Insgesamt sind etwa 350 Esslinger Rathausmitarbeitende mit dem Kuvertieren und Bearbeiten der Briefwahlunterlagen bis Freitag, 21. Februar, beschäftigt – darunter Charalambos Parharidis, Ammar Memic und Benedict Schipper (von links). Foto: Roberto Bulgrin

Die Zeit sitzt ihnen im Nacken. Die vorgezogenen Neuwahlen durch das Ampel-Aus in Berlin bringt die Rathäuser unter Druck. Darum setzt Esslingen auf ungewöhnliche Methoden – und macht die Verwaltung zum Hauptakteur.

Schokoriegel, Kaubonbons oder Gummibärchen liegen wild verstreut in einem Karton. „Das ist Nervennahrung“, erklärt Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer. Nervennahrung, die die Rathausmitarbeitenden in der Schickhardt-Halle bei Laune halten soll. Rund 350 in der Stadtverwaltung Tätige sind hier im Alten Rathaus bis Freitag, 21. Februar, wechsel- und stundenweise mit dem Eintüten und Versenden von Briefwahlunterlagen beschäftigt. Der knappe Wahltermin nach dem Aus der Ampelregierung in Berlin erfordert neue Wege. Bei „gewöhnlichen“ Bundestagswahlen erledigen Andere diese Aufgaben.

 

Doch 2025 ist alles anders. Selbst der Stadtchef hat eine Briefwahl-Schicht übernommen. Seine Mitarbeiter hätten ihm handschriftliche Tätigkeiten wegen erwiesener Unlesbarkeit strikt untersagt, sagt Matthias Klopfer – und plaudert noch ein wenig aus dem Nähkästchen: Zu Studienende habe er Wochen nach seiner Klausur zum Staatsexamen einen Anruf erhalten. Nicht dass er durchgefallen war, wurde ihm mitgeteilt, sondern dass kein Prüfer seine Klaue lesen könne. Unter staatlicher Aufsicht musste er den Text der von Hand geschriebenen Klausur sorgfältig und besser lesbar am Computer abtippen.

Briefwahl liegt in Esslingen im Trend

Darum ist er nun in der Schickhardt-Halle nicht mit schreiben, sondern mit dem kuvertieren der Briefwahlunterlagen beschäftigt. Briefwahl liegt im Trend. Bei der Bundestagswahl 2021, rechnet Wahlleiterin Brigitte Länge vor, hatten rund 50 Prozent in Esslingen ihre Stimme auf diese Weise abgegeben. Bisher sind 14 000 Anträge im Rathaus eingegangen. Bei 58 126 Wahlberechtigten wird mit einem weiteren Anstieg gerechnet.

Auch Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer übernahm eine Schicht beim Kuvertieren der Briefwahlunterlagen. Foto: Roberto B/ulgrin

Unterlagen ins Kuvert stecken. Noch einmal. Und noch einmal. „Das ist Fließbandarbeit“, meint ein Mitarbeiter. Bei gewöhnlichen Wahlen werden die Briefwahlformulare durch externe Helfer versandt, erklärt Brigitte Länge: „Das übernehmen meist Dienstleister im Lettershop-Bereich, die sich auf Kommunen spezialisiert haben.“ Wegen der kurzen Zeitspanne durch die vorgezogene Bundestagswahl habe das Rathausteam das Kuvertieren und Versenden aber selbst übernommen. So könne wertvolle Zeit gespart werden: „Verzögerungen hätten beispielsweise durch die Übermittlung der Briefwahlanträge an den Dienstleister oder dessen Kapazitäten entstehen können.“ Durch die Rathaus-Eigenarbeit könnten die Briefwahlunterlagen ohne Verzögerungen in den Postumlauf gehen. Bei der kurzen Zeit zähle jeder Tag. Immerhin wird das Stadtsäckel durch die Eigenarbeit geschont. Mit etwa 16 000 Euro schlägt die Beauftragung eines externen Dienstleisters „abhängig von der Anzahl der Briefwahlversendungen“ laut Brigitte Länge zu Buche.

„Tempo, Tempo“, lautet das Motto also derzeit bei der Stadtverwaltung. Das Zeitkorsett ist eng geschnürt: „Üblicherweise bereiten wir uns rund ein Jahr lang auf eine Bundestagswahl vor – von ersten Schulungen, dem Organisieren der Wahllokale und Wahlhelfer bis hin zur Einrichtung der Briefwahlstelle im Alten Rathaus“, sagt die Wahlleiterin. Doch nun muss es zackiger gehen: „Wir bitten daher alle Wahlberechtigten, ihre Stimme, wenn möglich, am Wahlsonntag vor Ort im jeweiligen Wahllokal abzugeben.“

Das Rathausteam gibt Gas. Unzählige Kuverts mit Briefwahlunterlagen stapeln sich in den Kartons. Ein Ablecken des Verschlussstreifens der Briefumschläge ist nicht nötig. Damit den Mitarbeitern weder die Puste noch die Spucke ausgeht, werden befeuchtete Schwämme zu Hilfe genommen. Sie können aber auch nicht verhindern, dass die Unterlagen bei ebenfalls wahlberechtigten Deutschen, die im Ausland leben, zu spät ankommen könnten, erklärt ein Mitarbeiter.

Esslinger wohnen in Island, Finnland, Japan, Dänemark, der Schweiz, den USA oder Australien. Die Unterlagen gehen per Luftpost raus – trotzdem könnte es eng werden. Er sei kein Fan der Briefwahl, outet sich Matthias Klopfer. Der Grundsatz der geheimen Wahl sei beim Ausfüllen der Unterlagen zu Hause nicht gewährleistet. In diesem Ambiente könne einem auch jemand über die Schuler schauen.

Dennoch wird die Briefwahl immer beliebter. Bis zum Freitag vor der Wahl, 21. Februar, um 15 Uhr können die Unterlagen beantragt werden, führt Antje Zeisner-Lukacs als stellvertretende Wahlleiterin aus. Bei solch knappen Fällen könne ein rechtzeitiger Versand der Unterlagen bis zum Wahltermin auf dem Postweg nicht gewährleistet werden. Sie empfiehlt mindestens eine Woche vor dem Urnengang als Vorlaufzeit. In anderen Fällen „sei es ratsam, die Unterlagen bei der Briefwahlstelle in der Schickhardt-Halle im Alten Rathaus abzuholen oder abholen zu lassen“, rät Brigitte Länge.

Warum der OB Süßigkeiten mag

Beim Briefwahlteam rauchen indes die Köpfe. Die Notfallbox mit den Süßigkeiten hat sich bereits ein wenig geleert. Er sei ein Stressesser, verrät Matthias Klopfer. Einen Griff in die Box habe er sich aber dennoch bisher verkniffen.

Die Briefwahl

Wähler
Wählen dürfen bei der Bundestagswahl Deutsche, die mindestens 18 Jahre alt sind, seit mindestens drei Monaten in der Bundesrepublik leben und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Ihre Stimme abgeben dürfen auch alle volljährigen, im Ausland lebenden Deutschen ohne gemeldeten Wohnsitz in Deutschland und volljährige aus dem Ausland zurückkehrende Deutsche, die ihren Hauptwohnsitz im Inland begründen.

Briefwahl
Beim Ausfüllen der Briefwahlunterlagen ist darauf zu achten, dass der unterschriebene Wahlschein beigefügt wird. Und es sollte laut Wahlleiterin Brigitte Länge nicht vergessen werden, den ausgefüllten Stimmzettel in den Stimmzettelumschlag zu geben und diesen zuzukleben. Mit den Formularen werde aber auch eine leicht verständliche Anleitung zur Briefwahl verschickt.