Die Kanzlerin beim Truppenbesuch Foto: dpa

Angela Merkel kommt nicht zum ersten Mal zur Bundeswehrtagung an diesem Montag. Aber diesmal wird für die Regierungschefin und für die Truppe so ziemlich alles anders als bisher.

Berlin - Sechs Jahre ist es her, dass Angela Merkel den Führungskräften der Truppe bei der Bundeswehrtagung zum letzten Mal die Ehre gegeben hat. An diesem Montag kommt sie wieder. Der Besuch der Regierungschefin bei der Generalität und den Führungskräften der Wehrverwaltung passt nicht nur in die Startphase der neuen Legislaturperiode. Er passt vor allem deshalb, weil das Verteidigungsministerium laut dem Entwurf für die „Konzeption der Bundeswehr“, der unserer Zeitung vorliegt, erstmals seit Jahrzehnten wieder ernsthaft für den Ernstfall plant: dass die Bundeswehr möglicherweise im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung eingesetzt werden muss. In dieser Situation würde das Kommando über die Truppe, das in Friedenszeiten bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (Ibuk) liegt, an die Kanzlerin übergehen.

Bei diesem Truppenbesuch ist für Merkel alles anders

Bei diesem Truppenbesuch, soviel steht im Vorfeld fest, ist für Angela Merkel alles anders als bisher. Das Wehrressort zieht mit dem Entwurf für die neue Bundeswehrkonzeption zwar nur die ersten Konsequenzen aus den Festlegungen, die im 2016 erschienenen Weißbuch zur Sicherheitslage der Republik getroffen wurden. Die Bundeswehr, die seit mehr als einem Dutzend Jahren vorrangig auf Auslandseinsätze außerhalb des Nato-Gebiets ausgerichtet war, soll nun wieder „gleichrangig“ für Landes- und Bündnisverteidigung sowie für internationale Krisen- und Konfliktbewältigung zuständig sein. Ausschlaggebend für die veränderte Bewertung der Gefährdungslage ist die aggressive Außenpolitik Russlands, die seit der Annexion der Halbinsel Krim 2014 zu beobachten ist.

Dass die Kanzler in Kriegszeiten die Truppe kommandieren, steht zwar im Grundgesetz, seit es die Bundeswehr gibt. Aber als Merkel 2005 ihr Amt antrat, hatte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) in der Konzeption der Bundeswehr gerade festgeschrieben, dass „Deutschland absehbar nicht mehr durch konventionelle Streitkräfte bedroht“ und seine Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde. Jahre später bekräftigte sein Amtsnachfolger Thomas de Maiziére (CDU) in der noch gültigen Bundeswehrkonzeption, dass „eine unmittelbare territoriale Bedrohung Mitteleuropas und damit Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich“ sei. „Internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung bleibt für die Bundeswehr auf absehbare Zeit die wahrscheinlichere Aufgabe“, so de Maiziére.

Planer rücken Krieg wieder in den Bereich des Möglichen

Seit Helmut Kohls Zeiten hat kein deutscher Regierungschef mehr damit rechnen müssen, im Kriegsfall den Befehl über die Truppen übernehmen zu müssen. Nun mag Angela Merkel sich vielleicht sagen, dass es in der Schlussphase ihrer Kanzlerschaft so schlimm schon nicht kommen werde. Aber es markiert trotzdem eine Zeitenwende, wenn das zuständige Ministerium den Kriegsfall aus der Dimension des Unwahrscheinlich in den Bereich des Möglichen zurückholt – gerade für den Regierungschef.

Der aktuelle Entwurf von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) macht Schluss mit der Hoffnung auf die Friedensdividende. Er setzt die Landes- und Bündnisverteidigung wieder an erster Stelle des Aufgabenkatalogs der deutschen Streitkräfte – gefolgt vom internationalen Krisenmanagement, dem Heimatschutz, Partnerschaften und Kooperationen über EU und Nato hinaus, Not- und Katastrophenhilfe sowie Beiträgen zur Cybersicherheit. „Die Aufgaben der Bundeswehr sind gleichrangig zu erfüllen und nicht isoliert zu betrachten“, heißt es zwar in dem Text. Aber das 80-seitige Dokument macht überdeutlich, dass der Verteidigungs- und Bündnisfall wieder der Dreh- und Angelpunkt für die Funktionsfähigkeit der Truppe sein muss, und was das heißt. „Bereits der Friedensbetrieb ist verstärkt an den Bedingungen der Landes- und Bündnisverteidigung auszurichten“, heißt es in dem Text. „Grundsätze und Verfahren sind – wo rechtlich möglich und militärisch geboten – entsprechend anzupassen.“

Von der Leyen fordert „mehr Kräfte und Mittel als heute“

Das bedeutet dem Papier zufolge unter anderem: Die Bundeswehr muss mehr Personal mobilisieren können als bisher (Aufwuchsfähigkeit durch Reservisten). Sie muss befähigt werden, innerhalb kurzer Frist an und jenseits der Nato-Außengrenzen operieren zu können. Sie braucht strategische Fähigkeiten zur Verlegung von Truppen und Ausrüstung, zusätzliche Bereitschaftsstufen für die Soldaten müssen eingeführt werden, und: Da die Bundesrepublik, anders als im Kalten Krieg nicht mehr Frontstaat einer militärischen Auseinandersetzung in Europa wäre, sondern Transitland und rückwärtiges Einsatzgebiet für alliierte Truppen, müssen umfangreiche Voraussetzungen geschaffen werden, damit Nato-Soldaten aus anderen Ländern in Deutschland versorgt, verpflegt, transportiert und gesichert werden können (Host Nation Support). Eine Armee, die das alles kann, so heißt es in dem Papier nüchtern, „verfügt über mehr Kräfte und Mittel als heute“. Den größten Nachholbedarf konstatieren von der Leyens Strategen und Planer beim Heer; aber auch bei der Bewaffnung der Luftwaffe gibt es Defizite.

Was Angela Merkels Zuhörer an diesem Montag von ihr erwarten, liegt auf der Hand. Die Führungskräfte der Truppe wollen wissen, ob die Kanzlerin ihre Richtlinienkompetenz nutzt, um für den Ernstfall vorzusorgen.