Anna Christmann (rechts) findet das Klinkenputzen spannend. Foto: Lichtgut/Ecker

Die 1983 in Hannover geborene Wahlstuttgarterin Anna Christmann will für die Grünen in den Bundestag einziehen. Sie tritt im Wahlkreis Stuttgart II an und hat, um sich bekannt zu machen, viele an vielen Klingeln geläutet.

Stuttgart - Es könnte das Spiel „Klingelputzen für Fortgeschrittene“ sein. Drücken, warten, bei fehlender Reaktion einen Knopf nach unten und wieder von vorn. Doch das, was Anna Christmann macht, hat mit Spielen wenig zu tun. Dafür ist die Sache zu ernst. Spaß macht Christmann der Klingelputz trotzdem, denn sie ist neugierig: auf die Menschen, denen sie beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf im Wahlbezirk Stuttgart II begegnet und darauf, wie die Menschen auf sie reagieren, wenn sie sich ihnen als Kandidatin der Grünen für die Bundestagswahl am 24. September vorstellt.

Keine Scheu vor Menschen mit anderen politischen Meinungen

Scheu vor der direkten Konfrontation mit Menschen, die politisch eine andere Meinung haben, hat die promovierte Politikwissenschaftlerin keine – im Gegenteil. Gerne lässt sich die 1983 in Hannover geborene Wahl-Stuttgarterin, die im von Ministerin Theresa Bauer (Grüne) geführten Wissenschaftsministerium arbeitet, auf Gespräche mit politisch anders orientierten Menschen ein, um diesen ihre Positionen, Argumente und Vorstellungen darzulegen – und sie von grüner Politik zu überzeugen. Das Direktmandat vermag die in Zuffenhausen wohnende Christmann vermutlich kaum zu erringen. Der Einzug ins Parlament könnte aber über die Landesliste klappen. Auf der hat sie Platz elf.

Dass bei der Bundestagswahl 2013 lediglich zehn baden-württembergische Grüne den Einzug in den Bundestag schafften und Birgit Bender – obwohl sie 13,9 Prozent der Erststimmen erhielt und die Grünen im Wahlkreis Stuttgart II auch 13,8 Prozent der Zweitstimmen einheimsten – auf Listenplatz elf den Wiedereinzug ins Parlament verpasste und somit ihr Mandat verlor, bereitet Christmann kein Kopfzerbrechen. Es sei ein Erfolg gewesen, auf Listenplatz elf zu kommen. „Das war für mich ein großer Motivationsschub.“

Umfragewerte sind ihr nicht wichtig

Nun kämpfe sie dafür, ins politische Berlin zu kommen. „Das ist zu schaffen“, sagt sie. Umfragewerte seien unwichtig. Es gehe darum die Menschen zu erreichen, sie für die Politik der Grünen zu begeistern. Und das mache sie am liebsten im direkten Dialog: an Infoständen, bei Podiumsdiskussionen, bei Vor-Ort-Terminen mit Abgeordneten aus Bund und Land und beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf. Anfeindungen hat sie keine erlebt. Die Menschen seien ihr stets offen und fair begegnet. Dass sie auch Sätze wie „Sie sind mir nicht links genug“ hört, macht ihr nichts. Dann kommt sie so richtig in Fahrt, argumentiert und macht mit Verve deutlich: „Ich stehe voll hinter dem grünen Weg!“

Viele Ziele hat sich Christmann gesteckt, die bis 2013 für sechs Jahre in der Schweiz lebte und in Zürich über die Grenzen direkter Demokratie promovierte. Sie möchte auch hier ein mehr an Mitbestimmung erreichen. „Ich habe in der Schweiz erlebt, wie man Demokratie auch anders machen kann und werde mich für den direkten Volksentscheid einsetzen“, sagt Christmann. Ein solches Instrument sei „eine gute Ergänzung zur repräsentativen Demokratie, wie wir sie in Deutschland haben“. Auch in Kalifornien hat sie Volksabstimmungen und deren positiven Einfluss auf die Politik erlebt.

Weg von der autogerechten Stadt

Die Zeit in den USA „war die einzige, in der ich ein Auto besessen habe“, sagt die 34-Jährige, die in Stuttgart „als Fußgängerin, Fahrradfahrerin und ÖPNV-Nutzerin“ ganz gut zurecht komme. Von der „autogerechten Stadt“ müsse man aber weg kommen und mehr für die Luftreinhaltung tun. Zudem sei es nötig, mehr zu tun, damit es mehr bezahlbarer Wohnraum gibt. Für eine geeignete Mietpreisbremse will sie sich einsetzen und für die Steuerung des Wohnungsbaus. „Zürich hat es geschafft“, sagt die Grünen-Kandidatin. „Dort sinken die Mietpreise.“ Der Genossenschaftswohnungsbau müsse gefördert werden. Und dass Nachverdichtung in Großstädten gut gelingen kann, dafür sei der Hallschlag ein gutes Beispiel. Allein in der Landeshauptstadt sieht sie Potenzial für 10 000 neue Wohneinheiten, ohne auf die grüne Wiese gehen zu müssen.

Den Impuls, von Zürich nach Stuttgart zu wechseln, hatte Winfried Kretschmann ausgelöst. Als er Ministerpräsident geworden war „hat es mich gejuckt“, sagt die 34-Jährige, sie wollte grüne Politik mitgestalten. So entschied sie sich gegen eine Karriere als Wissenschaftlerin und für die Politik. Im Ministerium von Theresia Bauer, die sie seit ihrer Heidelberger Studienzeit kennt, seien nun beide Felder miteinander vereint. „Ich konnte es mir schon immer vorstellen, in die Politik zu gehen. Ich habe einen großen Gestaltungsdrang.“ Und sie ist überzeugt: „Da kann man viel bewegen.“

Die Mobilität für die Zukunft rüsten

Der Wandel der Mobilität steht bei Christmann mit oben. „Das ist eine große Herausforderung, und der Bund muss hier stärker in die Verantwortung kommen“, sagt sie. Die Digitalisierung könne, so glaubt die Grüne, deren Eltern ein kleines IT-Unternehmen haben, hier viel zu einer positiven Entwicklung beitragen.