Die Gräueltaten nicht vergessen, das ist der Jesidischen Gemeinde wichtig. 2020 gedachten Jesiden auf dem Stuttgarter Schillerplatz der Toten im Irak. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Ministerpräsident Winfried Kretschmann lobt Entscheidung als „herausragendes Symbol der Gerechtigkeit“. Das sagen Jesiden aus Stuttgart zu dem Beschluss.

Der Bundestag erkennt die Verbrechen des Islamischen Staats (IS) im Irak als Völkermord an. Darauf haben sich die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP in einem gemeinsamen Antrag verständigt, der an diesem Donnerstag im Bundestag behandelt wird. Die Fraktionen fordern die Bundesregierung außerdem auf, die juristische Verfolgung von IS-Tätern auszubauen. Erste Urteile wegen Genozids und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind in Deutschland bereits gefallen und vom Bundesgerichtshof bestätigt worden.

Zudem will sich der Bundestag „mit Nachdruck für den Schutz der Menschenrechte der Jesidinnen und Jesiden einsetzen“. Durch die Gräueltaten des IS seien sechs Millionen Menschen allein im Irak vertrieben worden. Sie sollen ihre Lebensweisen „weltweit praktizieren können“.

Das Land engagiert sich besonders

Dafür macht sich insbesondere Baden-Württemberg stark. In Deutschland leben geschätzt 100 000 bis 200 000 geflüchtete Jesiden. Baden-Württemberg hat in einem Sonderkontingent in den Jahren 2015 und 2016 1100 besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus der Region Dohuk im Nordirak aufgenommen. Darunter Nadia Murad, die 2018 den Friedensnobelpreis bekommen hat. Für das Sonderkontingent hat das Land bis Mitte des vergangenen Jahres laut Staatsministerium rund 56 Millionen Euro ausgegeben. Andere Bundesländer waren dem Vorbild gefolgt. Die Bundestagsfraktionen lobten die Schutzprogramme als Auswege aus einer hoffnungslosen Situation.

Kretschmann lobt „Signal der Gerechtigkeit“

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) würdigte das Vorhaben des Bundestags. Er sagte unserer Zeitung: „Die offizielle Anerkennung des Völkermords an den Jesidinnen und Jesiden durch den Bundestag ist für die Betroffenen ein herausragendes Signal der Gerechtigkeit“. Doch bleibe „noch viel zu tun“. Das Sonderkontingent habe gezeigt: „Eine humanitäre, kontrollierte Hilfe und Aufnahme für die am schwersten betroffenen Menschen in Kriegs- und Krisengebieten ist möglich. Lassen wir deshalb in unserem Einsatz für diese Menschen nicht nach.“

Süßigkeiten für die Kollegen

Für die Jesidinnen in Baden-Württemberg ist die Entscheidung des Bundestags von großer Bedeutung. „Das ist ein sehr besonderer Tag für mich“, sagte Kaser Khidir, die in Stuttgart lebt, unserer Zeitung. „Ich werde allen meinen Arbeitskollegen Süßigkeiten mitbringen und allen danken, die sich für uns eingesetzt haben“. Sie sei „sehr, sehr glücklich und dankbar“. Khidir ist vor allem wichtig, „dass nicht in Vergessenheit gerät, was wir erlebt haben“ und dass Jesidinnen und Jesiden auch die Möglichkeit bekommen sollen, in ihre Heimat zurückzukehren.

7,1 Millionen Euro für Härtefälle

Als Problem sieht sie die Positionierung des Bundestags zu Kindern von Jesidinnen, die nach Vergewaltigungen durch muslimische IS-Kämpfer geboren sind. Die Kinder gelten als Muslime. Der Bundestag will die Integration der Kinder in die jesidische Gemeinschaft unterstützen. Kaser Khidir, die auch im Zentralrat der Jesiden in Deutschland sitzt, spricht sich jedoch dafür aus, dass die Kinder in Waisenhäusern leben sollten. „Der Bundestag sollte diese Frage ausklammern“, meint sie. Jesidische Frauen, die ihre muslimischen Kinder bei sich behalten wollten, müssten sonst die Gemeinschaft verlassen.

Neues Hilfsprogramm aus Baden-Württemberg

Hier will ein neues Hilfsprogramm des Landes Baden-Württemberg ansetzen. Die Koalition aus Grünen und CDU hat bereits rund 7,1 Millionen Euro für die Jahre 2023 und 2024 in den Haushalt eingeplant, um bis zu 200 Härtefälle aufnehmen zu können, wie eine Sprecherin der Landesregierung sagte. Gedacht sei erneut insbesondere an jesidische Frauen und Kinder, die Opfer des IS geworden sind. Für das Programm ist die Zustimmung des Bundes notwendig. Die Sprecherin erklärte, das neue Programm solle die Unterstützung vor Ort nicht ersetzen, sondern sie „in unerträglichen Härtefällen ergänzen“. Baden-Württemberg engagiert sich seit 2016 in der Region Dohuk in der Region Kurdistan-Irak und im Nordirak.