Bei seinem Staatsbesuch in Chile hat Bundespräsident Joachim Gauck Versäumnisse Deutschlands im Umgang mit der berüchtigten Sektensiedlung „Colonia Dignidad“ bedauert. Foto: dpa

Bei seinem Staatsbesuch in Chile hat Bundespräsident Joachim Gauck Versäumnisse Deutschlands im Umgang mit der berüchtigten Sektensiedlung „Colonia Dignidad“ bedauert. Gauck vermisst deutliche Worte zu den Vorgängen.

Santiago de Chile - Deutsche Diplomaten hätten jahrelang weggeschaut und die Unterdrücker gewähren lassen, kritisierte Gauck am Dienstag (Ortszeit) bei einer Pressekonferenz mit der chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet in Santiago de Chile. Er hätte sich gewünscht, dass die deutsche Außenpolitik früher schon deutliche Worte zu den kriminellen Vorgängen in der Siedlung gefunden hätte, sagte Gauck.

Deutsche Diplomaten müssten aus diesen Versäumnissen lernen, sich immer „an die Seite der Opfer“ zu stellen. „Wenn zum Beispiel deutsche Diplomaten jahrelang wegschauten, wenn in der deutschen Sekte ‚Colonia Dignidad’ Menschen entrechtet, brutal unterdrückt und gefoltert wurden, und dann gar der chilenische Geheimdienst dort foltern und morden konnte, so ist unser Erschrecken groß“, hatte Gauck vor der Pressekonferenz in einer Rede laut vorab verbreitetem Redemanuskript gesagt. Die Kolonie war 1961 von Paul Schäfer gegründet worden, einem nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland geflohenen früheren Wehrmachtsgefreiten.

Idyllische Kulisse

In Deutschland wurde Schäfer schon damals wegen Kindesmissbrauch gesucht. Hinter der idyllischen Kulisse der „Colonia“ missbrauchte Schäfer über drei Jahrzehnte Kinder und trennte sie von ihren Eltern; er unterwarf seine Anhänger einem brutalen System der Unterdrückung - mit harten Strafen, Psychoterror und Indoktrination. Während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973-1990) diente die Deutschensiedlung auch als Folterlager. Politische Gefangene wurden auf das weiträumige Gelände der Kolonie verschleppt und dort zu Tode gefoltert.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte vor wenigen Wochen unter dem Eindruck des aktuellen Kinofilms „Colonia Dignidad“ das Verhalten der deutschen Diplomaten als zu zaghaft bezeichnet und die Akten seines Ministeriums dazu vorzeitig freigegeben. Dabei geht es auch um Vorwürfe, dass Menschen, die aus der Colonia entkamen, von der deutschen Botschaft in Chile kein Schutz gewährt wurde. Bundespräsident Gauck fand in Chile lobende Worte für Steinmeiers Vorgehen: „Unser Außenminister tut jetzt, was richtig und notwendig ist: Die deutschen Akten zu diesem Fall frühzeitig zugänglich machen und so die offene Aufarbeitung fördern.“