Bislang firmiert er als „Innenminister“ der Deutschen Bundesbank, doch zum Jahreswechsel hört er auf: Rudolf Böhmler. Foto: Kraufmann

Feierabend. Rudolf Böhmler hört zum Jahresende als Vorstandsmitglied der Bundesbank auf. Bilanz einer beispiellosen Karriere eines Top-Juristen aus dem Land in Politik und Wirtschaft.

Frankfurt - Eigentlich bringt Rudolf Böhmler so schnell nichts aus der Ruhe. „Unaufgeregt, aber effektiv“, umschreiben die einen seinen Arbeitsstil. „Absolut verlässlich“, charakterisieren ihn andere. Und doch gibt es auch im Berufsleben dieses Vorzeigebeamten durchaus Momente, in denen Emotionen juristische Erfahrungen überlagern. Es ist der Spätsommer 2008. Die Witterung ist schwül, die Stimmung angespannt. Von jetzt auf gleich scheint die Welt aus den Fugen zu geraten. Immobilienblase. Finanzkrise. Bankenabstürze. Ein Institut nach dem anderen droht zu kollabieren. Von Lehmann Brothers bis HRE.

Nichts scheint mehr sicher. Außer den Goldreserven im Keller der Deutschen Bundesbank in Frankfurt. Eine Krisensitzung jagt die nächste. „Ich erinnere mich noch gut an jene Zeit. Es waren dramatische Stunden“, sagt Böhmler im Rückblick und legt die Stirn in Falten: „Die Spannung war mit Händen zu greifen. Niemand wusste, wie die Welt am nächsten Morgen aussieht.“ Als dann auch noch die Kanzlerin und ihr damaliger Finanzminister Steinbrück in Berlin vor die Presse treten und mit tapferer Miene verkünden, die Deutschen müssten sich keine Sorgen machen, ihre Spareinlagen seien sicher, halten manche im 12. Stock der Bundesbank in Frankurt am Main sinnbildlich den Atem an und schauen gebannt auf die Bildschirme. Wie jetzt wohl die Aktienkurse reagieren werden. Es geht gut.

Der Schreibtisch wird bereits aufgeräumt

Jetzt, gut sieben Jahre später, kann sich Böhmler bei der Erzählung dieser Episode relativ gelassen in seinem Bürostuhl in Frankfurt zurücklehnen – den Blick hinüber gerichtet zu den Bankentürmen der Main-Metropole. Die Szene hat sich beruhigt. Oder doch nicht? „Die Finanzwelt wird weiter in Bewegung bleiben, allein schon wegen der Entwicklungen im Euro-Raum“, prophezeit der 68-Jährige. Aber der Mann aus Schwäbisch Gmünd wird die Entwicklung künftig aus der Ferne verfolgen. Böhmler, der so genannte Innenminister der Bundesbank und verantwortlich für die Bereiche Personal, Verwaltung und Bau, Rechnungswesen, Controlling und Ausbildung, hört zum Jahresende auf. Der Schreibtisch wird bereits aufgeräumt, die letzten Aktenberge abgearbeitet.

Böhmler macht das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ersteres, weil er sich darauf freut, nicht mehr zwischen Frankfurt und seiner Heimatstadt pendeln zu müssen, mehr Zeit fürs Privatleben, seine Frau, die Enkel, Radtouren zu haben, „sich auch mal wieder unter der Woche mit Freunden spontan zum Skat verabreden zu können“. Zweiteres, weil ihm der Job nach eigener Aussage trotz aller Turbulenzen „ungemein viel Spaß gemacht hat“.

Dabei sah es damals im Sommer 2007 gar nicht danach aus, dass die Stelle in Frankfurt für ihn vergnügungssteuerpflichtig werden würde. Zur Erinnerung: Baden-Württemberg durfte seinerzeit, so sehen es die Statuten vor, einen Kandidaten auf den Vorstandsposten bei der Bundesbank entsenden. Ursprünglich hatte der damals amtierende Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) dafür seinen erfolgreichen, aber ob seiner manchmal sturen Haltung nicht immer geliebten Finanzminister Gerhard Stratthaus nominiert. Doch der winkte dankend ab. Frei nach dem Motto: Solch einen Versorgungsposten will ich auf meine alten Tage nicht.

Oettinger drohte im Konzert der Regierungschef eine Blamage. Was also tun? Die Wahl fiel auf Böhmler. Jenen Top-Juristen also, der die Landesverwaltung kannte wie andere Leute die Speisekarte ihres Lieblingsitalieners. Und wirklich: Böhmler schien wie gemacht für den Posten in Frankfurt. Er hatte das Verwaltungsgeschäft von der Pike auf gelernt. Vergessen jene Panne, als er 1977 Dezernatsleiter beim Landratsamt Göppingen werden sollte und als Jung-Jurist zu seiner eigenen Vereidigung zu spät kam, weil er bei der Geburt seines Sohnes dabei sein wollte.

Böhmler diente drei Ministerpräsidenten

In den folgenden Jahrzehnten hatte er vielmehr bewiesen, dass auf ihn Verlass ist. Als Referent im Bundesbildungsministerium, fünf Jahre als Amtschef im baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Forschung und damit oberster Kopf von 40 000 Professoren, Ärzten, Museumsleitern, und, und, und. Dann als Leiter der Abteilung „Europapolitik, internationale Angelegenheiten, Protokoll“ im Stuttgarter Staatsministerium, ab 2000 schließlich als Staatssekretär und Chef der Regierungszentrale. Böhmler diente drei Ministerpräsidenten: Lothar Späth, Erwin Teufel, Günther Oettinger.

Und erlebte alle Höhen und Tiefen dieser Stelle an der Seite eines Regierungschefs. Den Machtkampf um Teufels Nachfolge, die verunglückte Trauerrede Oettingers auf Hans Filbinger, den Streit um die badischen Kunstschätze, das 50-jährige Landesjubiläum. Mal ganz abgesehen vom täglichen Regierungswahnsinn mit Besprechungen, Telefonschaltkonferenzen, strategischen Entscheidungen – stets gepaart mit dem nötigen Fingerspitzengefühl und dem Riecher für politische Entwicklungen. Tag und Nacht, wenn es sein musste. Oder wie es Böhmler einmal selbst formuliert hat: „Amtschef in einem Staatsministerium zu sein, ist vergleichbar mit dem Job bei einer Erdbebenwarte.“

Es war Böhmlers Vorteil, dass sich zur politischen Erfahrung nicht nur wirtschaftliches Interesse mischte, sondern er über die Jahrzehnte hinweg weit über die Landesverwaltung ein blendendes Netzwerk aufgebaut hatte. In der Stuttgarter Regierungszentrale erzählen sich altgediente Beamte deshalb noch heute die Geschichte, dass das Telefonbuch der Landeshauptstadt im Vergleich zu Böhmlers Adressverzeichnis ein Handzettel ist. Und so entschied Oettinger in einer Nacht- und-Nebel-Aktion, Böhmler auf den Posten nach Frankfurt zu schicken. „Ich hatte nicht eine Zehntelsekunde damals daran gedacht, auf der Zielgeraden meiner Berufslaufbahn noch einmal eine solche Herausforderung zu bekommen“, sagt der ehemalige württembergische Jugendmeister im Diskus im Nachhinein. Aber war er nicht der Ersatzmann, eine Art Notnagel? „So habe ich mich nie gefühlt.“

Eine Aussage, die typisch ist für Böhmlers Berufsverständnis. Nie würde er zugeben, wie er damals darunter gelitten hat, was öffentlich und nicht öffentlich mit ihm passierte. Denn alle Vorschusslorbeeren, die er im Koffer aus Stuttgart nach Frankfurt mitbrachte, halfen erst einmal nichts. Es schien, als taten der damalige Bundesbank-Chef Axel Weber, aber auch manche einflussreichen Banker in Frankfurt und politischen Heckenschützen in Berlin alles dafür, um Böhmler zu diskreditieren. Die Botschaft: Was sollen wir mit einem Verwaltungsbeamten, der kann ja nicht mal bis 100 zählen. So einer passt doch nicht zu uns Währungshütern.

Er verordnete der Verwaltung umfangreiche Reformen

Doch Böhmler hielt die Anfeindungen aus, machte seinen Job, reduzierte den Personalbestand der Bundesbank deutlich auf mittlerweile unter 10 000, verordnete der Verwaltung umfangreiche Reformen, verschaffte sich Respekt durch eine Politik der offenen Tür. Und strafte damit alle seine Kritiker. Der beste Beleg für sein über die Jahre gewachsenes Ansehen: Als bisher einziges Vorstandsmitglied in der Geschichte der Bundesbank wurde sein Vertrag im Jahr 2012 um weitere fünf Jahre verlängert. „Dafür bin ich dankbar“, meint er bescheiden.

Nun aber geht er. Zwei Jahre vor Vertragsende. Der Grund? „Jetzt bin ich noch in einem Alter, um etwas Neues anzufangen.“ An diesem Samstag wird er 69. Was er ab Januar tun wird? „Es gibt mehrere Angebote aus der Wirtschaft. Ich überlege mir das jetzt in aller Ruhe.“ Böhmler ist niemand, der demnächst die Beine unter den Couchtisch streckt und sich die nachmittäglichen Kochsendungen anschaut. Er bleibt Vorstandschef am Deutsch-Amerikanischen Institut in Stuttgart, er will sich in seiner Heimatstadt Schwäbisch Gmünd weiter kulturell engagieren, er wird als Aufsichtsratsvorsitzender bei der Deutschen Rettungsflugwacht (DRF) gehandelt.

Aber zuvor wird er am 16. Januar feierlich in Frankfurt verabschiedet. Der Saal fasst nur 200 Plätze. Es könnte eng werden, wenn Bundesbank-Präsident Jens Weidmann seinen Getreuen verabschiedet. Bundesweite Prominenz aus Politik und Wirtschaft wird erwartet. Was er vermissen wird? Da sucht Böhmler eine Weile nach einer Antwort. Die Tatsache, dass er jahrelang ein perfekt funktionierendes Büro hatte, dass ihm seine Mitarbeiter Terminpläne durchgetaktet hatten, Dienstreisen gebucht wurden, er einen Fahrer hatte, das alles fällt nun weg. „Aber das werde ich verkraften“, meint er schmunzelnd.

Noch einen letzten klaren Auftrag

Zumal er, auch wenn in seinem Büro in Frankfurt alsbald mit dem sächsischen Staatskanzleichef Johannes Beermann ein neues Vorstandsmitglied Platz nimmt, noch einen klaren Auftrag verspürt. Er will sich dafür einsetzen, gerade bei jungen Menschen das Interesse an den Themen der Finanzpolitik stärker zu wecken. „Viele Menschen können doch mit Begriffen wie Leitzins und Europäischer Zentralbank gar nichts anfangen. Das muss sich ändern.“ Zum Beispiel im Schulunterricht, zum Beispiel in der beruflichen Ausbildung.

„Die Sicherheit des Euro treibt die Menschen um“, weiß Böhmler aus vielen Gesprächen, „also muss man sie auch ausreichend informieren“. Es müsse gelingen, klar zu machen, was sich hinter Begriffen wie Inflation, Deflation, Zinslast und Notenbanken verbirgt. „Nur wenn die Menschen das verstehen, können sie die weltweiten Entwicklungen auch nachvollziehen und richtige Entscheidungen in ihren Finanzangelegenheiten treffen. Da müssen die Schulen mehr tun und die Bildungspläne bundesweit entsprechend ergänzt werden.“

Da ist er wieder, der Appell eines Wirtschaftsexperten an die Regierenden im Bund wie in den Ländern, nicht nur übers Geld zu reden, sondern auch zu erklären, welch komplexes Gebilde sich hinter diesen vier Buchstaben längst verbirgt. Dass es in Baden-Württemberg Bestrebungen gibt, künftig dem Schulfach Wirtschaft mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ist aus Böhmlers Sicht deshalb der richtige Ansatz. „Wir leben in einer globalen Welt, da sollte jeder wissen, dass es sich bei einem Rettungsschirm nicht um einen Regenschirm handelt.“