Bundeswirtschaftsminister Altmaier und der türkische Energieminister Fatih Dönmez beim Deutsch-Türkischen Energieforum in Ankara. Foto: Anadolu

Die Entspannung im deutsch-türkischen Verhältnis wird bei der Reise des Bundeswirtschaftsministers nach Ankara offiziell. Beide Seiten wollen ihre Beziehungen zueinander verbessern. Der Opposition gefällt Altmaiers Kurs überhaupt nicht.

Ankara - Peter Altmaier folgt den türkischen Soldaten die weitläufige Treppe hinauf. Ankara liegt dem Christdemokraten ihm nun zu Füßen. Dann geht es hinein ins Mausoleum für den Republikgründer Kemal Atatürk, der hier mit Rundumblick auf die Hauptstadt verehrt wird. Der Bundeswirtschaftsminister legt einen Kranz nieder und lauscht den Fanfaren vom Tonband. Später wird er sagen, wie wichtig es ihm war, den „großen Staatsmann“ zu ehren, der die „Grundlagen rechtsstaatlichen Handelns“ gelegt habe: „Ich will meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass sich die Türkei weiter in dieser Tradition entwickelt.“

Es ist der augenfälligste Beleg dafür, dass Altmaier sich ein anderes Land wünscht als das, das er besucht. Die Realität heißt Recep Tayyip Erdogan, der türkische Präsident, der oppositionelle Denker und Schreiber zu tausenden ins Gefängnis hat werfen oder aus dem Staatsdienst hat entfernen lassen - und zudem noch Deutschland mit Nazivergleichen überzogen hat und Staatsangehörige mehrerer europäischer Staaten häufig ohne Anklage in Untersuchungshaft schmoren ließ und lässt. Mehr als 50 Deutsche sitzen in türkischen Gefängnissen, fünf davon wegen politischer Vorwürfe wie dem, den Terrorismus zu unterstützen, genauer gesagt: die Gülen-Bewegung, die Erdogan hinter dem Putschversuch vom Sommer 2016 vermutet und seither mit äußerst harter Hand bekämpft.

Berlin und Ankara zeigen sich optimisch

Als Altmaier zu einem abendlichen Empfang in den Ballsaal eines feinen Hotels in Ankara lädt, herrscht dennoch große Zuversicht in der deutschen Delegation. „Ich habe den Eindruck, dass wir vor einer Kehrtwende in den deutsch-türkischen Beziehungen stehen“, sagt der Freiburger CDU-Bundestagsabgeordnete Matern von Marschall, der im Europaausschuss des Parlaments der zuständige Türkei-Berichterstatter ist - und in den vergangenen Jahren eigentlich nur Rückschritte zu bewerten hatte. Hinter der Reisegruppe liegen die Neubelebung eines fast vergessenen Wirtschaftskooperationsrates und Treffen mit der Handelsministerin Ruhsar Pekcan sowie mit Finanzminister Berat Albayrak, Erdogans einflussreichem Schwiegersohn, einem in den USA ausgebildeten Ökonomen, mit dem Altmaier ohne Dolmetscher Englisch sprechen kann und offensichtlich einen guten Draht gefunden hat. Nun könne man, so der Wirtschaftsminister, „in den nächsten drei Monaten mehr erreichen als in den gesamten fünf Jahren zuvor“.

Der Optimismus erstreckt sich nicht nur auf die ökonomische Kooperation, auf die die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Türkei dringend angewiesen ist. Im Stillen trifft Altmaier in Ankara auch die Ehepartnerin eines inhaftierten Deutschen - und gibt sich bezüglich weiterer Freilassungen in nächster Zeit zuversichtlich. „Über diese Fragen müssen und werden wir weiter diskutieren“, sagt der Minister, „und wir werden Lösungen finden, wenn wir bereit sind, in einer vertrauensvollen Atmosphäre miteinander zu arbeiten.“

Die Wirtschaftsbeziehungen sollen intensiviert werden

In seiner Delegation wird die wirtschaftspolitische Charmeoffensive, die auch eine Hermesbürgschaft für ein milliardenschweres Siemens-Bahnprojekt umfassen könnte, fast schon als Garantie auch für eine politische Entspannung gesehen: „Die positive Stimmung, die sich hier heute Bahn gebrochen hat, hilft sehr dabei, die noch vorhandenen Probleme zu lösen.“ Die offiziellen Ansagen von türkischer Seite bleiben im Laufe von Altmaiers Visite zwar vage, widersprechen der deutschen Sicht aber auch nicht. Man werde "in den nächsten Tagen und Wochen viele positive Nachrichten über das deutsch-türkische Verhältnis hören", kündigt Finanzminister Berat Albayrak vielsagend an. Und Energieminister Fatih Dönmez, mit dem Altmaier am Freitag eine Kooperationserklärung unterzeichnet, spricht davon, dass „die Zusammenarbeit im Energiesektor ein Katalysator für andere Bereiche sein wird“.

Zu den erstaunlichen Erkenntnissen von Altmaiers Besuch gehört, dass diese Art der Entspannung schon viel früher zu haben gewesen wäre, aber an der deutschen Seite scheiterte. So soll Ankara der Bundesregierung schon nach dem Verfassungsreferendum im April 2017, das den Umbau zu einem Erdogan-freundlichen Präsidialsystem absegnete, diskret Interesse an einer Normalisierung der Beziehungen signalisiert haben. In der Bundesrepublik lief jedoch gerade der Bundestagswahlkampf an, auf dessen Höhepunkt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im TV-Duell zur Aussage drängte, auch sie werde sich für einen Abbruch der türkischen EU-Beitrittsgespräche einsetzen. Es folgte die quälend lange Regierungsbildung, während der ebenfalls nicht an eine Wiederannäherung zu denken war. Erst in diesem Frühjahr – inzwischen war es zur Freilassung deutscher Inhaftierter wie dem Welt-Journalisten Deniz Yücel gekommen – begannen dann die Vorbereitungen für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen und den Erdogan-Besuch Ende September.

Altmaier lässt sich von der Kritik der Opposition nicht irritieren

Jetzt will Altmaier das deutsch-türkische Verhältnis nicht mehr auf die Gefangenenfrage reduziert wissen, er betont vielmehr die Bedeutung von „Stabilität an der Südwestflanke der EU“ und gemeinsame strategische Interessen etwa bei der Befriedung Syriens - am Samstag kommt die Kanzlerin zu einem entsprechenden Gipfel nach Istanbul. In Berlin nennt Linken-Fraktionsvize Sevim Dagdelen den Minister Altmaier derweil „schäbig und verantwortungslos“, weil er „ein Rettungspaket für das islamistische Erdogan-Regime schnürt, während der türkische Staatschef weiter die demokratische Opposition verfolgt und die Nachbarländer völkerrechtswidrig überfällt“. Als „kontraproduktiv“ wertet Grünen-Chefin Annalena Baerbock den neuen Regierungskurs, wo doch just am Freitag der Deutsche Patrick K. aus Gießen zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er Mitglied der Kurdenmiliz YPG gewesen sein soll.

Altmaier ficht das nicht an. Sein Besuch habe, so sagt er, „einen Dialog in Gang gesetzt“, in dessen Rahmen sich alles weitere ergeben könne. Er trifft trotz des Kurswechsels Vertreter der Zivilgesellschaft und sieht Anhaltspunkte dafür, dass das Tauwetter auch ihnen zugute kommt. So wird in der deutschen Botschaft in Ankara darauf verwiesen, dass mit der Aufhebung des nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustands die Befugnisse der Sicherheitsbehörden wieder eingeschränkt worden sind - und auch erste unter Terrorverdacht entlassene Beamte wieder eingestellt werden. Als positiv wird nicht zuletzt gewertet, dass Erdogan bei der Aufklärung im Fall des in der saudischen Botschaft in Istanbul getöteten Journalisten Jamal Khashoggi hilft.