Ein Wahlkampf rund um das Thema soziale Gerechtigkeit? Für den Linke-Vorsitzenden Bernd Riexinger eine Steilvorlage. Foto: dpa-Zentralbild

Die Linkspartei sieht durch den Hype um den SPD-Spitzenkandidaten auch eigene Machtoptionen wachsen – und jubelt über seinen Fokus auf dem Thema soziale Gerechtigkeit.

Berlin - Man muss sich die Linke als glückliche Partei vorstellen. Was angesichts der augenblicklichen Umfragewerte ja nicht so ganz einfach ist. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, könnte die Linkspartei nur mit einem Ergebnis um die acht Prozent rechnen. Die Ursachensuche ist schnell erledigt: Man ist in den Schulz-Schatten gerückt. Der SPD-Kanzlerkandidat dominiert die öffentliche Debatte und greift sich das Thema soziale Gerechtigkeit. Die Linke erdrückt das derzeit.

Und dennoch blickt man in der Partei gerade überall in optimistische Gesichter. Ist das Lust am Untergang? Galgenhumor? Nicht doch. Schulz verschafft den Linken ziemlich unverhofft zweierlei: ein Wahlkampfthema und eine Machtperspektive. Jedenfalls ist das die offizielle Sicht des Führungspersonals. Ein bisschen klingt das nach dem Pfeifen im Walde. Aber für beide Aspekte gibt es ganz gute Argumente.

Die Linke fürchtete einen Fokus auf das Thema innere Sicherheit

Zum Beispiel die Machtfrage. Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf, erklärt das im Gespräch mit unserer Zeitung so: „Die SPD hat nun einen wirklichen Kanzlerkandidaten, und das ist auch für die Linke positiv.“ Sigmar Gabriel, sagt Bartsch, wäre doch ohnehin nur „Vizekanzler-Kandidat“ gewesen, und es hätte eben „keinerlei Machtperspektive, keine Regierungsoption für die Linke gegeben“. Jetzt ist das plötzlich anders. Parteichef Bernd Riexinger stellt ganz nüchtern fest: „Rot-Rot-Grün ist durch Schulz arithmetisch und durch seine Themensetzung wahrscheinlicher geworden.“

Geradezu euphorisch reagiert die Linke-Spitze auf die bisherigen inhaltlichen Schwerpunkte des SPD-Konkurrenten. „Die Themen im Wahlkampf werden von den großen Parteien gesetzt“, erklärt Bartsch. Deshalb sei der Schulz-Fokus auf das Thema soziale Gerechtigkeit „für uns ein Segen“. In Riexingers Wortwahl: „eine große Chance“. Die Linke fühle sich da zu Hause, es ist ihr Thema. Mit dem sie aber zuletzt nur noch selten durchdrang. Nun glaubt man, dass alles anders geworden ist. „Als kleine Partei könnten wir das Thema gar nicht von uns aus zum Hauptkampfplatz der Wahlauseinandersetzung machen“, sagt Riexinger. Schulz aber soll als Verstärker wirken.

Damit sei auch „diese dauernde Fixierung, alles in Bezug auf die AfD zu interpretieren“, vorbei, sagt Dietmar Bartsch. Das ändere die gesamte Situation. Hauptthema hätte ja auch „vor allem das Thema innere Sicherheit sein können“. Alles in allem freut sich die Linke also auf eine Auseinandersetzung, die quasi auf dem eigenen Platz ausgetragen wird – Wahlkampf als Heimspiel.

Linke sieht sich beim Thema Gerechtigkeit als „das Original“

Und die Heimmannschaft kann attackieren. „Bei dem Thema sind wir das Original“, sagt Riexinger. „Da haben wir einen großen Glaubwürdigkeitsbonus.“ Langfristig, so sieht man es bei den Linken, kann man Schulz da in die Defensive bringen. „Aufgrund ihres Regierungshandels in den letzten 20 Jahren hat die SPD die Probleme entscheidend mit zu verantworten, die Schulz nun beklagt“, sagt Dietmar Bartsch. Schon zweimal übernahm sie Verantwortung in großen Koalitionen. Das Argument will die Linke in eine Wahlkampf-Waffe umschmieden. Bartsch will vermitteln: „Nur wer die Linke wählt, kann sicher sein, dass seine Stimme nicht dazu beitragen wird, Merkels Amtszeit zu verlängern.“

Langfristig also soll sich der linke Himmel wieder aufhellen. Aber kurzfristig rechnet man durchaus noch mit schweren Zeiten. „Natürlich birgt der Schulz-Hype für uns kurzfristig auch Risiken“, räumt Bernd Riexinger ein. „Derzeit gehen wir in den Umfragen zurück.“ Das liege daran, dass Schulz „noch im Ungefähren bleibt, sich nicht festlegt, wenn es konkret wird“. Es reiche ihm derzeit, „Probleme bloß zu benennen“. So könne er als „Projektionsfläche für viele unzufriedene Menschen dienen“. Schulz wolle sich so unkonkret über die anstehenden Landtagswahlen retten – und das „kann funktionieren“. Aber bis zur Bundestagswahl gehe es eben nicht mehr gut.

Keine Querschüsse von Wagenknecht

Und dann, dann endlich soll die große Stunde der Linken schlagen. Dann will man Schulz stellen. Dann soll es um das Kleingedruckte der Sozialpolitik gehen, um Steuerreform, Mindestlohn, befristete Arbeitsverträge, Rentenkonzepte. Da fühlt sich die Linke gerüstet. Mit einem netten Nebeneffekt, den Riexinger sieht: „Die Grünen erwischt das Thema soziale Gerechtigkeit auf dem falschen Fuß.“

Es fällt auf, dass nichts von der Sicht, die Bartsch und Riexinger da ausbreiten, derzeit von Sahra Wagenknecht öffentlich konterkariert wird. Die Co-Spitzenkandidatin lobte die von Schulz eingeleitete vorsichtige Abkehr von einigen Elementen der Agenda 2010 als „richtig und überfällig“. Und sie sagt Sätze, die man von ihr so gar nicht erwartet. Wenn eine Wiederherstellung des Sozialstaats und eine friedliche Außenpolitik erreichbar seien, beteilige sich die Linke gern an einer Regierung. „Dann“, sagte Wagenknecht jüngst, „halte ich eine Mitte-links-Koalition für möglich.“