An Tag zwei seiner Ortszeit in Rottweil lernt Bundespräsident Steinmeier die wichtigsten Regeln der schwäbisch-alemannischen Fasnet kennen, besucht eine Bäckerei und sucht das Gespräch mit den Bürgern. Nur mit allen klappt das leider nicht.
Klar sei er aufgeregt, sagt Simon Weiss. Der 13-Jährige soll dem Bundespräsidenten erklären, was es mit der Fasnet in Rottweil auf sich hat. Und das ist nicht leicht bei einem protestantischen Westfalen wie Frank-Walter Steinmeier. Doch zum Glück gibt es die Narrenstube, die in Rottweil nur Haus Nummer 1 genannt wird. Das denkmalgeschützte Gebäude liegt direkt neben dem Schwarzen Tor. 2004 hat es die Zunft von der Stadt übernommen und mit viel Eigenarbeit renoviert. Unter dem Dach hat die Zunft vor zwei Jahren ein kleines Narrenmuseum eingerichtet. Nur vorzeigen konnte man es noch nicht so richtig. Denn gerade als es fertig war, kam Corona.
Lesen Sie aus unserem Angebot: Was beim Besuch von Steinmeier auf dem Programm steht
„Kommen Sie herein. Angst muss man keine haben“, begrüßt der Zunftmeister Christoph Bechtold den Bundespräsidenten und erklärt ihm die Figuren vom groben Schantle bis zum barock anmutenden Federahannes. Und von Simon erfährt der Präsident, dass die Narrenzunft keine Nachwuchssorgen hat. „Ich glaube schon, dass er etwas mitgenommen hat von hier“, sagt Simon hinterher. Drei Tage hat Steinmeier seinen Amtssitz von Berlin nach Rottweil verlegt, und er belässt es dabei keineswegs nur bei Besichtigungsterminen. Schon am frühen Morgen des zweiten Tags übt er bei einem örtlichen Bäcker die Brezelherstellung und ist bestens vorbereitet. Er kennt sogar den kleinen Unterschied: Die schwäbischen Brezeln haben nicht so dicke Ärmchen wie die bayerischen, weiß er.
Auf dem Wochenmarkt kommt Steinmeier mit den Rottweilern ins Gespräch
Am Vormittag sucht er dann auf dem Wochenmarkt das Gespräch mit den Bürgern. Manche machen Selfies mit ihm, andere reden ihren Ärger von der Seele. So auch Elke Müller: Die 58-Jährige berichtet davon, dass sie seit Jahren als spätberufene Lehrerin nur Zeitverträge erhalte und alljährlich pünktlich zu den Sommerferien gekündigt werde, um dann wieder eingestellt zu werden. Ihren Zorn kann Steinmeier gut verstehen. „Ich hoffe, es hilft, dass Sie ein bisschen Frust losgeworden sind“, sagt Steinmeier am Ende. Sie sei zumindest stolz, ihn angesprochen zu haben sagt Elke Müller. Und ein sympathischer Typ sei er ja auch.
Am Nachmittag erlebt er aber eine Enttäuschung. Elf Rottweiler Bürger hat der Bundespräsident ins Hotel Johanniterbad gebeten. Es soll zur Sache gehen, vor allem welche Spuren die Pandemie in der Provinz hinterlassen hat, will er erfahren. „Ich hatte gehofft, in eine Kontroverse zu kommen“, sagt er. Doch ausgerechnet diejenigen, die auch in Rottweil die Corona-Politik am lautesten bekämpfen, verweigern sich der Debatte. An der „Kaffeetafel kontrovers“, wie die Zusammenkunft im Johanniterbad heißt, bleibt ihr Platz frei.
Die Querdenker wollen nicht reden
Schon im Vorfeld hatte sich das Präsidialamt ohne Erfolg um Gesprächspartner bemüht. Am Vormittag dann, Steinmeier lief über den Wochenmarkt, hatte ihn unter den vielen Bürgern, die ihm einen freundlichen Empfang bereiteten, auch ein Veranstalter der so genannten Rottweiler Montagsspaziergänge angesprochen. Es sei falsch, ihn und seine Gruppe als rechtsradikal abzustempeln, hatte der Mann gesagt. Steinmeiers lud ihn ein, er sagte zu, um später telefonisch doch wieder abzusagen. Der Veranstaltung fehle auch im Hinblick auf die berichtenden Medien die Transparenz.
Insofern stellte Steinmeier bei der Kaffeetafel die entscheidende Frage an Peter Bruker. „Was raten Sie dem Bundespräsidenten, wie er mit dieser Protestbewegung umgeht?“ Bruker, Vorstandsmitglied bei den Rottweiler Grünen, hatte, als im Winter die Zahl der Montagsspaziergänger Woche für Woche stieg und schließlich auf bis zu 1500 anwuchs, in Rottweil die Gegenbewegung organisiert. Erst gelang es, die Spaziergänger durch eine geschickte Demoanmeldung aus der historischen Altstadt herauszuhalten, dann inszenierte er eine von einem neutralen Moderator geleitete Onlinedebatte mit den Spaziergängern. „Es ist uns ganz gut gelungen einen Gegenpol zu bilden“, bilanzierte Bruker. Doch was die nun noch verbliebenen 200 Menschen betrifft, die immer noch montags demonstrieren, war auch er ratlos. „Das ist der harte Kern. Die erreichen Sie nicht mehr.“