Tausende Kranke warten auf ein lebensrettendes Organ, das ihnen transplantiert werden könnte. Foto: dpa

Mit der sogenannten Widerspruchslösung will Gesundheitsminister Jens Spahn die Bürger stärker in die Pflicht nehmen. Kritiker sehen darin einen Zwang des Staates – und im Parlament gibt es Gegenvorschläge.

Berlin -

Wie viele Organspenden gibt es?

Seit 2010 sank die Zahl der Spender und erreichte mit 797 Spenden im Jahr 2017 den Tiefstand. Im vergangenen Jahr zeigte sich eine Zunahme auf 955 Menschen, die nach ihrem Tod Organe spendeten. Trotzdem sind die Bundestagsabgeordneten einhellig der Meinung, dass mehr getan werden muss, um Spenden zu erhalten. Derzeit warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) etwa 9400 Schwerkranke auf ein lebensrettendes Spenderorgan. Im Bundestag gibt es verschiedene Ansichten, wie das Ziel erreicht wird.

Was schlägt der Kreis der Abgeordneten um Gesundheitsminister Jens Spahn vor?

Diese Gruppe will die Widerspruchslösung. Das heißt: Jeder Bürger gilt als Spender - es sei denn, er hat zu Lebzeiten erklärt, dass er nicht Spender sein will. Damit Klinikärzte wissen, wie sich jemand entschieden hat, wird voraussichtlich beim Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ein Register eingeführt. Kommt jemand nach seinem Tod als Spender in Frage, fragt der Arzt beim DIMDI nach, wie sich der Patient entschieden hatte. Wenn das kein Ergebnis bringt, fragt der Arzt die Angehörigen, ob der Tote Organspender sein wollte oder nicht. Ist den Angehörigen nicht bekannt, dass der Verstorbene Organspenden ablehnte, ist die Transplantation zulässig.

Wie funktioniert das Register?

Laut Spahn soll es zunächst so sein, dass ein Arzt mit seinen Patienten über Organspende spricht und dessen Willen dann dem DIMDI meldet. Künftig soll das zudem auch jeder Bürger selbst dem DIMDI mitteilen können. Damit sich mehr Bürger mit dem Thema befassen, werden alle 70 Millionen Erwachsenen vom Einwohnermeldeamt angeschrieben und darauf hingewiesen, dass nun die Widerspruchslösung gilt. Bei der Gelegenheit soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auch Infomaterial über Organspenden beilegen.

Was schlägt der Kreis der Abgeordneten um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die Stuttgarter CDU-Abgeordnete Karin Maag vor?

Auch er will zu mehr Organspenden kommen – allerdings als „bewusste und freiwillige Entscheidung“, die nicht durch den Staat erzwungen werden darf. Die Widerspruchslösung wecke Ängste und mindere das Vertrauen in die Organspende. Die Gruppe will, dass ein Online-Register entsteht, in das jeder eintragen kann, ob er postmortal Spender sein will oder nicht. Wer kein Votum für oder wider die Organspende abgibt, wird nicht registriert. Auf das Register haben auch die Kliniken Zugriff, um nach dem Tod eines Menschen zu erfahren, wie sich der Tote zu Lebzeiten entschieden hatte. Die Eintragung soll auf den Bürgerämtern stattfinden. „Den Ausweisstellen kommt eine zentrale Bedeutung zu: Sie werden verpflichtet, die Bürgerinnen und Bürger mit Informationsmaterialien zu versorgen und bei Abholung der Ausweispapiere zur Eintragung in das Organspende-Register aufzufordern.“

Warum gibt es heute so wenig Spenden - obwohl etwa 36 Prozent der Bürger einen Spenderausweis haben?

Eine Studie der Universität Kiel zeigt, dass die Abläufe in den Kliniken nicht gut funktionieren. Zwischen 2010 und 2015, so die Studie, hat sich die Zahl möglicher Spender um fast 14 Prozent erhöht - die Zahl der tatsächlich realisierten Spenden sank im gleichen Zeitraum aber um fast ein Drittel. Um dies zu ändern, hat der Bundestag das Transplantationsgesetz geändert. Diese Novelle trat am 1. April in Kraft und besagt, dass Transplantationen besser vergütet werden sollen. Zudem sollen sich dort spezielle Beauftragte darum kümmern, dass es mehr Spenden geben wird. Beide Parlamentarier-Gruppen – der Kreis um Spahn wie der um Baerbock/Maag – betonen, dass ihre jeweiligen Vorschläge allein nicht ausreichten, um zu mehr Spenden zu kommen. Dafür seien auch Änderungen im Klinikalltag nötig, wie sie die Novelle anstrebe.

Wie ist die Lage in anderen Ländern?

In 20 EU-Ländern - darunter ist Österreich - gilt die Widerspruchslösung. Österreich weist auch eine deutlich höhere Spenderquote als Deutschland auf. Dort findet aber trotz Widerspruchslösung keine Organentnahme statt, wenn Angehörige dies nicht wünschen - und zwar auch dann nicht, wenn der Tote nicht widersprochen hatte und eine Entnahme somit rechtmäßig wäre. „Wir wollen das nicht gegen den Widerstand der Verwandten durchsetzen. Das würde die öffentliche Wahrnehmung des Organspendens sehr negativ beeinflussen“, sagt Stephan Eschertzhuber, der die transplantationschirurgische Intensivabteilung der Uniklinik Innsbruck geleitet hat. Er betont, wie wichtig es also ist, dass Ärzte Zeit und Ruhe haben, um mit Angehörigen zu besprechen, ob es bei ihrem toten Familienmitglied zu einer Spende kommen soll.