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Nichts ist gegen eine solide Modernisierung des Umgangs der Bundeswehr mit dem schwierigen Erbe deutscher Militärgeschichte zu sagen. Aber gerade sie taugt nicht für eine laute Schauveranstaltung in Wahlkampfzeiten, kommentiert unser Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart - Auf wessen Seite steht die Verteidigungsministerin? Erst hat Ursula von der Leyen der von ihr geführten Bundeswehr pauschal ein Haltungsproblem angedichtet im Umgang mit rechtsradikalen Umtrieben in den eigenen Reihen, die möglicherweise bis zum Terrorismus reichen. Da diese Fälle, nüchtern ins Verhältnis zum Personalumfang und zu 61 Jahren Bundeswehr-Geschichte gesetzt, einen solchen Generalverdacht weder nach Zahl noch nach Qualität begründen, versuchen es die Ministerin und ihre engsten Berater nun damit: Das Andenken an die Wehrmacht in deutschen Kasernen soll den Generalverdacht doch noch erhärten – und danach verschwinden.

Da ist der Eindruck zumindest nicht ganz von der Hand zu weisen: Die Chefin steht auf ihrer eigenen Seite; zur Bundeswehr bleibt sie auf größte Distanz. Anfangs vielleicht unbedacht hat sich von der Leyen zur Kronzeugin all jener gemacht, die schon immer gewusst haben wollen, dass diese Armee ein Hort von Ewiggestrigen, Schindern, Verfassungsfeinden sei. Das war ein Fehler. Anstatt ihn zu korrigieren, hat die Ministerin die Flucht nach vorn angetreten. Bemüht, damit Durchsetzungsstärke zu demonstrieren, zur Not voll auf Kosten der Armee.

Bilderstürmerische Wut

Ihre Rechnung könnte aufgehen. Der ungeheuerliche Terrorismus-Verdacht gegen einen Offizier und seine Helfershelfer sowie die öffentliche Augenblicksstimmung lassen solche Hoffnung zu. Außerdem: Was in deutschen Kasernen in Sachen Wehrmacht zu sehen ist, reicht in der Tat von geschichtswissenschaftlich Wertvollem bis zu verherrlichendem Schund. Irgendwas wird also an der Truppe hängen bleiben. Darauf kann sich die Ministerin verlassen.

Nur, die bilderstürmerische Wut, der das Andenken an die Wehrmacht gerade unterzogen wird, vernebelt den Blick fürs Wesentliche: Hitlers Wehrmacht darf selbstverständlich nicht traditionsbildend für die Armee des Bundestages sein. Aber ebenso selbstverständlich gilt: Nicht jeder der rund 18 Millionen Angehörigen dieser Vorgänger-Streitmacht hat jegliche menschliche, politische oder soldatische Vorbildfunktion für die Bundeswehr allein schon dadurch verwirkt, dass er die Uniform der Wehrmacht getragen hat. Was nicht zuletzt für die erste Generation von Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr fast durchweg gilt.

Denen, die verfügt haben, dass unter den neuen Vorzeichen ein Bild des Vorzeige-Demokraten Helmut Schmidt in Wehrmacht-Uniform nicht mehr in der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr hängen darf, gebührt Dank. Ob aus vorauseilendem Gehorsam oder um die Ministerin vorzuführen – in jedem Fall haben sie die ganze Absurdität des aktuellen Aktionismus aufgedeckt.

Glaubwürdigkeitslücke

Dessen Gefahr liegt darin: Mit Karacho manövriert von der Leyen die Bundeswehr in eine Glaubwürdigkeitslücke. Von den Soldaten, die am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler gewagt und dafür mit dem Leben bezahlt haben und an deren Beispiel sich die Bundeswehr zu Recht von Anbeginn orientiert, hat sich keiner von der Wehrmacht distanziert. Sollen ihre Bilder deshalb verschwinden? Muss sich die Bundeswehr plötzlich integrer Generäle wie Franz Pöschl oder des Metzingers Hans Speidel schämen, weil diese ihre im Weltkrieg verliehenen Ritterkreuze auch nach 1955 trugen?

Nichts ist gegen eine solide Modernisierung des Umgangs der Bundeswehr mit dem schwierigen Erbe deutscher Militärgeschichte zu sagen. Aber gerade sie taugt nicht für eine laute Schauveranstaltung in Wahlkampfzeiten.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de