Ex-Soldatinnen der Bundeswehr haben Krieg erlebt und helfen heute ihren Kameraden.

Berlin - Zehntausende Frauen und Männer waren an Mandaten der Bundeswehr beteiligt. Nach ihrer Dienstzeit müssen sie feststellen, dass sich ihr Leben nach dem Einsatz radikal verändert hat.

Frau, 35 Jahre alt. Geboren in Osnabrück. Jeansjacke. Athletisch. Geschwungene Brauen. Keine Schminke. Sonnenbrille in kurzen dunklen Haaren. Die Stirn beim Sprechen leicht umwölkt. Offener Blick. Lachfältchen säumen die Augen.

Frau, 40 Jahre alt. Geboren in Gießen. Roter Pulli. Zart. Gebräunter Teint. Dezent geschminkt. Die langen blonden Haare fallen unterm Mittelscheitel. Der Gesichtsausdruck beim Sprechen gedankenverloren. Fester Blick. Lachen vermutlich auch aus Verlegenheit.

Zwei Gesichter, die einen das Umdenken lehren. Daniela Matijevic und Heike Groos entsprechen nicht dem Bild, welches die Deutschen von einem Veteranen haben. Matijevic hat den Deutschen Veteranenverband gegründet; Groos ist zweite Vorsitzende des Bundes Deutscher Veteranen. 2010 hat die Bundesrepublik zwei Veteranen-Organisationen. Hier sitzen nicht Männer um die neunzig, die ergreifend von Stalingrad sprechen. Schlimm war das damals. Sofort werden Bilder wach im Blitzlicht der Erinnerung - lebendig selbst für die große Mehrheit der mehr und weniger Jüngeren, die den Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs nur aus Erzählungen kennen oder aus Dokumentationen. Es fällt einem die Liedzeile der Kölner Rockband BAP ein, in der Wolfgang Niedecken singt: "Ich kenn von all dem zwar nur Bilder, doch die kenn ich ganz genau."

Genau. Daniela Matijevic sagt auch immer: genau. Vor allem dann, wenn die Fragen ihrer Gesprächspartner immer länger werden, weil denen während des Sprechens immer klarer wird, was die Frau erlebt hat. Gesehen hat. Verarbeiten muss. "Genau." Und dies alles gar nicht auf einmal kann. Genau, sagt sie dann, als wolle sie den Bildern, die beim Zuhören im Kopf entstehen, nicht durch zu viel Worte die Wucht nehmen. Hier trifft Niedeckens Textzeile nicht zu: Es gibt kaum Bilder, die die Deutschen kennen. Genau oder ungenau.

Der Krieg in Afghanistan spielt sich kaum in den Köpfen der Deutschen ab. Weit weg ist er, am Hindukusch eben. Eine Mehrheit der Gesellschaft lehnt es ab, dass auch deutsche Soldaten dort kämpfen, und will den sofortigen Rückzug der Bundeswehr, was Umfragen regelmäßig bestätigen. In den Köpfen von Daniela Matijevic und Heike Groos ist der Krieg dauerpräsent.

Ausbildung: Gräber schaufeln und selbst unter Folter schweigen

Die 35-jährige Matijevic war Truppen-Sanitäterin im Kosovo, die 40-jährige Groos leitende Bundeswehr-Ärztin in Afghanistan. Sie waren die Ersten, die nach Schusswechseln oder Selbstmordanschlägen die Verwundeten und Toten versorgten - während die Gefechte weitergingen. Die Frauen sind ausgebildet. Sie können Blut sehen, und sie haben gelernt, unter widrigsten Umständen zu operieren. Sie können schießen. Sie wurden auf den Kriegseinsatz vorbereitet, lernten Gräber schaufeln und sollen sogar unter Folter schweigen können.

Sie gehören zu jenen, die Soldat geworden sind, um für den Rest der Deutschen zu kämpfen, das Land zu verteidigen oder im Nato-Verbund der Alliierten gegen den Völkermord (Balkan) oder den internationalen Terrorismus (Afghanistan) zu kämpfen. Sie gehören zu den Soldaten, die im Auftrag des Bundestags im Ausland helfen, töten und sterben. Zu jenen, die bestenfalls körperlich unversehrt und seelisch stabil irgendwann nach Hause kommen und von Freunden, Nachbarn Sätze hören wie den: "Für mich hättest du da nicht hingehen müssen; ich bin Pazifist." Oder den: "Du wolltest doch Soldat sein. Also mach deinen Job, ich jammere auch nicht über meinen."

Aber ist es schon Jammern, darüber zu reden, was viele nicht hören wollen? "Wir haben Dinge erlebt, die ein normaler Bürger nicht kennt, und dazu sind wir ja auch da", sagt Heike Groos. "Aber einerseits will die Gesellschaft keine Kampfmaschinen, die in Kriege ziehen und rumballern; andererseits sollen wir so hart sein, wenn wir zurückkommen, dass wir mit allem selbst klarkommen. Es muss möglich sein, wieder aufgenommen zu werden." Sie verstehe die Haltung vieler Bürger, ein Soldat müsse damit rechnen, Schlimmes zu erleben. "Aber wir sind nur die Exekutive, die den Befehl des Parlaments - also der Bürger - ausführt; wir sind nicht verantwortlich oder gar selbst schuld."

Es sei verhängnisvoll, wenn sich die Gesellschaft nicht nur in Befürworter und Gegner dieses Einsatzes spalte, sondern auch in jene, die in Afghanistan waren oder nicht. "Klar", sagt Heike Groos: "Wer den Einsatz nicht will, fühlt sich auch nicht verantwortlich. Aber in unserer Demokratie entscheidet die Mehrheit, und dem können wir Soldaten uns nicht verweigern - und selbst wenn es diese Mehrheit ,nur' im Parlament, nicht aber in der Bevölkerung gibt, führen wie unseren Auslandsauftrag im ,Namen des Volkes' aus."

Soldaten sind dazu angehalten, keine politische Meinung zu äußern. Der Bund Deutscher Veteranen und der Deutsche Veteranenverband versprechen den Soldaten Kameradschaft über das Dienstende hinaus - eben weil die Veteranen von heute so jung sind. Wer sich als Zeitsoldat für die ganze Strecke von zwölf Jahren verpflichtet, kann Berufssoldat werden. Andere kehren nach drei, vier Jahren ins zivile Leben zurück und melden sich dafür mehrfach zum Einsatz bereit. Es sind 20- bis 50-Jährige, die nach ihrer Auslandsverwendung wieder Fuß fassen müssen - und erst daheim spüren, welche Spuren der Afghanistan-Einsatz hinterlassen hat. Einer zertrümmert plötzlich die Küche zu Hause, weil es dort nach Grillhähnchen riecht. Es ist die Erinnerung an den Geruch verbrannter Haut nach einem Anschlag bei Kundus. Ein anderer kann das übermütige Gekreische seiner spielenden Kinder kaum mehr ertragen, weil ihn die Tonlage an die Schmerzensschreie verwundeter Kinder erinnert.

"Im Krieg gibt es keine unverletzten Soldaten", sagt Daniela Matijevic. 1999, nach dem Ende des Konfliktes zwischen Serben und Albanern, sollte sie in einem serbischen Dorf vergewaltigten Kindern beistehen, bei einer Vernehmung deren Peiniger zu identifizieren. "Leider hat die Militärpolizei vergessen, einen der Männer zu durchsuchen, und dieser Täter hat mir ein neunjähriges Kind aus der Hand geschossen." Die Schuldgefühle haben sie nie verlassen.

Das Trauma kommt erst nach der Bundeswehrzeit

Heike Groos erlebte 2003 den ersten tödlichen Selbstmordanschlag. Der Konvoi war auf dem Weg zum Flugplatz, die Männer hatten ihren Einsatz beendet und wollten nach Deutschland fliegen. Ein Taxi rammte den Bus, beladen mit einer 500-Kilo-Bombe. Drei Soldaten waren sofort tot, der vierte starb im Lazarett, 29 wurden verletzt. Die leitende Ärztin versorgte die Verletzten, legte die Toten an den Straßenrand.

Die Kameradschaft im Einsatz mag den Soldaten anfänglich helfen, zumindest nicht dauernd über solche Dramen nachzudenken. Zu Hause aber, nach Ablauf der Dienstzeit, ist da nur selten jemand, der sich in solche Gefühle und Gedanken hineinversetzen kann. Wenn Zeitsoldaten die Bundeswehr verlassen, sind sie Zivilisten. Dann sind nicht mehr die Wehrbereichsverwaltungen, sondern die üblichen Versorgungsämter der Kommunen für sie zuständig, sollten gesundheitliche Störungen auftreten.

Symptome von Traumatisierung zeigen sich oft erst Wochen, Monate, manchmal Jahre nach dem Erlebnis. "Mit der Hölle hätte ich leben können" heißt der Titel eines Buches, das Daniela Matijevic geschrieben hat. Auch Heike Groos, die Mutter von fünf Kindern ist, hat notiert, wie deutsche Soldaten in Afghanistan schießen, töten, angegriffen werden, sterben. "Ein schöner Tag, um zu sterben" heißt ihr erstes Buch - "Dies ist auch euer Krieg" das zweite, in dem deutsche Soldaten von ihren Einsätzen berichten. Ohne viel Worte. Soldaten sind gewohnt, kurz und bündig zu sprechen. Unmissverständlich. So sind diese Bücher.

Soldaten, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, wollen das lange nicht wahrhaben. Tapferkeit. Selbstdisziplin. Gelernt ist gelernt. Stattdessen Depressionen, Angstattacken. Wen das überfordert, verliert nicht selten die Achtung vor sich selbst. Igelt sich ein, weicht Freunden, der Familie sogar der Lebenspartnerin aus.

Gegenüber den Versorgungsämtern sind diese Ex-Soldaten in der Beweispflicht - müssen Ereignis, Anlass und Datum belegen, wodurch genau in Afghanistan ihre Seele Schaden nahm. "Die Bezüge bleiben aus, eine Rente gibt es noch nicht, der neue Job ist weg, und ein ziviler psychologischer Gutachter muss nun beurteilen, was er nicht kennt, weil er nicht im Einsatz war", sagt Heike Groos. Das Verteidigungsministerium will das Phänomen von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) verstärkt erforschen lassen und geht bis auf weiteres davon aus, dass nur gut ein Prozent aller deutscher Soldaten betroffen sind.

Die beiden Veteranen-Organisationen können bis zu einem gewissen Grad "kameradschaftliche Hilfe" leisten. Sie arbeiten eng mit der Deutschen Kriegsopferfürsorge zusammen, die viel weiß über wirtschaftliche Nöte von Ex-Soldaten und mit psychologischen Dienstleistern und Hinterbliebenen-Gruppierungen zusammenarbeitet. "Vom Dienstherrn, der Bundeswehr, erhalten wir keine adäquaten Lösungsangebote", sagt Heike Groos. Im Februar will Verteidigungsminister Karl-Theodor mit den Veteranen sprechen. Er ist 39 Jahre alt. Die jungen Veteranen hoffen auf den jungen Minister.