Die CDU ist diskussionsfreudiger geworden, dabei offenbaren sich erhebliche Gegensätze.
Zwei Tage haben knapp 1000 Delegierte der CDU in Hannover auf dem Bundesparteitag der Partei miteinander um den künftigen Kurs gerungen, manchmal sogar für die Union erstaunlich kontrovers. Was sind die wichtigsten Lehren aus dem chistdemokratischen Familientreffen?
Gesellschaftspolitisch ist die CDU gespalten
Gesellschaftspolitisch ist die CDU eine zutiefst gespaltene Partei. Nach einer langen, kontroversen, aber durchgehend fair geführten Debatte sprachen sich auf dem Parteitag 559 Delegierte für eine befristete Frauenquote aus. Aber immerhin 420 Delegierte (darunter elf Enthaltungen) konnten sich damit nicht anfreunden. Und dass in einer Situation, in der nur 26 Prozent der Parteimitglieder und nur 23 Prozent der Bundestagsfraktion Frauen sind. Noch knapper verlief eine andere sehr seltsame Debatte. Die CDU arbeite für ein Land, „in dem die Gleichberechtigung der Geschlechter und die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau verwirklicht sind“. Diesem Satz in der neuen Grundwerte-Charta, der eng an die Formulierung im Grundgesetz angelehnt ist, widersprachen 356 Delegierte, 434 stimmten ihm zu. Den Kritikern war das Wort Gleichstellung zu weitgehend. Sie plädierten für seine Ersetzung durch „Chancengerechtigkeit“. Immerhin, beide Positionen fanden trotz des Widerstands eine Mehrheit. Aber ein kraftvolles Signal, dass sich die Partei in ihrer Breite der Frauenförderpolitik verschreibt und um Frauen wirbt, geht von diesem Parteitag nicht aus.
Manche wollen Wandlung zur klassisch konservativen Partei
In der Partei hat das Adjektiv „bürgerlich“ gerade Konjunktur. An herausgehobener Stelle in der Grundwerte-Charta steht an exponierter Stelle der Satz: „Wir als CDU sind bürgerlich, weil wir für eine offene Gesellschaft von Bürgerinnen und Bürgern eintreten.“ Das klingt harmlos, auch wenn der Begriff durchaus ab- und ausgrenzende Aspekte hat. Sind etwa Hartz-IV-Empfänger oder Mitglieder bei Fridays-for-Future noch unter diesem Signum zu fassen? Im Laufe der Programmdebatte der kommenden anderthalb Jahre wird darüber noch viel diskutiert werden. Warum? Es gibt durchaus Kräfte in der Union, die aus der Partei, die sich traditionell gleichermaßen auf konservative, liberale und soziale Wurzeln beruft, eine ganz normale konservative Partei, wie zum Beispiel die britischen „Tories“ oder die US-Republikaner machen wollen.
Position von Friedrich Merz noch nicht konsolidiert
Wer von Friedrich Merz eine starke Führung und mehr Vorgaben „von oben nach unten“ erwartet hat, kann sich in seinen Erwartungen nicht bestätigt fühlen. Die Partei zeigte sich in Hannover überaus debattenfreundlich und die verliefen auch kontroverser als von der Union bislang gewohnt. Merz hat in diese Diskussionen entweder gar nicht (Gleichstellung oder Chancengerechtigkeit) oder sehr dosiert (Frauenquote) eingegriffen. Das kann man durchaus angenehm finden, denn die kreuzbrave CDU kann lebhafte innerparteiliche Debatten durchaus gut gebrauchen. Es wirft aber durchaus auch ein Schlaglicht auf die Stellung von Merz. Konsolidiert ist seine Position durchaus noch nicht. In vielen Diskussionen zeigte sich in Hannover, dass zum Beispiel die Mittelstandsvereinigung (MIT), aber auch die Junge Union mit einigen Merz-Standpunkten nicht einverstanden sind. Beide gehörten eigentlich zur Kern-Gefolgschaft auf seinem Weg an die Parteispitze. Merz agiert auch in der Ukraine-Politik derzeit wesentlich zurückhaltender als noch vor Wochen. Auch hier ist der Hintergrund klar: Die abweichenden Positionen zur Sanktionspolitik des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer sind vielleicht partei-intern eine klare Mindermeinung. In der ostdeutschen Bevölkerung stoßen sie aber auf Resonanz. Merz glaubt, darauf Rücksicht nehmen zu müssen. Das hat auch zur Folge, dass seine Ausführungen zum Energie-Thema auf dem Parteitag ausgesprochen dürftig blieben.
Weniger Störfeuer aus München
Das Verhältnis zur CSU hat sich stark verändert. Beide Parteien haben wohl aufgrund der desaströsen Debatte um den Kanzlerkandidaten und einen holpernden und nicht erfolgreichen Bundestagswahlkampf gelernt. Merz hatte früh nach seiner Wahl zum Parteichef um ein friedlicheres Verhältnis zur CSU bemüht. Allerdings ist wohl nicht nur die Analyse des Katastrophenjahres 2021 ausschlaggebend für ein neues Verhältnis der Schwesterparteien. Zur Zeit ist es einfach so, dass die CSU die Christdemokraten braucht. Markus Söder steht im kommenden Jahr vor Landtagswahlen, und die Zeiten, da die CSU dem Urnengang mit Zuversicht und Selbstsicherheit entgegensehen kann, sind längst vorbei. In dieser Situation würde eine im Bund erfolgreiche CDU auch den Bayern enorm helfen. Deshalb gibt es derzeit keine Störfeuer aus München und das dürfte auch längere Zeit so bleiben.