Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) besucht das Ertüchtigungsprojekt der Bundeswehr für Peschmerga Soldaten. Foto: dpa

Wieder einmal wurden vom Bundestag Auslandseinsätze der Bundeswehr verlängert. Unser Chefredakteur Christoph Reisinger moniert, dass den Erfahrungen aus der Vergangenheit zu wenig Rechnung getragen wird und fragt: Stehen Aufwand und Ertrag in einem vertretbaren Verhältnis?

Stuttgart - Das ist längst Routine in Deutschland: Einsätze der Bundeswehr in fernen Ländern stehen zur Verlängerung an, kurze Befassung im Bundestag, Mehrheit dafür – nächstes Thema. Dass es dieses Mal wegen der erheblichen Veränderung des Engagements im Irak und einer Wiederaufstockung der Truppen in Afghanistan ein bisschen mehr Debatte gab, ändert nichts an diesem Befund. Dabei geht es bei fast jeder dieser Entscheidungen um den Einsatz militärischer Mittel – im Extremfall tödlicher Gewalt.

Die politische Beurteilung sollte daher wenig mit Routine zu tun haben. Vielmehr muss sie den Erfahrungen aus solchen Einsätzen Rechnung tragen: Stehen Aufwand und Ertrag in einem vertretbaren Verhältnis? Stimmen die eingesetzten Mittel und Kräfte? Was bewirkt die jeweilige Bundeswehr-Mission tatsächlich? Stärkt sie Interessen und Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten?

Erfahrungen mit Auslandseinsätzen sind widersprüchlich

Unfair wäre es, den Abgeordneten des Bundestags wegen der Beschluss-Routine zu unterstellen, sie nähmen die Auslandseinsätze des Militärs auf die leichte Schulter. Aber so richtig genau sehen offenbar zu wenige hin. Anders ist kaum erklärbar, warum so viele Mandatsverlängerungen für die Truppen in Afghanistan schlicht durchgewinkt wurden, obwohl sich der Charakter des Anfang 2002 begonnenen Einsatzes schon im folgenden Jahr mit der Vertreibung des Taliban-Regimes komplett änderte: Von da an ging es um den Neuaufbau des Staates. Doch spätestens 2006 zeichnete sich ab, dass das mit den Mitteln nicht zu machen sein wird, die Deutschland und andere in Afghanistan engagierte Mächte einzusetzen bereit waren. Trotzdem schickt der Bundestag jetzt wieder mehr deutsche Soldaten als zuletzt dorthin.

All denen, die in Regierung und Parlament entscheiden müssen, ist zugute zu halten: Die Erfahrungen, die nicht nur Deutschland in den vergangenen 27 Jahren mit militärischen Auslandseinsätzen gesammelt hat, sind total widersprüchlich. Das erschwert die Orientierung. Afghanistan, mehr noch der Irak sind Beispiele dafür, wie wenig selbst ein massives militärisches Eingreifen ausländischer Mächte die Lage stabilisiert. Umgekehrt hat sich in Syrien gezeigt, aus dem sich die größeren Regional- und vor allem die Großmächte sehr lange ziemlich herausgehalten haben: Wegsehen ist auch keine Musterlösung.

Erfahrungen müssen mehr berücksichtigt werden

Noch widersprüchlicher wurde das Beispiel Syrien in den vergangenen Monaten: Es ist unbestreitbar der – im Westen viel zu wenig gewürdigte – Verdienst des massiven russischen Eingreifens, dass die Terroristenbande Islamischer Staat in Syrien und im Irak militärisch weitgehend in der Bedeutungslosigkeit versunken ist. Das politische Ergebnis dieser Niederlage ist aber alles andere als berauschend. Der Krieg in Syrien tobt weiter.

Trotz alledem: Es gibt ein paar Erfahrungen, die unbedingt zu berücksichtigen wären. Das aber geschieht viel zu wenig. Voran: Wenn Deutschland Soldaten jenseits der unmittelbaren Verteidigung von Nato- oder EU-Gebiet einsetzt, dann braucht es besonders klare Ziele. Dazu eine verbindliche Grundlage, woran Erfolg oder Misserfolg zu messen sind. Und nicht zuletzt einen Plan – und den Mut – zur Beendigung einer Mission, für den Fall, dass die wichtigsten Ziele nicht mehr erreichbar sind.

Es gibt fast keinen Auslandseinsatz der Bundeswehr seit 1991, der diese Bedingungen erfüllt hätte. Sicher, gewisse Erfahrungen mussten auch erst einmal gesammelt werden. Aber wenn sie 2018 immer noch so wenig Anwendung finden, dann verheißt das für die deutsche Sicherheitspolitik nichts Gutes.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de