Birgit Maria Sturm lenkt den Bundesverband der Galerien und Kunsthändler Foto: Clara Wenzel-Theiler

Die Corona-Pandemie erschüttert den Kunstmarkt. Zerbricht die Galerieszene? Birgit Maria Sturm, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Galerien und Kunsthändler, sieht „starke Beschädigungen“.

Berlin - Die Folgen der Corona-Pandemie bringen auch den Kunstmarkt in Bedrängnis. Unsere Zeitung fragt Expertinnen und Experten nach Wegen aus der Krise. Heute: Birgit Maria Sturm, Geschäftsführerin des in Berlin ansässigen Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler.

Frau Sturm, die Corona-Pandemie sorgt auch im Kunstmarkt für erhebliche Unruhe. Kann man das grundsätzlich so sagen?

Das kann man so sagen. Noch sind keine Galerien wegen der Pandemie aus dem Wirbel herauskatapultiert worden. Es gibt sogar ein paar Frontrunner, die in dieser schwierigen Zeit erfolgreich sind, aber das sind die Ausnahme und die bestätigen die Regel. Der Kunstmarkt ist durch den Entzug seiner elementaren Bühnen sehr beschädigt worden.

Planungen im luftleeren Raum

Die da wären?

Fast sämtliche Kunstmessen sind im letzten Jahr entfallen. Auch andere Aktivitäten sind mit einem Brett vernagelt auf dem steht: Kontaktbeschränkung, Reiseverbot, Geschlossen. Ausstellungen online only, keine Eröffnungen, keine Atelierbesuche, keine Sammlermeetings. Nur call & collect auf niedrigster Flamme geht zur Zeit. Aktuell planen Galerien entlang bereits mehrfach verschobener und unsicherer Messetermine. Sie investieren Zeit und Geld in Projekte, die im luftleeren Raum enden könnten.

Und was wird, wenn wir alle einmal aus der Starre erwachen dürfen, 2022 noch als Kunstmarkt existieren?

Also ganz so erstarrt sind die Galerien ja nicht. Galerist oder Galeristin ist ja einer der schönsten Berufe überhaupt, da muss man von vorn herein Optimist sein, sonst kann man es gleich lassen. Wir sind alle Kunst-Kenner, aber keine Kunst-Kassandras. Und wir sind mitten in einem Prozess voller Unwägbarkeiten. Bleiben werden diejenigen mit guten Netzwerken, diejenigen die bereits durchgesetzte Künstler vertreten oder solche, die auf einem guten Weg sind. Alle, die anpassungsfähig sind für neue virtuelle Formate und für die Kontinuität kein bloßes Wort ist.

Galerien ohne Kapitaldecke

Ist das jetzt nicht sehr optimistisch?

Das Problem ist, dass Galerien in der Regel nicht aus einer Kapitaldecke oder Rücklagen schöpfen können. Beim Durchhalten während und bei der Wiederbelebung nach der Pandemie sind Galerien deshalb auf staatliche Hilfen angewiesen – wie der gesamte Kulturbetrieb und alle Wirtschaftszweige, über die ein Lockdown verhängt wurde oder deren Betrieb indirekt durch Verordnungen zum Erliegen kam.

Gewinner unter den Galerien haben Sie schon angesprochen. Als Gewinner dürfen sich doch auch die Auktionshäuser fühlen. Sie haben ihre Taktzahl erheblich erhöht. Was bedeutet das gerade auch für den Erstverkaufsmarkt der Galerien?

Auktionshäuser gehören aus mehreren Gründern zu den Winnern. Erstens arbeiten sie mit historisch abgesicherten Kulturgütern. Zweitens entfällt der langwierige Vermittlungsaufwand für junge Künstler. Ganz wichtig ist drittens: Auktionshäuser sind erprobt im Verkaufen aus der Ferne. Natürlich steht ein Auktionator gerne am Pult im vollen Saal. Das befeuert ihn selbst und die Bieter. Die Auktionatoren haben schon ein paar Jahre echte Praxiserfahrung mit Online-Auktionen – und das kam ihnen in der Pandemie zugute.

Wo bleiben die Kooperationen?

Zuvor hatten sich die Auktionshäuser im Online-Geschäft mit Gegenwartskunst aber auch manch blutige Nase geholt . . .

Sie wissen, dass an der Basis die Galerien die wichtigste Arbeit machen. Und wenn deren Arbeit stockt, dann wirkt sich das in ein paar Jahren auch auf die Auktionshäuser aus. Da wären einmal Gesten der Solidarität angesagt. Oder vielleicht Kooperationsmodelle. Vor einigen Monaten hat ein renommiertes Münchner Auktionshaus zwei Handvoll Galerien zu einer kuratierten Ausstellung mit Arbeiten auf Papier eingeladen. Eine gute Sache!

Zu den dunklen Wolken zählen auch der verlorene Kampf um die verminderte Mehrwertsteuer, das Kulturgutschutzgesetz und manch anderes. Ist da eine erhebliche „Marktanpassung“ überhaupt zu verhindern?

Der Kunstmarkt ist krisenerprobt, die Kulturpolitik hat selten die Hände schützend über ihn gelegt. Infolge der fatalen, ungerechten Mehrwertbesteuerung sind in den letzten Jahren viele Galerien auf der Strecke geblieben. Das Kulturgutschutzgesetz – und jetzt eine neue Einfuhrverordnung – haben dem Kunsthandel, also dem Sekundärmarkt sehr zugesetzt, er wird sich nicht weiter entfalten. Da wächst seit Jahren in Deutschland nichts nach, das ist politisch auch nicht gewollt.

Wettbewerbsverzerrung in Europa

In Europa gibt es auch Gegenbeispiele ...

Ja, in Österreich ist das ganz anders. Dort gibt es für Künstler und Galerien gleichermaßen einen reduzierten Mehrwertsteuersatz. Und zwar mit der klaren kulturpolitischen Intention einer indirekte Förderung des Kunstmarktes. Man muss sich das einmal vorstellen: Eine deutsche Galerie zahlt 19 Prozent Umsatzsteuer, eine österreichische nur 5 Prozent! Man hat dort die Ermäßigung im letzten Jahr noch mal ermäßigt und das bleibt nun für 2021 erhalten. Krasser kann Wettbewerbsverzerrung im Binnenmarkt nicht sein. Deutschland hat die Chance, das Thema in seiner EU-Ratspräsidentschaft im letzten Halbjahr anzugehen, voll verpasst.

Von wirklichem Widerstand hat man öffentlich zumindest nichts gehört.

Unser Verband, der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler, hat schon im April 2020 einen Recovery-Plan mit realistischen Vorschlägen an die Kultur- und Finanzpolitik erstellt, wie der Kunst- und Kulturmarkt in Zukunft besser gedeihen könnte.

Sieben Prozent Mehrwertsteuer sind genug

Und?

Priorität hat die Wiedereinführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent für den gewerblichen Kunstverkauf. Wichtig sind aber weitere Kaufanreize.

Zum Beispiel?

Durch die Anhebung der steuerlichen Absetzbarkeit für den Ankauf von Kunstwerken durch Unternehmen von derzeit 5000 auf 20 000 Euro und durch die Einführung einer steuerlichen Absetzbarkeit für den Ankauf von Kunstwerken durch Privatpersonen bis 20 000 Euro. Hiermit würden nicht nur Galerien, sondern auch Künstlerinnen und Künstler gefördert, die noch nicht„anerkannt“ sind.

Mal weg vom Geld: Die Galerien haben während der Schließung von Museen und Kunsthallen erhebliche Vermittlungsarbeit geleistet. Ist da auch ein neues Bewusstsein füreinander entstanden?

Das wertschätzende Bewusstsein zwischen Markt und Institutionen, zwischen Galerien und Museumsleuten oder Kuratoren ist sehr wichtig. Das will auch erarbeitet sein. Institutionelle Ausstellungen ein Sahnehäubchen, sie sind wertbildend und karrierefördernd. Aber Museen stellen Künstler nicht aus diesen Gründen aus, sondern weil sie einen Kontext zum Beispiel für eine Themenausstellung oder die künstlerische Qualität der Arbeit sehen. In den Institutionen läuft auch schon monatelang nichts mehr, das ist für die Künstler dramatisch, für die Galerien bitter und auch die Kuratoren bekommen alle Pläne über den Haufen geworfen.

Galerien bleiben Kunstwelt-Motor

Es wird kaum noch alles nachgeholt werden können ..

Bei der Ausstellungskonzeption spielen ja viele Rädchen ineinander. Da kann man nicht sagen, was heute nicht geht, das machen wir halt in drei Monaten. Die konstruktive Beziehung zwischen Galerien und Institutionen ist unverzichtbar, seitdem es einen freien bürgerlichen Kunstmarkt gibt. Die zwölf Juroren aus den Museen und Kunstvereinen, die für die Bundeskunstsammlung für drei Millionen Euro Kunst kaufen dürfen, erwerben hoffentlich viele Arbeiten bei den Galerien. Auch damit kann man in dieser schwiegen Zeit zum Markterhalt beitragen.

In all diesen Wellen: Wo sehen Sie die besonderen Chancen des Primärmarktes und speziell der langfristig arbeitenden Privatgalerien?

Galerien sind und bleiben ein Motor in der Kunstwelt, denn sie entdecken und fördern Künstler, die morgen relevant sein werden. Es ist ähnlich wie bei einem Verlag. Ein Autor, der im Selbstverlag produziert, wird von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Er macht das, solange er keinen Verlag hat. Künstler, die sich selbst vermarkten, mögen hier und da ein Publikum haben, aber ihr eigentliches Ziel ist es, eine Galerie zu finden. Galerien sind wie Verlage eine Marke, die den Raum schaffen, in dem sich künstlerische Urheber positionieren und entwickeln können.

Ohne Kunst verkümmern wir

Das klingt jetzt, als agierten die Galerien in einem luftleeren Raum ...

Nein, all dies findet im Rahmen des Stellenwertes, des Renommees und der wirtschaftlichen Möglichkeiten statt, den solche Unternehmen in ihrem Bereich haben. Dazu gehört ein Karussell, eine Wechselwirkung mit Institutionen, mit den Medien, mit den Lesern hier und den Sammlern dort. Das wird auch so bleiben, denn der private Rezipient wird sich am Programm der Marken orientieren. Man schaut auf den Messen, welche neuen Künstler die Galerien zeigen, oder man abonniert sie auf facebook, Instagram oder Youtube, wenn sie dort Kanäle haben.

Resultiert auch daraus die gerne beschworene gesellschaftliche Kraft der Kunst?

Jeder im Kulturbetrieb, ob als Produzent oder als Vermittler, spielt eine funktionale Rolle dafür, dass sich in unserer Gesellschaft zivile Subjekte entfalten können. Ohne Kunst und Kultur verkümmern unsere sensorischen, sozialen und intellektuellen Fähigkeiten, deshalb ist die Verriegelung der Kultur und der Bildung in der Pandemie eine Katastrophe, die hoffentlich bald ein Ende nimmt.

Ausgaben für Kultur steuerlich geltend machen

Hebt Ihr Verband in seinen Forderungen auch deshalb auf das Ganze der Kultur ab?

Optimal wäre sicher die Einführung einer generellen einkommensteuerlichen Absetzbarkeit aller Aufwendungen für Kulturgüter und kulturelle Leistungen. Der Erwerb von Kunstwerken und Büchern, die Kosten für Konzert-, Museums-, Kino-, Theater- und Operntickets und mehr ist beleg- und identifizierbar. Die steuerliche Geltendmachung solcher Ausgaben wäre ein echter Anreiz für den „Kulturkonsum“ und käme allen durch die Pandemie geschädigten Branchen der Kulturwirtschaft, den öffentlichen Einrichtungen und somit auch den Künstlerinnen und Künstlern aller Sparten zugute.

Zurück zur Bildenden Kunst. Diese führt gerne ihre eigenen Kämpfe. Aktuell werden immer häufiger die Flaggen von „Blockchain“ und „Netzwerke“ gehisst, geht es in Debatten gerne gegen „Kommerz“ und „Hierarchie“. Darf das Ringen um die Aufmerksamkeit der 30- bis 40-Jährigen befremden?

Da möchte ich doch ausholen. „Digital bekomme ich nicht wirklich Kontakte zu neuen Sammlern“, sagte mir kürzlich ein Stuttgarter Galerist. Die machte er bisher auf regionalen und internationalen Messen. Dort findet auch der Austausch unter den Professionals statt, auch hier entdecken Galerien neue Künstler, die sie in Kooperation mit Kollegen künftig vertreten wollen.

Digitaler Prozess beschleunigt sich

Wollen Sie auf die Besonderheit hinaus?

Der Kunstmarkt arbeitet im Gegensatz zu allen anderen Märkten mit solitären Objekten, mit künstlerischen Originalen. Deshalb ist die analoge Begegnung in der echten Welt so wichtig. Aber der Prozess, sich als Galerie in der digitalen Welt zu positionieren, der beschleunigt sich. Und er ja schon vor der Pandemie angefangen, mit Online-Plattformen und social media. Da geht es dem Kunstmarkt nicht anders als allen anderen Wirtschaftszweigen. In einer Zeit der komplett eingeschränkten Mobilität ermöglichen optimierte virtuelle Aktivitäten eine Sichtbarkeit rund um den Globus und außerhalb der Öffnungszeiten.

Wird das reichen, um neue Begeisterung zu wecken?

Mit hybriden Strategien werden Galerien auch die von Ihnen genannten künftigen Kunstkäufer zwischen 30 und 40 Jahren erreichen. Die zoomen sich auf ihrem Smartphone erst mal im 360-Grad-Schwenk durch 3D-Ausstellungen, bevor sie in eine Galerie gehen. Da findet ein Paradigmenwechsel statt, auf den sich jede Galerie einstellen wird. Entscheidend wird auch sein, wie sich Mobilität, Wohnen und Arbeiten entwickeln werden. Wenn sich langfristig Einschränkungen in der Mobilität, verknüpft mit einem verstärkten Arbeiten von zuhause ergeben, dann entsteht auch eine Neudefinition des privaten Wohnens.

Weniger Ortswechsel, mehr Kunst?

Inwiefern?

Für die junge urbane, beruflich erfolgreiche Generation werden sich womöglich keine oder weniger Orts- und Wohnungswechsel alle zwei Jahre mehr ergeben. Das hat Auswirkungen auf die Gestaltung von Wohnräumen, die partiell zugleich Arbeitsräume sind. Sich dann mit mehr Kunst zu umgeben, könnte eine konsequente Folge sein. Wir werden es sehen und bleiben optimistisch.

Das ist Birgit Maria Sturm

Birgit Maria Sturm, Germanistin und Kunsthistorikerin, konzipiert als Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Galerien und Kunsthändler die relevanten Grundlagen der internen und externen Kommunikation. Sie repräsentiert die Interessen des BVDG in diversen Gremien, unter anderem in der Ausgleichsvereinigung Kunst, im Deutschen Kulturrat, im Deutschen Kunstrat und in der Künstlersozialkasse. Sie koordiniert die kulturpolitische Lobbyarbeit des Verbandes. Vorsitzender des BVDG ist der Berliner Galerist Kristian Jarmuschek.