Nach der Eskalation der Gewalt in Afghanistan zieht die Bundesregierung ihre Berater in Kabul ab.

Kabul/Berlin - Nach der Eskalation der Gewalt bei den Protesten gegen die Koranverbrennung in einem US-Militärlager in Afghanistan zieht die Bundesregierung ihre Berater aus den Behörden in Kabul vorerst ab.

Es handele sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme, teilte, Entwicklungsminister Dirk Niebel am Sonntag in Berlin mit. Am Vortag waren im Kabuler Innenministerium zwei US-Militärberater erschossen worden. Ob die Tat im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Koranverbrennung stand, war zunächst noch unklar. Außenminister Guido Westerwelle warnte vor einer weiteren Eskalation der Gewalt.

Vor der Bundesregierung hatte bereits die Internationale Schutztruppe Isaf ihre Mitarbeiter aus den Ministerien in und um Kabul abgezogen. Auch Frankreich kündigte entsprechende Schritte an. Sämtliche Mitarbeiter würden aus den afghanischen Behörden abgezogen, teilte das Außenministerium in Paris mit. US-Präsident Barack Obama drückte in einem Telefonat mit Isaf-Kommandeur John Allen sein Bedauern über den Tod der beiden US-Berater aus, wie das Weiße Haus am Samstag mitteilte.

Auch am Sonntag wieder Tote

Auch am Sonntag kamen wieder zwei Menschen ums Leben, als eine aufgebrachte Menge in der nördlichen Provinz Kundus ein Isaf-Lager stürmen wollte. Wie der stellvertretende Polizeichef der Provinz, Sayed Sarwar Hussaini, mitteilte, gingen im Bezirk Imam Saheb rund 20.000 Menschen gegen die Koranverbrennung auf die Straße. Dabei hätten Demonstranten auch Handgranaten in das Lager geworfen. Sechs US-Soldaten und 15 afghanische Polizisten seien verletzt worden.

Schon am Samstag hatten Demonstranten versucht, in Kundus das Büro der Vereinten Nationen und das Polizeihauptquartier zu stürmen. Dabei waren fünf Menschen getötet worden. Seit Beginn der Proteste am vergangenen Dienstag kamen damit bereits mehr als 30 Menschen ums Leben, darunter fünf US-Soldaten inklusive der beiden Militärberater in Kabul.

Karsan: Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen

Der afghanische Präsident Hamid Karsai forderte die Bestrafung der Verantwortlichen der Koranverbrennung. "Im Namen des afghanischen Volkes und der gesamten islamischen Welt rufen wir die US-Regierung dazu auf, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen", sagte er am Sonntag in einer Fernsehansprache. Gleichzeitig rief er seine Landsleute erneut zu Zurückhaltung auf.

Nach BBC-Informationen soll es sich bei dem Todesschützen aus dem Kabuler Innenministerium um einen Offizier des afghanischen Geheimdienstes handeln. Der Mann sei auf der Flucht, hieß es am Sonntag. Nach Berichten des afghanischen Senders Tolo TV war er für die Sicherheitsvorkehrungen im Ministerium zuständig und hatte in dieser Funktion Zugang zu wichtigen Bereichen. Sicherheitskräfte hätten am Sonntag das Wohnhaus des Mannes nordwestlich von Kabul durchsucht und mehrere Verwandte festgenommen.

Die Taliban veröffentlichten eine Erklärung, in dem der Angriff als Vergeltung für die Schändung des Korans bezeichnet wurde.

50 deutschen und internationalen Experten werden abgezogen

Nach dem Vorfall ordnete die Bundesregierung den Abzug von rund 50 deutschen und internationalen Experten an, die in ihrem Auftrag die afghanischen Regierung beraten und ihrer täglichen Arbeit in den Behörden und Ministerien nachgehen. Die Regelung gelte, bis die Hintergründe der Tat geklärt seien, hieß es.

"Die Sicherheit unserer Experten vor Ort hat oberste Priorität", sagte Niebel. Dennoch stehe man fest zum Engagement in Afghanistan. "Sobald sich die Lage wieder beruhigt hat, werden die betroffenen Mitarbeiter ihre Arbeit selbstverständlich wieder aufnehmen", so der Minister weiter. Nach Ministeriumsangaben sind insgesamt 2000 Entwicklungsexperten in deutschem Auftrag in Afghanistan im Einsatz.

In einem Telefonat mit Karsais Sicherheitsberater Rangin Dadfar Spanta rief Westerwelle alle Beteiligten auf, "jetzt nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen, sondern zu Mäßigung, Zurückhaltung und einem Ende der Gewalt beizutragen." Es dürfe keine weitere Eskalation geben, sagte er nach Angaben eines Ministeriumssprechers. Westerwelle bekräftigte, dass der Respekt vor religiösen Empfindungen und der Religionsausübung anderer aus Sicht der Bundesregierung ein sehr hohes Gut sei, das von allen geachtet werden müsse.

Unter dem Eindruck der Proteste vollzog die Bundeswehr in Nordafghanistan einen Kommandowechsel. Nach einem Jahr gab Generalmajor Markus Kneip am Sonntag die Führung der internationalen Schutztruppe Isaf in den neun Nord-Provinzen an Generalmajor Erich Pfeffer ab. Zu der Zeremonie im regionalen Hauptquartier in Masar-i-Scharif war zwar Isaf-Kommandeur Allen aus Kabul angereist. Die Kommandeure der zahlreichen Isaf-Stützpunkte im Norden blieben aber angesichts der heiklen Lage in ihren Camps.