Leverkusens Torschütze Hakan Calhanoglu (rechts) und Mitspieler Karim Bellarabi jubeln nach dem Tor zum 3:1. Foto: dpa

Ein Tor nach einem ­abgefälschten Schuss ist das ­ungeliebte Kind un­serer Lieblingssportart ­Fußball – am Bundesliga-Wochenende gab es einige davon.

Stuttgart - David Alaba hat es an diesem Bundesliga-Spieltag getan. Hakan Calhanoglu auch. Und Alexander Esswein. Natürlich nicht mit Absicht. Aber mit dem gleichen Ergebnis. Der Ball lag am Ende im Tor. Und dort wäre er niemals gelandet, wenn er wirklich dorthin geflogen wäre, wo er nach den Gesetzen der Physik eigentlich hätte landen müssen. „Hätte, hätte – Fahrradkette“, würde unser Lieblingsfußballexperte Oliver Kahn sagen. Unser aller Duden sagt zum Wort „abfälschen“ (übrigens ein sogenanntes schwaches Verb): „Den Ball durch (unabsichtliche) Berührung aus einer vorgegebenen Richtung lenken.“ Im Programm hat er, der Duden, dieses Verb erst seit 1973. Was überraschend ist. Denn für viele Fußballfans ist ein Tor nach einem abgefälschten Schuss schon viel länger vor allem: irgendwie unbefriedigend und irgendwie unecht.

Man kann dem Problem statistisch zu Leibe rücken. Wissenschaftler haben berechnet, dass rund 40 Prozent aller Treffer im Fußball Zufallstore sind. „Für den Torwart unhaltbar abgefälschte Schüsse“ stehen bei diesen Zufallstoren ganz oben. Sollten diese Berechnungen stimmen, würden die Erfolgsfaktoren Technik und Taktik plötzlich in einem ganz anderen Licht dastehen. Aber wie willst du den Zufall trainieren? Realistisch betrachtet, kann man zumindest an diesem Spieltag ohne großen Widerspruch behaupten: die Teams, die aktuell ihre Zufallstore gemacht haben, waren in jedem Fall auch der verdiente Sieger. Ist aber nicht immer so.

Die Zuschauer haben das Glück, nicht immer zu erkennen, wer getroffen hat.

Immer ist es jedoch so, dass ein Tor nach einem abgefälschten Schuss nur wenig Zufriedenheit hinterlässt. Beim Schützen, weil er das Tor meist gar nicht getroffen hätte. Beim unglücklichen Abfälscher, weil er Schuld auf sich lädt, die ihm nicht besonders hoch angerechnet wird. Und beim Torhüter, weil er nur dumm aus der Wäsche schauen kann und das runde Leder aus den Maschen holen muss.

Die Zuschauer im Stadion haben manchmal Glück, weil sie live gar nicht sehen können, dass der Ball überhaupt abgefälscht wurde. Weshalb sie in Frankfurt Calhanoglu als Schützen des entscheidenden 3:1 für Leverkusen euphorisch gefeiert haben. Erst die Zeitlupe gab danach Aufschluss darüber, dass da eine gehörige Portion Zufall im Spiel war. Aber: Der Bayer Alaba hätte sich für sein Tor eigentlich beim Schalker Leon Goretzka bedanken müssen. Und der Augsburger Esswein gleich bei zwei Stuttgartern, nämlich Serey Dié und Timo Baumgartl. Wem die Deutsche Fußball-Liga (DFL) solche Art von Toren zurechnet, macht vollends deutlich, warum sie das ungeliebte Kind unserer Lieblingssportart sind: Einmal (Goretzka) wird der entscheidende Mann geradezu verheimlicht, ein anderes Mal (Baumgartl) taucht er sogar als Eigentorschütze in der Spielstatistik auf. Und der ursprüngliche Schütze geht leer aus. Gerecht geht anders. Findet vermutlich nicht nur Alexander Esswein.

Oliver Bierhoff ist für die Mutter aller abgefälschten Torschüsse verantwortlich.

Die Mutter aller abgefälschten Torschüsse liegt im Übrigen schon fast 20 Jahre zurück. Da war es Oliver Bierhoff, der im EM-Finale von 1996 den tschechischen Abwehrspieler Michal Hornák derart geschickt anschoss, dass der Ball sich hernach völlig unmotiviert ins gegnerische Tor senkte. Das Spiel war danach sofort aus und Deutschland in England Europameister. Sowohl im Stadion als auch zu Hause vor den Fernsehschirmen machte sich damals zunächst eine sekundenlange Ratlosigkeit breit – als sei alles eine Fälschung. Die internationalen Fußball-Verbände haben das „Golden Goal“ ziemlich umgehend wieder abgeschafft. Die abgefälschten Tore sind aber geblieben – und das komische Gefühl dabei auch.