Während die CDU (oben) bei Viertele über Tür-zu-Tür-Wahlkampf diskutiert, gehen bei der SPD die Veteranen auf die Straße, um für ihre Partei zu werben. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Was machen vier Jahre große Koalition eigentlich mit der Parteibasis der Beteiligten? Ein Besuch bei CDU und SPD. Die Wahlkampflaune hält sich bei beiden sehr in Grenzen.

Stuttgart - Winfried Kretschmann ist ihr Landesvater. Und sie sind mit ihm zufrieden. Daran lässt die Gruppe um eine Biergartengarnitur beim Sommerfest des Weinguts Zaiß in Obertürkheim keinen Zweifel. Nur: Die Gruppe ist der CDU-Stammtisch des Stadtbezirks, und kurz vor der heißen Phase im Wahlkampf lobt sie einen Grünen-Politiker in den höchsten Tönen. Was ist da los an der Parteibasis?

Auch die vier Jahre große Koalition haben ihre Spuren hinterlassen – einige Grenzen eingerissen und Gräben zugeschüttet, die einmal zwischen den beiden Regierungsparteien bestanden hatten. SPD-Genossen sagen über Angela Merkel in der Flüchtlingskrise: „Da war sie meine Kanzlerin.“ Die CDU-Mitglieder an der Basis nennen SPD-Altkanzler Gerhard Schröder einen Kanzler, „der sehr viel richtig gemacht hat.“

Einer der bekennenden Schröder-Sympathisanten bei der CDU ist Wilhelm Stephan, ein einfaches Parteimitglied. „Recht und Ordnung“ – das sind seine Themen. „Die Autoindustrie“ nennt er als erstes auf die Frage, was ihn vor der Bundestagswahl am 24. September beschäftigt. „Kretschmann zeigt klare Kante beim Diesel und nimmt ihn zurecht in Schutz“, freut er sich darüber, dass der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg beim Abgasskandal eine Lanze für die Autoindustrie gebrochen hat.

Den Neumitgliedern fehlt der Elan

Wenige Wochen vor der Wahl herrscht an der CDU-Basis nur wenig Aufregung. Klar, es werden Plakate geklebt. Aber der Vorschlag aus der Wahlkampfzentrale in Berlin, es der SPD gleichzutun und ebenfalls Tür-zu-Tür-Wahlkampf zu betreiben, stößt hier auf Befremden. „Es hat schon ein G’schmäckle, an fremden Haustüren zu klingeln“, findet nicht nur der Bezirksbeirat Matthias Föll.

Einige SPD-Mitglieder des Ortsvereins Stuttgart-Mitte stehen am Charlottenplatz, verteilen Flyer und Gummibärchen. Das Grüppchen, das sich an diesem windigen Samstag um einen Stehtisch versammelt hat, wirkt eher wie bei der Pflichterfüllung denn bei glühendem Wahlkampf. Vom Schulz-Zug, vergriffenen Parteibüchern und Mitgliederzuwachs ist kaum etwas zu spüren. Und ob alleine der Wind der Grund ist, warum heute kein einziges Neumitglied vor Ort ist, bleibt zu bezweifeln.

Daniel Bohn ist in die Partei eingetreten, als Martin Schulz seine Kanzler-Kandidatur verkündete. Am Telefon ist der 37-jährige Programmierer ehrlich, warum ihm heute für den Straßenwahlkampf der Elan fehlt: „Ich glaube nicht dran, dass die SPD die stärkste Partei im Bundestag wird.“ Das sei demotivierend – und darum mache Bohn, wie er sagt, mit seinem Engagement „gerade Pause.“

Anhänger sind schwer zu mobilieren

Der Mitte-Bezirksbeirat Heinrich-Hermann Huth muss also mit den anderen Parteiveteranen alleine Gummibärchen verteilen. Er glaubt, ein Problem sei, dass viele Genossen in Angela Merkel kein richtiges politisches Feindbild sehen – sich selbst offenbar eingeschlossen. „In der Flüchtlingskrise dachte ich zum ersten Mal: Das ist meine Kanzlerin“, sagt Huth. Das dachte er zwar davor nicht und danach nie wieder. Aber Kritik üben die Gummibärchenverteiler im Grunde nur daran, dass Merkel so wenig Angriffsfläche biete.

Zurück zum Hoffest. Josef Stritzelberger, seit Jahrzehnten bei der CDU, findet, dass die schwarz-rote Bundesregierung das Schiff in den vergangenen vier Jahren souverän durch krisenreiche Zeiten gelenkt habe. „Die haben sich schon gut zusammengerauft“, sagt Stritzelberger.

Frank Brettschneider, der an der Uni Hohenheim Kommunikationswissenschaften lehrt und sich seit Jahren mit dem Thema Wahlkampf beschäftigt, wundert die Situation an der Parteibasis überhaupt nicht. „Es gibt immer zwei Ziele im Wahlkampf: Die eigenen Anhänger zu mobilisieren und die Unentschlossenen Wähler zu überzeugen“, sagt er. Gerade die eigenen Anhänger seien für den Wahlkampf in diesem Jahr besonders schwer zu motivieren.

Das große Wahlkampfthema fehlt

Denn der Bundestagswahl fehle das ganz große Thema. „Gerade, wenn es so viel Konsens über die Parteigrenzen hinweg gibt, sind die einfachen Parteimitglieder kaum durch die Standardthemen im Wahlkampf hervorzulocken“, sagt Brettschneider. Die Mobilisierungskampagnen der eigenen Anhänger hätten darum nicht den gewünschten Erfolg.

Max Kottmann, mit 25 Jahren das jüngste CDU-Mitglied, das heute am Stammtisch sitzt, wirbt trotzdem für die Christdemokraten. Vielleicht wäre es aber beinahe anders gekommen. Dass Kottmann seit 2012 in der CDU ist, ist womöglich einem Zufall zu verdanken. „Ich war politisch interessiert und habe bei CDU, SPD und FDP nach Infomaterial gefragt“, sagt er. Die einzige Partei, die sich zurückgemeldet habe, sei die CDU gewesen.