Unter Freunden wird auch geküsst. Manchmal auch auf den Mund, so wie die Podemos-Politiker Pablo Iglesias und Xavier Domènech 2016 im Parlament: als revolutionäres Manifest! So viel Macht hat der Kuss in Spanien noch. (mda)

China: Kuss als Lebensretter

Öffentliche Küsse? Was im Rest des Landes ein Tabu ist, kann in Shanghai schon wieder herausfordernd sein. Foto: AP
Die Küsschen-Kultur ist in Asien generell schwächer ausgeprägt: Japaner berühren sich in der Öffentlichkeit lieber gar nicht und Südkoreaner sind ebenfalls zurückhaltend. Die Chinesen umarmen sich immerhin, aber in der Öffentlichkeit die Lippen zusammenbringen? Das geht den meisten Paaren zu weit. Umso berühmter wurde kürzlich daher ein mutiger Kuss, der ein Leben rettete. Ein 16-jähriger Junge stand in der Stadt Shenzhen kurz davor, Selbstmord zu begehen. Eine 19-jährige Kellnerin namens Liu, die zufällig vorbeikam, rettete die Lage. Sie gab sich als die Freundin des Jungen aus und gelangte so hinter die Absperrung. Mit einem Kuss überrumpelte sie den 16-Jährigen, der sich von ihr trösten ließ. Liu war die Heldin der Abendnachrichten. Ihr Chef beklagte sich später, dass das Handy der Kellnerin wegen all der Interviewanfragen nicht mehr stillstand. (fmk)

Italien: In Rom wird es laut

Die Filmszene aus dem Film „La Dolce Vita“ von Federico Fellini von 1960 Foto: EPA
Ungeküsst geht in Rom niemand zu Bett. Bereits beim Begrüßungsküsschen im Freundeskreis geht es ordentlich zur Sache. Am Ohr wird hier nichts vorbeigehaucht, Körperkontakt ist Pflicht – auch unter Männern. Geht die Nonna zu Werke, wird es vor allem laut. Das dröhnende MWAH!, das auf den kleinen Liebling niedergeht, drückt den unmessbaren Großmutter-Stolz aus und sollte bis zur übernächsten Piazza zu hören sein. Den Kuss der Liebenden macht Rom selbst zu etwas Magischem: der Tiber glitzert, die beleuchteten Kuppeln dienen als schummrige Kerzen, das unebene Kopfsteinpflaster lässt die Beine weich werden. (asf)

Russland : Knutschen auf der Parkbank

Wird es draußen warm, geht es bei den Russen auch mal heiß her. Foto: AFP
Wenn Russen küssen, dann tun sie es „ganz und vollständig“. So sagt es schon allein das russische Wort für Kuss: pozeluj (in ihm steckt zelyj drin, eben „ganz“). Es gibt den Ikonenkuss, den Kreuzkuss, den sozialistischen Bruderkuss. Alles quasi standardisierte Dinge. Doch es gibt auch ihn, den Sommerkuss, manchmal leicht und unschuldig, manchmal wild und ungehemmt. Kaum steigen die Temperaturen in Russland, fliehen die Verliebten aus ihren meist viel zu engen Wohnungen, die sie mal mit den Eltern, mal mit den Schwiegereltern oder gar mit den jeweils neuen Partnern ihrer getrennten Eltern teilen, nach draußen. Die Parkbank wird so schnell zur Knutschzone. (inn)

Kanada: „Mehr Küsse, weniger Eishockey“

Das Foto, das um die Welt ging: Ein küssendes Paar während der Randale in Vancouver. Foto: GETTY IMAGES NORTH AMERICA
Kanadierinnen wünschen sich, dass ihre Partner gut küssen können und scheinen diesbezüglich auch ganz zufrieden zu sein. Und Lippenküsse allein genügen ihnen nicht. Sie wünschen sich Zungenküsse, während Männer den sinnlich-lustvollen Lippenkontakt eher bevorzugen. Eine Umfrage einer Dating-Website zeigt aber auch, dass sich Männlein und Weiblein in Kanada häufigeres Küssen wünschen. 88 Prozent sagten, sie erhofften sich von ihrem Partner oder ihrer Partnerin mehr Initiative und häufigere Küsse. „Etwas weniger Eishockey und mehr Küssen“, empfiehlt daher ein Boulevardblatt in Toronto. (gb)

Niederlande: Der Kuss als Kulturgut

2002 küsst der damalige niederländische Kronprinz Willem-Alexander seine frisch angetraute Frau Maxima . Foto: dpa
Küssen ist ein Ritual in den Niederlanden. Es wird geküsst, geküsst, geküsst. Bekannte und Freunde küssen sich bei jedem Treffen zur Begrüßung und zum Abschied dreimal auf die Wange. Gute Freunde und Freundinnen geben auch noch ein Busserl auf den Mund dazu. Das ist jetzt der neueste Kuss-Trend in Holland. Unter Liebenden wird der fordernde Zungenkuss zelebriert als erotischer Vorgeschmack und Auftakt zum dann folgenden Liebesakt. Und nach dem Höhepunkt wird weiter geschmust. Küssen ist Kultur in Holland. Ohne Kuss geht gar nichts. (hez)

Serbien: Lebensfrohe Balkan-Küsse

Serbische Fans küssen sich bei der Fußball WM in Russland. Foto: AFP
Freunde und Verwandte werden auf dem lebensfrohen Balkan mit überschwänglichen Küssen begrüßt. Statt Luftküsse ist eher der herzhafte Wangenkuss gefragt: Auch Männer drücken sich schon einmal einen Schmatz auf die stoppeligen Wangen. Selbst bei den eigenen Kindern ist ein Kuss auf den Mund hingegen tabu. Das Küssen der Lippen bleibt den Liebespartnern vorbehalten. Wie sich knabbernde Lippen und neugierige Zungen suchen, winden und finden, ist auch auf dem Balkan ganz der Laune und Lust der Beteiligten überlassen: Zumindest beim Küssen gibt es in der Vielstaatenregion keinerlei Grenzen. (tro)

Griechenland: Küss die Ikone!

Die Griechen küssen gern und viel. Foto: dpa
Küsschen rechts, Küsschen links, wohlgemerkt immer zwei und in dieser Reihenfolge: So begrüßt man sich in Griechenland. Viel geküsst wird in den griechisch-orthodoxen Kirchen. Der Pope streckt den Gläubigen seine Hand entgegen, auf dass diese demütig einen Handkuss abliefern. Der Geistliche erteilt dafür den Segen. Viele Kirchgänger erweisen auch den Heiligenbildern in den Kapellen und Kathedralen ihre Ehrerbietung: Sie bekreuzigen sich zweimal, verneigen sich – und küssen dann die Ikone. Im orthodoxen Glauben ist dieser Kuss das Sinnbild einer intimen Beziehung zwischen dem Gläubigen und dem Heiligen. (öhl)

Schweden: Rumknutschen heißt „Hångeln“

Königin Silvia von Schweden bekommt einen Kuss auf die Wange. Foto: dpa
Die zurückhaltenden Schweden küssen gern ohne Publikum. Selbst das öffentliche Händchenhalten oder das Schlendern Arm in Arm ist eher selten. Dahingegen ist der „Hångel“, das Rumknutschen im Nachtclub, zumindest bei Teenagern bis zu unter 24-Jährigen schon fast eine Institution. In Stockholm gibt es etwa den „Klubb Hångel“, das ist ein monatlich organisierter Nachtclub: Zungenküsse werden dort großzügig aber unverbindlich ausgeteilt. Grundvoraussetzung beim „Hångel“ ist allerdings auch ein hoher Alkoholspiegel, in dem sich die allumfassende schwedische Steifheit oft explosionsartig auflöst. (anw)

Belgien: Verwirrende Begrüßung

In Brüssel gibt’s für Politiker immer Küsschen. Foto: AP
Mangels Erfahrung kann der Berichterstatter keine Aussage darüber machen, ob in Belgien von der indigenen Bevölkerung anders romantisch geküsst wird als in Deutschland. Der Begrüßungskuss auf die Wange hat es in Belgien in sich. Es stiftet immer wieder Verwirrung, wie viele „bisous“ beziehungsweise „kus“ auf die Wange des oder der anderen gehaucht werden. Die Sprachgrenze ist hier hermetisch: Im flämischen Landesteil, wo 60 Prozent der Bevölkerung wohnen und Niederländisch gesprochen wird, gibt es generell weniger Küsschen zur Begrüßung, und wenn, dann gibt es nur einen einzigen. Im wallonischen Landesteil, wo Französisch gesprochen wird, dafür umso mehr. Bis zu drei „bisous“ je Begrüßung werden verteilt. Grenzgänger zwischen den Kulturen vertun sich regelmäßig. (mgr)

Großbritannien: It is a kiss, isn’t it?

Margaret Thatcher bekommt einen Kuss von ihrem Mann Denis. Foto: AP
To kiss or not to kiss: Das ist in England mehr denn je die Frage. Und nein – mit Leidenschaft hat dies Dilemma nichts zu tun. Sondern damit, dass von Briten, denen gestern noch jeder Handschlag zu viel war an physischer Nähe, jetzt auch noch Wangenkontakt mit gespitzten Lippen erwartet wird. Ironie der Geschichte: Just da sich England absetzt von Europa, übernimmt es Gebräuche von jenseits des Kanals. Wen aber küssen? Und auf welche Wange? Einmal? Oder zweimal? Missglückte Annäherungsversuche sind die Folge. Hauptsache kühl bleiben und die Fassung nicht verlieren. Post Brexit hört vielleicht auch das wieder auf. (pn)

Mexiko: Küsse nur im Dunkeln

In Mexiko finden hin und wieder Kuss-Marathons statt. Foto: EFE
Geküsst wird in Mexiko immer und überall – morgens, mittags, abends, im Büro, auf der Straße. Aber gemach. Es ist harmlos, ein Kuss auf die Wange, hingehaucht wie ein „Hola“ und ein „Ciao“. Aber wenn es spannend wird, der Kuss nicht mehr gehaucht wird, sondern fordernd, sind die Mexikaner zurückhaltender, man könnte auch sagen: verklemmt. Die Leidenschaft zeigt sie nur zu Hause im dunklen Schlafgemach. Draußen in den Parks küssen sich die jungen Paare – dann mal Jungen mit Jungen, dann mal Jungen mit Mädchen – nur so schnäbelnd wie die Kolibris in den Bäumen. (ehr)

Südafrika: Schau mir bloß nicht in die Augen!

Luftküsse ja, echte Küsse in der Öffentlichkeit? Lieber nicht! Foto: AP
Keine Ahnung, ob sich Afrikaner auf die Wange, den Mund oder mit der Zunge küssen: Mehr als 20 Jahre nach meiner Ankunft am Kap der Guten Hoffnung habe ich noch nie erwachsene dunkelhäutige Südafrikaner in der Öffentlichkeit küssen gesehen. Der frontale Lippenkontakt ist eine Intimität, die zumindest nach traditionellen afrikanischen Vorstellungen ins Schlafzimmer gehört, und selbst dort hielt man – zumindest bis vor nicht allzu langer Zeit – den Mund gefälligst geschlossen. Selbst zur Begrüßung oder zum Abschied galten Küsse, vor allem intergeschlechtliche, als tabu: In ländlichen Gegenden, besonders unter den Zulu, schauen Frauen Männer nicht einmal in die Augen. Das ändert sich allmählich unter den „verwestlichten“, urbanen Afrikanern des Mittelstands: Trotzdem sieht man knutschende Pärchen im Stadtpark noch immer so häufig wie Karotten knabbernde Löwen im Krügerpark. (jdr)