Landespartei rüstet sich für die Bundestagswahl 2013 und strebt „sieben bis neun Prozent“ an. Foto: Max Kovalenko/PPF

Sind sie noch die Exoten oder doch ernst zu nehmen? Die Piratenpartei wird erwachsen. Auf dem Landesparteitag in Wernau stellte sie die Weichen zur Bundestagswahl.

Wernau - Da steht er also, der Chef, und wirkt so gar nicht wie ein Parteichef. Lars Pallasch hat den obersten Hemdknopf offen, um den Hals baumelt das orangefarbene Bändel der Piraten, daran hängt sein Namensschild. Alles locker, lasst uns Spaß haben, könnte die Botschaft seines Auftritts lauten. Von wegen. Die Ansage des Landesvorsitzenden der Piratenpartei an die 200 Mitglieder, die sich in Wernau zum Landesparteitag treffen, ist unmissverständlich: Niemand solle meinen, dass der Job im Bundestag eine Spaßveranstaltung sein werde. „Das Abgeordnetenleben ist stressig. Da kann keiner eine ruhige Kugel schieben“, sagt der Boss. Bei manchen Bewerbern, die da 2013 bei der Bundestagswahl gerne in den Berliner Reichstag einziehen würden, sei er sich nicht so sicher, ob sie das schon realisiert hätten. Jeder möge sich deshalb „nochmals gut überlegen, ob er kandidiert“. Wenn ja und wenn man dann auch gewählt werde, gelte es „Verantwortung gegenüber den Bürgern und der Partei zu übernehmen“.

Kein Zweifel, die Ansage wirkt. Der zweitägige Parteitag der baden-württembergischen Piraten macht eines klar: Die Zeit des vermeintlichen Durcheinanders von ungestümen Politnovizen scheint vorbei. Wer meint, da würden nur ein paar Internetfreaks im Saal sitzen, die sich per Mausklick verständigen, der irrt. Da mag die Aufstellung der 30-köpfigen Landesliste zur Bundestagswahl zwar zur zweitägigen Mammutveranstaltung werden, sie wird aber auch zur ernsthaften Auseinandersetzung mit politischen Inhalten – allenfalls unterbrochen durch launige interne Twitternews wie „Yeah, das Popcorn schmeckt“ oder „Der Kuchen ist aus“.

Denn so bunt wie die Partei, so bunt sind auch die Themen, mit denen die Kandidaten um einen der begehrten Listenplätze kämpfen. Alle politischen Felder werden abgedeckt. Mal bewirbt sich einer mit dem Schwerpunkt Soziales und wirbt für ein stärkeres Miteinander von Behinderten und Nichtbehinderten, mal spricht einer über eine neue europäische Verteidigungs- und Außenpolitik. Ein anderer thematisiert die dramatischen Haushaltsprobleme und warnt: „Wir dürfen unseren Kindern keinen finanziellen Sondermüll hinterlassen.“ Wieder ein anderer will sich – sollte er denn in den Bundestag einziehen – dem Bereich Bankenneuordnung widmen: „Wir brauchen keine großen Zockerbanken, die mit Steuergeldern gerettet werden müssen, sondern Banken, die dem Handwerker vor Ort wieder zinsgünstiges Geld geben.“

Jeder darf sagen, was er will. Und reden, so lange er will

Und vor allem: Wo bei etablierten Parteien schon mal die Parteitagsregie vorgibt, wer wie lange reden darf, gilt bei den Piraten eine Grundregel: Jeder darf sagen, was er will. Und reden, so lange er will. „Hattest du genug Zeit, dich vorzustellen?“, lautet denn auch die stereotype Frage des Tagungspräsidenten an jeden Kandidaten, wenn er oder sie die Bühne wieder verlässt. Und alle antworten überzeugend mit Ja. Eine Stimmung, die sich auch im Foyer der Halle spiegelt. „Wir sind neu und frisch, aber wir sind nicht mehr die Exoten“, sagt einer und erinnert an die Tatsache, dass die Piraten mittlerweile in vier Landtagen vertreten seien: Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Bei der Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg schaffte man auf Anhieb 2,1 Prozent.

Für Pallasch, der einen Landesverband mit knapp 4000 Mitgliedern führt, sind das alles gute Vorzeichen. Er ist zuversichtlich, dass der Aufwärtstrend anhält. „Wir wollen bei der Bundestagswahl über die Fünfprozentmarke kommen“, meint er in Wernau und hält „sieben bis neun Prozent“ für machbar. Woher der Optimismus? „Unsere Basisdemokratie stößt auf offene Ohren in der Bevölkerung.“ Dass die Grünen ihr Führungsduo für die Bundestagswahl nun durch die Mitglieder bestimmen lassen, sei doch „eindeutig von uns abgekupfert“. Apropos Grüne. „Lasst uns bloß nicht wie die enden“, sagt einer. Soll heißen: Sie waren eine Protestpartei, nun sind sie eine Postenpartei.

Und so strotzen die Piraten am Ende ihres Parteitags vor Selbstbewusstsein. „2013 wird unser Jahr“, ruft einer der Kandidaten optimistisch ins Mikrofon: „Unsere Art und Weise, transparente und ehrliche Politik zu machen, sorgt für eine Entschlackung der Gesellschaft.“ Es gelte, „die vielen Nichtwähler für uns zu gewinnen, die sich längst von der Politik distanziert haben“. Mit Sebastian Nerz an der Spitze soll das gelingen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende, von Beruf Diplom-Bioinformatiker aus Tübingen, wird auf Platz eins der Landesliste gewählt, gefolgt von Sven Krohlas (Dettenheim/Informatiker), Julia Probst (Ulm/Social-Media-Managerin) und André Martens (Freiburg/Ingenieur). Martens war Landesvorsitzender der Piraten, und ähnlich wie sein Nachfolger Pallasch appelliert er an seine Mitstreiter: „Wir müssen den Bürgern ehrlich sagen, was wir können und wo wir uns erst noch einarbeiten müssen.“ Politik als transparentes Geschäft sozusagen. Da passt es gut, dass vor der Halle ein grauer Kasten steht. Die Aufschrift: „Dies ist keine Wahlurne, hier könnt Ihr Euer Feedback für den Landesvorstand einwerfen.“