Ganz und gar nicht sicher: Immer wieder kommt es zu Selbstmordanschlägen in Afghanistan. Foto: AP

Anschlagserie in Afghanistan reißt nicht ab – trotz Bundeswehreinsatz, kommentiert unser Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart - Wo Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen doch gerade dabei ist, unter großer öffentlicher Anteilnahme den dunklen Seiten in ihrem Amtsbereich nachzuspüren: Da gehört unbedingt in die Gesamtbetrachtung, was die Bundeswehr in 13 Kriegsjahren und seither fast zweieinhalb Jahren Unterstützungsmission in Afghanistan bewirkt hat.

Die Bilanz fällt leider zutiefst ernüchternd aus. Im Wochentakt erschüttern schwere Anschläge das Land. Mal reklamieren die Taliban, mal die in Afghanistan deutlich weniger bedeutenden Formationen der Terroristenbande Islamischer Staat die Urheberschaft für sich. Der Afghanistan seit dem Sturz der Taliban-Herrschaft 2002 zerfressende Krieg zwischen alten Eliten und kriminellen Emporkömmlingen im frömmlerischen Taliban-Gewand um Territorien, Gefolgschaften und Drogenmärkte geht mit aller Brutalität weiter – nur halt mit weniger internationaler Beteiligung.

Wo die Bundeswehr war ist heute Taliban-Land

Die vielen Toten und Versehrten in den Reihen der Bundeswehr und verbündeter Armeen sowie die Euromilliarden aus dem Westen stehen in einem scharfen Kontrast zu dem Befund: Wo die Bundeswehr war und Jahre gekämpft hat, ist heute weitgehend Taliban-Land. Die mit hohem Aufwand und mit Herzblut ihrer Nato- und nicht zuletzt deutschen Ausbilder geschulten afghanischen Streitkräfte sind dank anhaltender ausländischer Unterstützung zwar in der Lage, den Taliban schwere Verluste zuzufügen, aber unfähig sie zu schlagen, geschweige denn das Land zu stabilisieren.

Wie die aktuellen Skandale innerhalb der Bundeswehr wirft das Fragen nach der Verantwortung auf. Sie beginnt wiederum ganz oben: Von Anfang an war Deutschlands militärischer Beitrag in Afghanistan so definiert, dass er bloß nicht stört im Berliner Routinebetrieb der Politik. Wie auch in der Entwicklungshilfe galt und gilt: Eine ernsthafte Kontrolle über die Wirkung der eingesetzten Mittel fand und findet nicht statt. Viele Soldaten, viel Geld – das wurde und wird in Regierung und Bundestag mit viel Hilfe gleichgesetzt und der Öffentlichkeit auch so verkauft.

Es stört, wer Missstände anspricht

Für die Bundeswehr hieß das: Ein guter Kommandeur ist einer, der keine Probleme aus dem Einsatz meldet. Ob die Deutschen Streitkräfte dort was bewegen oder nicht, hat im Verteidigungsministerium wie auch unter Parlamentariern nur wenige interessiert. Egal in welcher Regierungs- und Mehrheiten-Konstellation.

Logisch, dass eine solche Erfahrung über 15 Jahre eine Armee in ihrem größten Einsatz prägt. Die Erfahrung, dass nur stört, wer Missstände anspricht und beseitigen will, dass eine – in der Sache verhängnisvolle – Null-Fehler-Kultur politisch gewollt ist, haben viele Soldaten auf vielen Ebenen in ihrem Afghanistan-Einsatz gemacht – und eben nicht nur da. Insofern sollten Politiker, die Jahr um Jahr für diesen Afghanistan-Einsatz in genau dieser Form gestimmt haben und jetzt Zivilcourage in der Truppe vermissen, sehr selbstkritisch darauf schauen, welchen Beitrag sie dazu geleistet haben.

Und sich gedanklich schon mal darauf einstellen: Wahrscheinlich werden die USA in wenigen Wochen in der Nato ankündigen, dass sie ihr militärisches Engagement in Afghanistan wieder verstärken. Und dasselbe von ihren Verbündeten, voran den Deutschen, fordern. Dann sollte in Regierung und Parlament zumindest Klarheit darüber herrschen: Welche Ziele rechtfertigen einen solchen Schritt? Oder anders gesagt: Was ist jetzt zu tun, damit dieser Bundeswehreinsatz letztlich nicht ganz als Schlag ins Wasser endet?

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de