Höher, schneller, weiter: Die Bundesjugendspiele findet nicht jeder gut. Foto: dpa

Der eine denkt an die Unterschrift von Richard von Weizsäcker auf seiner Ehrenurkunde, der andere erinnert sich mit Grausen - die Bundesjugendspiele polarisieren. Lehrer halten dennoch nichts davon, sie abzuschaffen.

Stuttgart - Eine dreifache Mutter aus Baden-Württemberg hat mit einem Onlineprotest gegen die Bundesjugendspiele eine hitzige Debatte ausgelöst, beharrt aber nicht mehr auf ihrer Maximalforderung. „Ich fände es schön, wenn am Ende wenigstens die Freiwilligkeit herauskäme“, sagte Christine Finke aus Konstanz am Freitag.

Die 49-Jährige verlangt in ihrer Online-Petition die Abschaffung der vor fast 65 Jahren eingeführten Bundesjugendspiele, weil eine schwächere Forderung „niemand hinterm Sofa hervorlockt“. „Ich wollte es unter die Leute bringen und nicht in den Bundestag.“ Die am Sonntag veröffentlichte Petition hatte am Freitag bereits mehr als 12.000 Unterstützer.

Initiatorin schlägt Empörung entgegen

Die Journalistin hält die für Schüler zwingende Sportveranstaltung für nicht mehr zeitgemäß, weil sich vor allem Kinder, die in den gefragten Disziplinen bei Leichtathletik und Co. schwach abschnitten, gedemütigt fühlten. Da sie mittlerweile aber auch von Fans der Spiele verbal angegriffen und ihr sogar Gewalt angedroht werde, überlege sie, die Polizei einzuschalten und sich aus der Debatte zunächst zurückzuziehen, sagte Finke.

Kultusminister Andreas Stoch (SPD) verteidigte den Wettbewerb als Sportfest mit Spaß. „Dass Einzelne für ihre Leistung nicht an den Pranger gestellt werden, ist selbstverständlich“, sagte er. Sportliche Wettkämpfe seien eng verbunden mit Werten wie Teamgeist und Fairness. „Die Bundesjugendspiele sind in erster Linie als Sportfest der Schulgemeinschaft zu verstehen, bei dem das gemeinsame Erlebnis und der Spaß an der Bewegung im Mittelpunkt stehen.“

Den Spaßfaktor betonte auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD): Die Bundesjugendspiele sollten „Lust auf Sport und Bewegung machen und nicht Leistungsdruck erzeugen. Ziel muss es sein, alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen, insbesondere die, für die der Sport kein Lieblingsfach ist.“

Die Deutsche Sportjugend sieht Schulen in der Pflicht, Demütigungen zu verhindern. „Durch ein Training im Sportunterricht lernen Schülerinnen und Schüler, dass man die eigene sportliche Leistung verbessern kann, und gewinnen Erfolgserlebnisse. Der faire Umgang miteinander kann hier ebenso trainiert werden.“

Philologenverband findet Vorstoß "albern"

Auch der Deutsche Philologenverband hält nichts davon, den Wettbewerb abzuschaffen. „Der Ruf nach Abschaffung ist kurzsichtig, albern und kommt mit Sicherheit nicht von den Schülern, die sich gerne mal vergleichen wollen“, sagte der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft, Heinz-Peter Meidinger. Eine solche Forderung sei „auch gesundheitspolitisch falsch, weil es einer der wenigen Wettbewerbe ist, der noch zu sportlicher Bewegung anhält“.

Grundsätzlich gebe es keine Teilnahmepflicht von Schulen, sagte Meidinger, Leiter eines Gymnasiums in Bayern. Das sei freie Entscheidung der Schule. Die Wettbewerbe würden „in aller Regel von den Kindern als bereichernde Abwechslung im Schulbetrieb wahrgenommen“. Stress oder Versagensängste könne er nicht feststellen.

Für besonders weite Sprünge, schnelle Sprints und andere sportliche Bestleistungen bekommen die Schüler eine Ehrenurkunde mit der Unterschrift des Bundespräsidenten, schwächere Mädchen und Jungen eine Teilnehmerurkunde.

Hashtag Bundesjugendspiele: Die Reaktionen auf Twitter

Die Regeln der Bundesjugendspiele

Rund fünf Millionen Kinder und Jugendliche nehmen jedes Jahr an den Bundesjugendspielen teil. 50 Jahre nach ihrem Start 1951 wurde das Konzept der Spiele 2001 überarbeitet. Über die traditionelle Form des "Wettkampfes" in den Grundsportarten Turnen, Schwimmen und Leichtathletik hinaus gibt es nun auch andere Varianten. Der eher spielerische und weniger leistungsorientierte "Wettbewerb" richtet sich vor allem an die jüngeren Jahrgänge. Wer seine Vielseitigkeit testen will, kann sich im sportartübergreifenden "Mehrkampf" beweisen.

Die Schüler können sich für eine der drei Grundsportarten ebenso entscheiden wie für eine der drei gleichwertigen Varianten. "Das Konzept der modifizierten Bundesjugendspiele geht von der Erkenntnis aus, dass junge Menschen sehr unterschiedliche Motive haben, Sport zu treiben", heißt es bei der Kultusministerkonferenz. Seit 2009 können auch behinderte Schüler gleichberechtigt teilnehmen.

Nach Angaben des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) sind die von Mädchen und Jungen erzielten Punkte nicht miteinander zu vergleichen, denn sie werden mit unterschiedlichen Formeln errechnet. Je nach Erfolg winkt jedem jungen Sportler eine Teilnahme-, eine Sieger- oder sogar eine Ehrenurkunde mit Unterschrift des amtierenden Bundespräsidenten.

Bundesjugendspiele - Ursprung in der Weimarer Republik

Die Geschichte der Bundesjugendspiele beginnt 1951 und geht ursprünglich auf die Reichsjugendwettkämpfe der Weimarer Republik zurück. Schirmherr der Wettkämpfe, die Schulen, Sport- und Jugendverbände für Kinder und Jugendliche ab dem sechsten Lebensjahr ausrichten, ist der Bundespräsident.

Als Gründervater gilt der 1962 gestorbene Sportwissenschaftler und -funktionär Carl Diem, einer der Pioniere der deutschen Sportbewegung. 1936 war er auch Chef des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele in Berlin. Seine Rolle im Nationalsozialismus ist bis heute heftig umstritten.

Den westdeutschen Bundesjugendspielen entsprachen in der DDR die Kinder- und Jugendspartakiaden, die seit 1964 Breiten- und Leistungssport verbinden sollten. Schon in den 1970er Jahren wurden im Westen kritische Stimmen laut, die Bundesjugendspiele seien in ihrer traditionellen Form zu leistungsorientiert. 2001 wurden sie modernisiert.