VfB, 2003, Lohn für ein mutiges Spiel: Kuranyi, Szabics und Hleb (v. re.) feiern das 2:0 gegen ManU. Foto: Bm

Fußball ist einfacher als das, was viele Trainer daraus machen: Die Risikovorsorge lähmt zu oft den Mut zum Spiel, schreibt StN-Titelautor Gunter Barner in seiner Kolumne

Stuttgart - Die Fachwelt studierte vor dem Duell gegen den FC Bayern die Aufstellung des VfB Stuttgart so angestrengt, als hätte sie ein Sudoku mit hohem Schwierigkeitsgrad zu lösen. Aber so sehr sich die Experten auch mühten, der gelinde Hinweis darauf, den Klassenbesten ein bisschen in den Schwitzkasten nehmen zu wollen, war daraus nicht zu entnehmen. Auf die spielerische Klasse des Bergvolks aus dem Alpenvorland antwortete Württembergs Fußballstolz mit der Cannstatter Mauer aus im Abwehrkampf erprobten Defensivkräften. Und so wie Tayfun Korkut aufstellte, so spielten sie auch: Kompakt. Und mit vollen Hosen.

Der weite Weg für Gomez

Streng genommen ging der VfB taktisch ja nur mit der Mode. Nur eben nicht ganz. Man überlässt den Ball dem Gegner, lauert auf seine Fehler und hofft mit einem Konter irgendwann den Ball reinstolpern zu können. Das Problem ist nur, dass bei dieser Art der Risikovorsorge die Stürmer nach Möglichkeit nicht auch noch im eigenen Kasten stehen sollten: Der Weg, etwa für Mario Gomez, bis zum gegnerischen Keeper wird dann doch ein bisschen weit. Und wer hoffte, dass sich die Bayern noch einmal so blöd wie beim 4:1 am letzten Spieltag der vergangenen Saison anstellen, der kauft auch Anteile von einer Ananas-Farm in Sibirien.

Der Südgipfel, der nur ein -zipfel war, erinnerte den Märchenkundigen jedenfalls an die abenteuerlustigen Siebenschwaben und den furchtsamen Marli, der seinen Kumpel bat: „Gang, Veitli, gang, gang du voran/I will dahinte vor di stahn.“ Eine Angsthasentaktik, die zum grausamen Ende in den Tiefen der Mosel führte.

Zum Beispiel ManU

Dabei hat der VfB Stuttgart schon öfter mal bewiesen, dass ohne Furcht vor großen Namen auch ein David den Goliath auf die Schultern zwingen kann. Zum Beispiel im Oktober anno 2003: Diesseits und jenseits des Neckars diskutierte die besorgte Fangemeinde, wie um alles in der Welt dem großen Gegner im Gruppenspiel der Champions League beizukommen sei: Manchester United. Immerhin fand sich der 18-jährige Cristiano Ronaldo in der Startaufstellung von Sir Alex Ferguson, neben Weltstars wie Ruud van Nistelrooy und Ryan Giggs, Paul Scholes und Roy Keane.

„Herr Magath, mal ehrlich, hat Ihre Mannschaft eine Chance?“ Als hätte der Reporter gegen den weiß-roten Katechismus verstoßen, lehnte sich der VfB-Coach in seinem Sessel zurück, blickte verständnislos über den Rand seiner Brille und sagte: „Keine Mannschaft der Welt ist unschlagbar, auch nicht Manchester United.“

Vor der Vierer-Abwehrkette mit zwei offensiven Außenverteidigern postierte er Zvonimir Soldo und Jurica Vranjes. Die Angreifer Kevin Kuranyi und Imre Szabics wurden durch die offensiven Alexander Hleb und Horst Heldt unterstützt. Der VfB siegte 2:1 (Tore: Szabics, Kuranyi), und Felix Magath verriet anschließend, was er seiner Elf mit auf den Weg gegeben hatte: „Seid nicht fahrlässig, aber traut euch was. Dann werdet ihr Spaß haben. Auch ManU kocht nur mit Wasser.“

„Fußball ist nicht so kompliziert, wie wir ihn manchmal machen“, sagte Rudi Völler, als Bundestrainer Joachim Löw mit Hilfe eines Feuerwerks aus Zahlen, Daten und Fakten das WM-Debakel erörtern wollte. Und der frühere VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder pflegte immer dann genervt abzuwinken, wenn ein Trainer aus dem Spiel eine Doktorarbeit machte: „90 Prozent werden im Kopf entschieden.“

Was ist Fußball ohne Mut zum Risiko?

„Was ist der Fußball ohne den Mut etwas zu riskieren?“, fragte Christoph Daum 1992 und verkaufte einen alten Hut als Geistesblitz: aus dem schnellen Konterspiel machte er die „Apachen-Überfalltaktik“ und wurde mit dem VfB deutscher Meister. „Vergessen Sie das“, sagt er heute und lacht schallend, „wir haben nur eisern an unsere Chance geglaubt.“