Die neuen Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock bei der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Hannover. Foto: dpa

Schleswig-Holsteins stellvertretender Ministerpräsident Robert Habeck soll zusammen mit der Bundestagsabgeordneten Annalena Barbock die Umweltpartei erneuern.

Hannover - Als Robert Habeck um kurz nach halb zwei am Samstagnachmittag die Wahl annimmt, zeigt er sich dankbar und demütig. „Was ich geworden bin, bin ich durch Euch geworden“, sagt der stellvertretende Ministerpräsident Schleswig-Holsteins: „Lasst mich ein bisschen was davon zurückgeben.“ 636 von 782 Delegiertenstimmen sind beim Hannoveraner Parteitag kurz zuvor für ihn abgegeben worden, sehr ordentliche 81 Prozent. Der 48-Jährige nimmt die noch elf Jahre jüngere Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock in den Arm, die sich mit einer starken Rede und 64 Prozent gegen ihre Konkurrentin Anja Piel aus Niedersachsen durchsetze und als Bundesvorsitzende jetzt „nicht nur die Frau an Roberts Seite“ sein will. Er antwort, dass er hoffe, „der Mann an ihrer Seite“ werden zu können.

Wie sehr die Partei aber vor allem auf den lässigen Kieler Umweltminister setzt, war schon am späten Freitagabend klar geworden, als sie extra für ihn die Satzung änderte und die für die Grünen fast schon heilige Trennung von Amt und Mandat lockerte. Acht Monate Zeit bekommt Habeck nun Zeit, um die Regierungsgeschäfte im hohen Norden ordentlich zu übergeben. Das hatte er zur Bedingung für seine Kandidatur gemacht, was bei Teilen der Basis den Anschein von Starallüren und Erpressungsveruch erweckt hatte. Am Ende aber stimmten 77 Prozent der Delegierten für die „Lex Habeck“ und der Hoffnungsträger im blauen Pulli zeigte sich „sehr erleichtert – ich dachte es wird knapper“. Beim Gratulieren entfuhr es dem Europaabgeordneten Martin Häusling: „Du hast verdammt hoch gepokert.“ Und gewonnen.

Aufbruchstimmung

Viel ist deshalb auf den Gängen in Hannover von „Aufbruch“ und „Erneuerung“ die Rede gewesen, weil mit dem neuen Führungsduo zwei Figuren an die Spitze gewählt worden sind, die in den Neuzigern und den Nullerjahren noch nicht auf der bundespolitischen Bühne aktiv waren, die Partei den Bürgern mithin frische Gesichter präsentiert. Gerade weil in der Bundestagsfraktion nicht der nun ausgeschiedene Parteichef Cem Özdemir zum Zuge gekommen ist und mit Katrin Göring Eckardt und Anton Hofreiter an der Spitze alles beim Alten bleiben, hoffen nicht wenige, dass die kämpferische Abgeordnete Baerbock als Parteichefin in Plenardebatten noch mehr Aufmerksamkeit für die vermutlich kleinste Oppositionspartei herausholen kann.

Auch das Stichwort „Entideologisierung“ macht die Runde, vor allem im Zusammenhang mit Habeck. „Er hat einen eindeutigen Wertekompass, und seine Ziele sind ganz klar“, sagt etwa die baden-württembergerische Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner, „aber er ist überhaupt nicht dogmatisch, wenn es um die Wege geht, über die wir sie erreichen.“ Ihre Abgeordnetenkollegin Beate Müller-Gemmeke lobt vor allem seinen unverbrauchten Stil, wie sie ihn bei einem Wahlkampfauftritt im vergangenen Sommer in Reutlingen erlebt hat: „Die Leute waren alle ganz begeistert von Robert Habeck - er spricht die Leute anders an, als sie es von Grünen gewohnt sind.“ Er ist, wie auch der Nürtinger Matthias Gastel meint, „nicht mit Politiksprech unterwegs“.

Die Partei muss sich auf Überraschungen einstellen

Der studierte Philosoph, der unter anderem an der Uni Freiburg gelernt hat, hat auch in seiner Bewerbungsrede am Samstag die großen Linien aufgezeigt. Er will zum Beispiel „Garantiesysteme entwickeln, die der Durchökonomisierung des Privaten eine Grenze setzen“, fordert daher „eine höhere Besteuerung von Kapital und Vermögen“. Er redet davon, wie die alte Volksweisheit, wonach jeder seines Glückes Schmied sei, ihre Gültigkeit verloren hat. Habeck will die „Verhaltensstarre der Politik“ beenden, weil „etwas Neues beginnen muss“, und die „gesellschaftliche Kluft von Menschen und System“ überbrücken. Die Frage, wie all das erreicht werden kann, will der neue Vorsitzende „nicht gleich mit Antworten zudröhnen“, „offen“ und zugleich „offensiv“ sein. Er steht für eine Politik des Zuhörens, wie sie Winfried Kretschmann für Baden-Württemberg postuliert hat, aber auch des Hingehens.

Es ist ein möglicherweise bewusst nachdenklicher Auftritt gewesen, um verbliebene Bedenken zu zerstreuen. Die deutet zum Beispiel Matthias Gastel an: „Seine Positionen zu Energie und Landwirtschaft kenne ich – ich weiß aber noch nicht in allen Bereichen, wofür Robert Habeck steht.“ Die Grünen müssen sich also auf Überraschungen einstellen – das freut manche mehr, manche weniger.

Lautstarker Jubel

Die Überraschung des Parteitags ist zumindest für unregelmäßige Grünen-Beobachter der Auftritt von Annalena Baerbock. Sie löst an diesem Samstag mit ihrer kämpferischen Rede deutlich lautstärkere Jubelstürme aus als Habeck. Der „vermeintliche Widerspruch von radikal und staatstragend“ existiert für sie nicht: „Wir ringen, so wie Ihr ringt“, ruft die in die Fernsehkameras, die sich bei den schwarz-gelb-grünen „Jamaika“-Sondierungsgesprächen in der Frage des Kohleausstiegs einen Namen gemacht hat, indem sie sich einerseits kompromissbereit zeigte und andererseits „Radikalität“ im Kampf für den Klimaschutz offenbarte. Die Frau, die in Brandeburg in der Flüchtlingshilfe enagiert ist, löste einen Beifallssturm aus, als sie vor der Abstimmung in der kommenden Woche über die weitere Aussetzung des Familiennachzugs von Flüchtlingen über konkrete Beispiele von getrennten Eltern und Kindern berichtete: „Das sind alles Härtefälle.“

Als am Ende des Abstimmungsmarathons der komplette neue Bundesvorstand der Grünen auf die Bühne gerufen wird, schickt Habeck seine Mitvorsitzende Baerbock vor und animiert zum Applaus für sie – er scheint fast ein wenig erleichtert, dass die zuvor allein ihm geltende Aufmerksamkeit ein wenig geteilt worden ist. „Die Enttäuschung“, hat Habeck nämlich schon vor dem Parteitag wegen all der hohen Erwartungen an seine Person befürchtet, „ist doch quasi vorprogrammiert.“