Durch die Wahlrechtsreform haben selbst direkt gewählte Kandidatinnen oder Kandidaten keine Garantie mehr dafür, in den Bundestag einzuziehen. Im Wahlkreis Esslingen gibt es neun Bewerberinnen und Bewerber, im Wahlkreis Nürtingen deren sieben.
Kurz, kalt, knackig – mit diesen drei Worten lässt sich der nun zu Ende gehende Bundestagswahlkampf wohl auch für den Kreis Esslingen ganz gut zusammenfassen. Durch den vorgezogenen Termin nach dem Platzen der Ampelregierung blieb den Parteien dieses Mal nicht allzu viel Zeit, um sich und ihre Kandidaten in Position zu bringen.
Dennoch sollten die Wählerinnen und Wähler ihre Meinungsbildung inzwischen abgeschlossen haben, da sie an diesem Sonntag spätestens bis 18 Uhr an die Urnen treten sollten. Im Kreis Esslingen gibt es, wie üblich, zwei Wahlkreise, die sich sowohl durch die Anzahl als auch durch die Namen der Direktkandidatinnen und -kandidaten unterscheiden. Zu wählen sind diese mit der Erststimme, wobei die jeweiligen Stimmenköniginnen beziehungsweise Stimmenkönige zwar keine Garantie mehr, aber nach wie vor recht gute Chancen haben, den Sprung ins Parlament zu schaffen.
16 Listen kämpfen um die Zweitstimme
Was die für die Zusammensetzung des Bundestags entscheidende Zweitstimme angeht, stehen im Wahlkreis Nürtingen und im Wahlkreis Esslingen, wie übrigens in ganz Baden-Württemberg, die 16 gleichen Parteien, Wählervereinigungen und Bündnisse in folgender Reihenfolge auf dem Stimmzettel: CDU, SPD, Grüne, FDP, AfD, Die Linke, Die Basis, Freie Wähler, Tierschutzpartei, Die Partei, Volt, ÖDP, Bündnis C, MLPD, Bündnis Deutschland und Bündnis Sarah Wagenknecht.
Wahlkreis Esslingen
Neun Direktkandidatinnen und -kandidaten treten im Wahlkreis Esslingen an. Für die CDU möchte der Rechtsanwalt David Preisendanz (Jahrgang 1984) den langjährigen Abgeordneten Markus Grübel beerben. Die SPD schickt einmal mehr die 48-jährige Geschäftsführerin Argyri Paraschaki-Schauer ins Rennen.
Für die Grünen will der bereits im Bundestag sitzende Sebastian Schäfer (Jahrgang 1979) erneut einen Abgeordnetensitz holen. Er hat als einziger Bewerber aus dem Wahlkreis Esslingen auch eine realistische Chance, über die Landesliste seiner Partei, die Schäfer auf Platz vier gesetzt hat, ein Mandat zu erringen. Kandidatin der FDP ist die 27-jährige Unternehmensjuristin Laura Hahn.
Die Basis, Freie Wähler und Volt mit Direktkandidaten
Als AfD-Kandidat wirbt der Kriminalbeamte Stefan Wischniowski (Jahrgang 1971) um Stimmen. Für Die Linke steht der 48 Jahre alte Jugend- und Heimerzieher sowie langjährige Esslinger Gemeinderat Martin Auerbach auf dem Wahlzettel.
Die Basis geht mit der Notarangestellten Shpresa Nreca-Bisinger (Jahrgang 1978) an den Start, die Freien Wähler mit dem 48-jährigen Rafael Gawenda, der Geschäftsführer einer IT-Beratung ist, und die paneuropäische Partei Volt mit dem Sachbearbeiter Nicolai Althaus (Jahrgang 1994).
Wahlkreis Nürtingen
Sieben Namen stehen im Wahlkreis Nürtingen in der Erststimmen-Spalte. Für die CDU kandidiert der 40-jährige Hochschulprofessor Matthias Hiller. Der Steuerberater und Wirtschaftswissenschaftler möchte die Nachfolge von Michael Hennrich antreten, der vor knapp vier Jahren das Direktmandat geholt hatte, sein Mandat aber im Februar 2023 niederlegte. Ziemlich sicher hat auch Nils Schmid (SPD) weiterhin seinen Platz im Parlament. Der Bundestagsabgeordnete (Jahrgang 1973) steht auf der Landesliste der Sozialdemokraten auf Platz zwei.
Ob es für den Verkehrsexperten der Grünen, Matthias Gastel, wieder reicht, ist hingegen eine andere Frage. 2021 schafften 14 Grüne über die Landesliste den Sprung nach Berlin. Gastel steht dieses Mal auf Rang zehn. Viel wird also davon abhängen, ob und wie viel seine Partei im Land verliert. Sollten sich zudem einige Grüne in ihren Wahlkreisen Direktmandate sichern, sinken die Chancen des 54-Jährigen weiter.
Schafft Renata Alt den Wiedereinzug?
Noch stärker ist Renata Alt vom Abschneiden ihrer Partei abhängig. Scheitert die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde, ist die Chemie-Ingenieurin ihren Sitz im Bundestag ohnehin los. Schaffen es die Liberalen doch, ist Listenplatz sieben für Alt (Jahrgang 1965) mitnichten eine Garantie für den Wiedereinzug ins Parlament.
Die AfD tritt in Nürtingen mit dem 61-jährigen Diplom-Betriebswirt Christof Deutscher an. Für Die Linke geht die Theaterpädagogin Clara Meier (Jahrgang 1999) ins Rennen, für die Freien Wähler der 35 Jahre alte Architekt Sebastian Zeberle.
Die Erststimme ist keine sichere Bank mehr
Bisherige Regelung
Wer bislang in einem der seit dem Jahr 2020 bestehenden 299 Wahlkreise in Deutschland die meisten Erststimmen auf sich hatte vereinigen können, saß auch sicher im Bundestag. Dies hat sich durch eine Wahlrechtsreform, die im Jahr 2023 beschlossen wurde und durch die die Zahl der Abgeordneten in Zukunft auf 630 Personen beschränkt wird, geändert.
Künftige Regelung
Wer sich das Direktmandat sichert, zieht nur dann noch in den Bundestag ein, wenn seine Partei insgesamt genügend Sitze durch die Zweitstimmen erhält. Da es die seitherigen Überhang- und Ausgleichsmandate künftig nicht mehr gibt, greift die sogenannte Zweitstimmendeckung. Dies bedeutet, dass die Direktmandate mit den niedrigsten Stimmenanteilen entfallen, deren Bewerberinnen oder Bewerber also den Sprung ins Parlament verpassen.
Konsequenzen
Dass das Auswirkungen auf diejenigen haben wird, die sich das Direktmandat in den Wahlkreisen Esslingen und Nürtingen holen, ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Abhängig ist dies vor allem davon, wie viele Prozentpunkte die hiesigen Gewinnerinnen oder Gewinner im Vergleich mit den in anderen Wahlkreisen direkt Gewählten auf sich vereinigen können.