Deutsche Soldaten unterstützen den Kampf gegen den Islamischen Staat, indem sie die Peschmerga für die Verteidigung an der Frontlinie ausbilden. Deren heldenhafter Ruf leidet oft unter einem Mangel an militärischen Grundkenntnissen.
Stuttgart - Vor dem Kampf gegen den „Islamischen Staat“ steht das Ringen mit den Sprachproblemen. Nur mit Übersetzern kann die Bundeswehr den kurdischen Peschmerga-Soldaten so viele militärische Kenntnisse vermitteln, dass sie sich die Dschihadisten vom Leib halten können. Dumm nur, dass die Übersetzer gerade mal wieder streiken, weil sie von der Regionalregierung in Erbil seit Monaten kein Geld bekommen. So zeigen die Deutschen im Trainingscenter Bnaslawa am Rande der kurdischen Hauptstadt mit Händen und Füßen, was sie von den Peschmerga erwarten.
Mit Absperrbändern werden auf freiem Feld die Umrisse eines Raumes simuliert, dessen Erstürmung die Peschmerga proben sollen. Die Deutschen machen es gestenreich vor – die Peschmerga versuchen, die Anweisungen umzusetzen. Dieser sogenannte „Tape drill“ sei ohne Übersetzer das Maximum an Schulung, sagt Oberfeldwebel „Eggi“. Mehr zu vermitteln, sei da sinnlos. Der bärtige Hüne möchte wie alle anderen deutschen Soldaten aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht mit vollem Namen genannt werden. Ein paar Begriffe hat er einstudiert. „Gut gemacht“, kann er auf Kurdisch sagen oder „Noch mal“. Denn: „Sie lernen besser, wenn man eine Bindung zu ihnen aufbaut.“
Der begehrteste deutsche Soldat an diesem Tag ist der 26-jährige Hauptgefreite Sedat C., bei ihm läuft die Schießübung mit dem amerikanischen Maschinengewehr M240 vergleichsweise reibungslos. Weil seine Eltern aus dem Südosten der Türkei stammen, beherrscht er wichtige Dialekte der kurdischen Sprache. Damit hat er eine Alleinstellung unter den knapp 130 Bundeswehrsoldaten im deutschen Feldlager.
Zwei Wochen an der Front – und dann zur Arbeit
Einst hat Sedat C. Fachkraft für Lagerlogistik gelernt, bevor er sich im Oktober 2014 für acht Jahre verpflichtete. Dass er in seinem ersten Auslandseinsatz einen Beitrag dazu leisten kann, die Heimat seiner Vorfahren zu schützen, macht ihn sichtlich stolz. Dennoch wird Oberst Bernd Prill langsam ungeduldig. Der Kommandeur des internationalen Kontingents im Nordirak trägt die Verantwortung für insgesamt 300 Ausbilder aus sieben Nationen – alle leiden sie unter den Spontanstreiks der Sprachmittler. „Ohne Übersetzer ist eine Ausbildung schwierig“, klagt der 51-Jährige. „Ihr Fehlen kann für zwei Tage überbrückt werden, aber dann muss es eine Lösung geben.“ Es sei aber seit Ende vorigen Jahres kaum besser geworden, da sich die Finanzlage der kurdischen Regionalregierung immer mehr verschlechtere. Gemeint ist: Wegen des Ölpreisverfalls, der Wirtschaftskrise und dubioser Machenschaften droht der autonomen Region die Pleite.
Kaum bezahlt, dürftig ausgestattet und militärisch großteils unerfahren: Sehen so Helden aus? Der legendäre Ruf der Peschmerga erweist sich bei näherem Hinsehen als brüchig. Sie lassen sich morgens ausbilden und arbeiten nach 14 Uhr noch als Zivilisten, um die Familie über die Runden zu bringen. Ungefähr 400 US-Dollar (355 Euro) erhält ein alleinstehender Peschmerga im Monat, ein verheirateter etwa 50 Dollar mehr. Ein Offizier bringt es auf 600 Dollar (532 Euro). Allerdings bekommen die Peschmerga seit zwei bis vier Monaten kein Sold mehr. So fahren viele von ihnen zwei bis drei Wochen zum Kampf an die 1000 Kilometer lange Front, feuern auf den IS und kehren wieder heim, um ihrem Beruf nachzugehen – ein Kompromiss mit dem Peschmerga-Ministerium, das den Ausbildern seinerseits immer wieder Steine in den Weg legt. Eigenwillig gewährt es den Soldaten weitere Urlaubstage und behindert so die Lehrgänge. Einen dieser freien Tage, geplant am vorigen Sonntag, konnte Kommandeur Prill gerade noch abwenden.
Mit so einem Verbündeten soll die irakische Millionenstadt Mossul – 80 Kilometer von Erbil entfernt – dem „Islamischen Staat“ wieder entrissen werden? Die Offensive ist gestartet. Dass die Peschmerga sich beteiligen werden, steht außer Frage – wie, das ist noch offen. Gleiches gilt für ihren Anteil an der Rückeroberung der Jesiden-Hochburg Sindschar im vorigen November, wo die Peschmerga im August 2014 noch vor dem IS geflohen waren – was für eine Schmach. Sie haben diese wettgemacht, mussten sich aber von der syrischen Kurdenmiliz YPG sowie den Kampfjets der Amerikaner und Briten helfen lassen.
Höher motiviert als afghanische Sicherheitskräfte
Doch die Peschmerga sind große Patrioten. „Die sind richtig heiß und verstehen schnell“, lobt Oberfeldwebel Christian A. „Das habe ich schon ganz anders gesehen.“ Auch Oberst Prill lobt die „Teilzeitsoldaten“: „Die Kurden sind ein stolzes Volk und zeigen es auch“, sagt er. Nachwuchsprobleme hätten die Peschmerga trotz der Geldsorgen nicht. Im Vergleich mit den afghanischen Sicherheitskräften etwa hat Prill „wirklich das Gefühl, dass die Peschmerga sehr motiviert sind, weil sie wissen, wofür sie kämpfen: Sie verteidigen ihr Land“. Wenn morgens um sechs Uhr 100 Milizionäre zu Ausbildung erwartet werden, dann kommen sie alle. „Das ist bei den Afghanen nicht immer so gewesen.“
15 Bataillone mit je 450 Soldaten hat das internationale Kontingent bisher angeleitet: mehr als 8000 Peschmerga insgesamt – zudem ein Jesiden-Bataillon, das in der Region Sindschar stationiert ist. Von schwedischen Militärberatern hat Kommandeur Prill die Rückmeldung bekommen, dass der Unterschied an der Front klar zu erkennen sei: Die Bataillone, die den nunmehr zehnwöchigen Infanterielehrgang absolvieren, bewegen sich auf dem Gefechtsfeld umsichtiger als andere Einheiten. Dazu gehört, die Magazine der Gewehre nicht wie wild leerzuballern, sondern eine Feuerordnung einzuhalten. Auch das koordinierte Kämpfen im kleinen oder großen Verband fällt den Peschmerga noch schwer.
Besonders ungewohnt für westliche Militärs ist der Stellungsbau der Peschmerga: An der 40 Kilometer entfernten Verteidigungslinie sehe es aus „wie 1918 an der Westfront“, meint ein Bundeswehr-Offizier. Alle 500 Meter haben die Milizen einen riesigen Hügel aufgeschüttet, um sich dort mit jeweils 20 Mann zu verschanzen. Die 5000 Hügel zu beseitigen, bringe aber nichts, heißt es. Stattdessen bewegt derzeit ein Bagger die Erde auf dem Übungsplatz Bnaslawa, um Hügel aufzuschütten und Gräben auszuheben. Möglichst realitätsnah soll die Gefechtsfeldszenerie in die Ausbildung übertragen werden, um den Kampf zu verbessern.
Keine Uniform zum Wechseln
Zu den gelehrigen Schülern gehört Shorsha D., ein Kurde, der von 2007 bis 2014 in Deutschland gelebt hat und als Beleg seinen AOK-Ausweis herausholt. Seinerzeit hat er in Würzburg bei Tengelmann und Rewe gearbeitet. Mangels Soldatensold übernimmt er nun hin und wieder einen Job als Elektriker am Bau – das reicht ihm für ein bis zwei Monate zum Leben. Schon oft ist er den IS-Kriegern auf Sichtweite begegnet, mehrere Kameraden habe er schon sterben sehen, sagt er – durch eine Autobombe etwa, die vor einem Haus explodiert sei. In einem Opel, wie er betont.
Kein Opel, sondern ein mit dicken Eisenplatz verkleideter Ford dient auf dem Übungsplatz als Anschauungsobjekt. Dessen Explosion mit vielen Toten konnten Scharfschützen im Kampf so gerade noch verhindern. Professionell baut der IS Pickups, Trucks oder gar Bagger zu rollenden Sprengstofftransportern um. Speziell die deutsche Panzerabwehrwaffe Milan tue gute Dienste bei der Abwehr der sogenannten „Mad Max“-Mobile, schildert Stabsfeldwebel Dirk W. Die Kurden seien so begeistert, dass viele von ihnen ihren Babys den Namen Milan verpassen.
Shorsha D. trägt eine amerikanische Uniform. Mancher Milizionär trete seinen Dienst in Sandalen oder Badelatschen an, berichtet der Presseoffizier Hagen Messer. Daher stattet die US-Armee erste Brigaden mit dem Nötigsten aus. Dennoch sollte es besser nicht regnen, sonst stellen die Peschmerga die Ausbildung im Gelände auch mal von sich aus ein, weil sie keine Kluft zum Wechseln haben.
Die Bundeswehr hat ihrerseits schon tief in die Depots gegriffen: Was bisher in den Nordirak gebracht wurde, wird penibel auf der Internetseite aufgelistet. Weitere Lieferungen sind in Planung. So soll es weitere geschützte Transportfahrzeuge vom Typ Dingo geben – drei der bisher eingeflogenen zehn Dingos sind schon wieder kaputt, weil sie im Kampf falsch eingesetzt wurden. Für noch größere Unruhe haben in Berlin Berichte über deutsche Waffen in Händen des IS gesorgt. Auch auf deutsches Drängen hin erstellte die kurdische Regionalregierung einen Untersuchungsbericht. Demnach sind seit Beginn der Lieferungen 88 Waffen abhanden gekommen. Nachweislich verkauft oder getauscht wurden 17 Waffen – 16 weitere sind irgendwo verschwunden. Deutschland hatte auf schriftliche Vereinbarungen mit der irakischen Regierung vertraut. „Wer glaubt, man könne den Verbleib der Waffen kontrollieren, ist blauäugig“, sagt ein Ausbilder. Nachdem nun klar scheint, dass kein systematischer Missbrauch dahinter steckt, sollen im Mai die Lieferungen fortgesetzt werden.
Ein Übersetzer als Hilfsausbilder
Tags drauf regnet es heftig. Gut, dass die Ausbildung zum Häuserkampf unterm Dach stattfindet – in einer Geisterstadt, die vor etwa zwei Jahren wegen der Finanzkrise und etlichen Betrügereien nicht vollendet wurde. Mehr als 10 000 Menschen sollten hier mal wohnen, nun verfällt diese riesige Siedlung mit halbfertigen Einfamilienhäusern, Geschäften, einer Moschee und Hochbauten. Die Militärs sind neben zwei einsamen Anwohnern die einzigen Nutzer des Areals.
Für die kleine Pionierausbildung erscheint es ideal zu sein. Immer wieder müssen die Peschmerga in Vierergruppen üben, wie sie in einen ihnen unbekannten Raum „einfließen“ und sich dabei gegenseitig absichern. Ein Zivilist ist voll in seinem Element: Shwan Omed Kareen. Wie ein Offizier feuert der Übersetzer die Peschmerga wortreich an, macht engagiert vor, was die Ausbilder den Kämpfern vorgeben – ohne ihn wären die Deutschen hier aufgeschmissen. Geboren in Erbil, zog er 2003 nach Deutschland, wo er eine Aufenthaltsgenehmigung erhielt. Kareem zückt als Beleg den deutschen Führerschein. Bis 2010 hat er in Bonn gelebt.
Seit vorigem Oktober übersetzt er für die Peschmerga – nunmehr drei Monate lang ohne Lohn. 1000 Dollar habe er bisher verloren. „Ich muss doch auch meine Miete zahlen“, klagt der 37-Jährige, Vater von zwei Kindern. Obwohl die Oberen die streikenden Sprachmittler um Verständnis für ihre Finanznot gebeten, aber nichts versprochen haben, ist er wieder zur Arbeit erschienen. Solange er in Erbil gebraucht wird, will er bleiben. Denn „die IS-Leute sind schlechte Menschen – die bringen jeden um, egal ob Moslem oder Christ“. Dies zu verhindern, dazu will er beitragen. „Wir sind wegen der Peschmerga da, nicht wegen des Ministeriums“, sagt Kareem.