Frank-Walter Steinmeier tourt durch Baden-Württemberg. Am Montag war der Bundespräsident zum Redaktionsgespräch mit unserer Zeitung im Pressehaus in Stuttgart. Die Außenpolitik – das ist zu spüren – bleibt seine Passion.

Stuttgart - Um 13.12 Uhr am Montag fährt die Kolonne des Bundespräsidenten auf das Verlagsgelände in Stuttgart-Möhringen. Sieben Polizisten auf Motorrädern begleiten auch hier, wie zu allen Terminen Steinmeiers bei seinem Baden-Württemberg-Besuch, in V-Formation die Dienstlimousine des Staatsoberhaupts mit dem Kennzeichen 0-1.

Steinmeier und seine Ehefrau Elke Büdenbender werden am Pressehaus begrüßt von den Chefredakteuren Joachim Dorfs (Stuttgarter Zeitung) und Christoph Reisinger (Stuttgarter Nachrichten) sowie Alexander Paasch, Verlagsgeschäftsführer der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH). Eine Stunde bleiben der Bundespräsident und seine Frau zum Gespräch, zum Gedankenaustausch mit Journalisten über den Zustand der bundesdeutschen Demokratie, die Bedrohungen durch Populisten und die Weltlage in Zeiten von Trump, Putin und Erdogan.

Sieben Jahre lang stand Steinmeier an der Spitze des Auswärtigen Amtes, bevor er im Februar 2017 zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Die Außenpolitik – das ist zu spüren – bleibt seine Passion, auch wenn sie heute, wie er selber schätzt, nur noch dreißig Prozent seiner Arbeitszeit beansprucht.

„Eine neue Faszination des Autoritären“

Am vorigen Samstag war Steinmeier beim europäischen Trauerakt für Helmut Kohl in Straßburg. Ein beeindruckendes Ereignis, mit dem der Bundespräsident die Hoffnung verbindet, dass es das Bewusstsein stärkt, „wie wichtig die europäische Einigung auch heute ist. Wir haben zu ihr keine vernünftige Alternative.“ Für Steinmeier geht es dabei auch um die Selbstbehauptung Europas in einer sich neu entwickelnden Weltordnung: „Wir können uns jetzt entscheiden, ob wir Spieler am Schachbrett der internationalen Politik sein wollen. Wenn Europa sich nicht zusammenreißt, werden wir zur Spielfigur.“

Voller Sorge beobachtet Steinmeier in den westlichen Gesellschaften „eine neue Faszination des Autoritären“. Aber es gebe auch erkennbar Gegenbewegungen, nicht zuletzt hervorgerufen durch den Brexit oder die Wahl Donald Trumps in den USA. „Die Menschen haben gemerkt: ihre Stimme hat Konsequenzen. Sie können damit politische Entscheidungen herbeiführen, die sie eigentlich gar nicht wollen.“

Am Ende dieser Woche werden in Hamburg die wichtigsten Staats- und Regierungschefs zum G20-Gipfel zusammenkommen. Die „America-First“-Strategie des US-Präsidenten Trump hat viel Verunsicherung in die internationale Politik getragen, nicht zuletzt in die westliche Staatengemeinschaft. „Ich bin sehr besorgt über diese Veränderungen und wir können nicht davon ausgehen, dass es sich schnell zurechtbiegt“, sagt Steinmeier und äußert deutliche Zweifel am Politikstil des US-Präsidenten: „Wenn jeder nur nach dem besten Deal sucht, dann werden wir am Ende alle verlieren.“

Gegen die „ Verrohung der Sprache“

Zur Tagespolitik äußert sich ein Bundespräsident gewöhnlich nur zurückhaltend. Deshalb war aufmerksam registriert worden, dass Steinmeier bei seiner Antrittsrede im Bundestag vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ganz undiplomatisch die Respektierung des Rechtsstaates und die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel forderte. „Wir müssen für unsere Werte einstehen“, sagt er im Stuttgarter Redaktionsgespräch. „Aber es ist nicht sinnvoll, die Kontakte abzubrechen. Wir müssen immer über den Stand einer aktuellen Regierung hinausdenken – und die langfristigen, gemeinsamen Interessen erkennen.“

Langfristig denken, den Kompromiss suchen, unnötige Zuspitzungen und Verletzungen vermeiden – diese Grundsätze empfiehlt Steinmeier ganz generell für den politischen Diskurs. Mit Sorge verfolgt er die Debattenkultur in den sozialen Medien: „Wir müssen von der Verrohung der Sprache herunterkommen“, empfiehlt der Bundespräsident. „Wir müssen Maß und Mitte wiederfinden.“ In diesen Appell schließt er auch die Medien und die Journalisten mit ein: „Wenn jeden Tag nach einem neuen Skandal gesucht wird, dann kann das dazu führen, dass irgendwann der eigentliche, der wirklich große Skandal kein Thema ist.“