In Zeitungsanzeigen wurde für den Auftritt von Buffalo Bill geworben Foto: Stadtarchiv

Buffalo Bill war eine der berühmtesten Figuren des Wilden Westens. Mit seinen opulenten Shows prägte er das Bild, das man sich in Europa von den Indianern machte. Vor 125 Jahren gastierte er mit seiner Wildwestshow für sechs Tage auf dem Cannstatter Wasen – im Anschluss an das Volksfest.

Stuttgart - Was für ein Spektakel! Die Stuttgarter waren elektrisiert: Am 14. Oktober 1890 kam Buffalo Bill mit seiner berühmten Wildwestshow in die damals knapp 140 000 Einwohner zählende Stadt. Das „Neue Tagblatt“ verkündete: „Heute früh, halb neun Uhr, hat der gewaltige Eisenbahnzug mit der Buffalo-Bill-Truppe unseren Bahnhof auf seinem Wege von Frankfurt a. M. nach Cannstatt berührt.“ 25 Waggons an der Zahl. Sie transportierten jene „200 Indianer, Cowboys, Pfadfinder, Scharfschützen und Reiter, 175 Ponies, Maultiere, wilde Pferde und Büffel“, die in Zeitungsinseraten angekündigt waren. Die „Schwäbische Tageswacht“ berichtete von „verwegenen Gestalten“. Aus der Zeitung wussten die Stuttgarter und Cannstatter auch, was sie in den kommenden Tagen auf dem Wasen zu sehen bekommen würden: „Große Gefechtsscenen, das Vorreiten wilder Pferde und Vorführung von Scenen aus dem westlichen Grenzerleben.“

Der Wilde Westen live vor der Haustür – eine Sensation. „Dies ist die Truppe, welche durch ihre großartigen Erfolge in Newyork, London (Jubiläum der Königin), Paris (Weltausstellung), Spanien, Italien, München, Wien, Dresden, Berlin, Hamburg und Frankfurt a. M. weltbekannt geworden ist“, schrieb die Presse. Und jetzt stand dieser Wildwest-Wanderzirkus in Cannstatt auf dem Wasen. Wie das ausgesehen hat, ist im „Neuen Tagblatt“ vom 15. August 1890 nachzulesen: „Der mit einer hohen Bretterwand umkleidete riesige Schauplatz liegt rechts vom Fahrweg auf dem Wasen und zieht sich von der noch vom Volksfest übrigen Schiffsbrücke zwischen dem Weg und dem Neckarufer bis an das obere Ende des Rennplatzes hin.“ Eine Arena mit Tribünen und Sitzplätzen für 8000 Besucher entstand. Daneben das Lager: „Mitten hindurch zieht sich eine Zeltreihe – die Wohnungen der Indianer. Zu beiden Seiten haben die Cowboys in verschieden gestalteten Hütten ihre Unterkunft gefunden; der Tierstaat, die Pferde, Büffel, etc., ist in Riesenzelten am oberen Ende der Arena aufgestellt.“ Buffalo Bill selbst hatte es komfortabler. Der Reporter fand heraus: „Er wird während seines Aufenthalts in Cannstatt seine Wohnung im Hotel Marquardt nehmen.“

„Eine Gestalt von seltenem Ebenmaß“

Buffalo Bill, der umjubelte Western-Star. Damals 48 Jahre alt. Eine schillernde Gestalt. Auch das „Neue Tagblatt“ war schwer beeindruckt: „Er ist unstreitig einer der vornehmsten Repräsentanten jenes abenteuerlichen, von wilder Romantik umgebenen Heldentums, das uns auf der Schulbank in den Indianerromanen begeistert. Er misst reichlich sechs Schuh (umgerechnet etwa 1,71 Meter) und seine Gestalt ist von seltenem Ebenmaß.“ Der „Dollar-Millionär“, heißt es in dem Bericht weiter , „ist ein kompletter Gentleman“.

Der Gentleman heißt mit bürgerlichem Namen William Frederick Cody (1846–1917). Er stammt aus Iowa. Bereits im Alter von 14 ritt er für den legendären Pony-Express – einmal bewältigte er eine Strecke von 520 Kilometern auf 21 Pferden nacheinander. Im amerikanischen Bürgerkrieg diente er auf der Seite der Nordstaaten. Er wurde Scout, betätigte sich als Dolmetscher bei Verhandlungen zwischen Armee und Indianern, arbeitete als Depeschenreiter und Postkutscher. Seinen Beinamen „Buffalo Bill“ erwarb er sich als Büffeljäger für die Kansas-Pacific-Bahn. Sage und schreibe 4280 Büffel will er im Auftrag der Eisenbahngesellschaft erlegt haben. Bei der Wiederaufzucht der fast ausgerotteten Herden griff man später angeblich auf die Exemplare aus seiner Show zurück.

Ihn Amerika galt er als Nationalheld

Seine Show! Cody gilt als einer der Begründer des modernen Showbusiness. 1868 machte er die Bekanntschaft des Groschenroman-Autors Ned Buntline, der seine Abenteuergeschichten zu einem gefeierten Bühnenstück ausschmückte. Bald wurde Cody zum Vermarkter seiner selbst. 1873 hatte er seine erste eigene Theatertournee. Er pendelte zwischen Spiel und blutigem Ernst. Nach dem Sieg der Sioux-Indianer unter ihrem Häuptling Sitting Bull 1876 in der Schlacht am Little Big Horn über General Custer beteiligte Cody sich an einem Feldzug gegen die Indianer und tötete den Cheyenne-Anführer Yellow Hair. Die amerikanische Presse feierte ihn als Nationalhelden. Sein Leben bot Stoff genug für eine Show, die er mit großem Gestus und reicher Ausstattung präsentierte. 1883 war Uraufführung in Omaha. 1885 wirkte Sitting Bull persönlich daran mit. Zwei Jahre später brachte Cody den Wilden Westen erstmals nach Europa. Die Menschen dort sollten eine „nie gesehene Neuheit“ erleben.

Die Europäer nahmen seine Show für Realität. Der Stuttgarter Berichterstatter notierte: „Buffalo Bill ist die Seele jener nach Europa herübergekommenen Truppe, deren Zweck ist, das Publikum mit den Sitten und Gebäuchen, mit dem Leben und Treiben der Bewohner des fernen amerikanischen Westens bekannt zu machen. Die Vorstellungen haben nicht nur künstlerischen Wert, sie sind vielmehr ein in Bildern dargestellter Unterricht über das Leben an der Grenze der Vereinigten Staaten, wo die rote und weiße Rasse miteinander im Kampfe liegen.“

Die Show muss mitreißend gewesen sein

Kein Wunder, dass der Andrang riesig war. „Schon zur Mittagszeit pilgerten ungezählte Scharen von kleineren Trupps nach dem Cannstatter Wasen, die Straßenbahnen waren schon dicht besetzt und mit den Eisenbahnzügen trafen von allen Gegenden unseres Landes Neugierige ein, welche sich zu der Antrittsvorstellung von Buffalo Bill drängelten“, schrieb das „Neue Tagblatt“. Die Show selbst muss mitreißend gewesen sein. Detailliert schildert der Berichterstatter, was sich bei strahlendem Sonnenschein in der Arena abspielte – beginnend mit dem „Gesang der Cowboys“ und der „tollen, wilden Jagd der Indianer. Die feurigen Pferde scheinen den grünen Rasen kaum zu berühren, sie fliegen förmlich und auf ihnen mit weitvorgestreckten Leibe die wilden Reiter mit den grellbemalten Gesichtern und dem flatternden Mähnenhaar. Ihr schrilles Kriegsgeschrei gleicht eher dem Bellen der Hunde als menschlichen Stimmen.“ Es folgten Darbietungen von Kunstschützen, Cowboys und Pony-Postreitern. Dazwischen Darstellungen von Indianer-Überfällen auf einen Siedlertreck und eine Postkutsche. Die Indianer waren die Angreifer. Für Buffalo Bill war die Rolle des Retters in der Not reserviert. Am Ende der zweistündigen Vorstellung schrieb der Reporter ergriffen: „Es hat sich uns hier ein Schauspiel gezeigt, so selten und eigenartig, wie es sich nicht wieder bietet. Wir können den Besuch nur wärmstens empfehlen.“ Das tat seine Wirkung. Die Leute strömten. „Der Andrang zur gestrigen zweiten Vorstellung von Buffalo Bill spottete jeder Beschreibung“, meldete das „Neue Tagblatt“. Gespielt wurde jeweils nachmittags um halb drei. Für eine Mark war man dabei. Die besten Plätze kosteten vier.

„In sechs Tagen 100 000 Mark für seine Kasse gewonnen“

Das Gastspiel übertraf die Erwartungen: „Einen solchen Erfolg, wie ihn sich der Oberst bei uns in jeder Hinsicht errungen, hat er sich wohl kaum träumen lassen“, schrieb das „Neue Tagblatt“. „In der kurzen Zeit von sechs Tagen hat er aus Stuttgart und Umgebung wenigstens 100 000 Mark für seine Kasse gewonnen.“ Dazu kam ein Auftritt seiner Cowboy-Band im Kaiserhof in der Marienstraße 10, „das erste Konzert, welches seit dem jahrelangen Bestand der Gesellschaft außer dem jeweiligen Vorstellungsraum in Europa stattfindet“, wie ein Inserat versprach.

Am 20. Oktober war Schluss. „Gleich nach der gestrigen Vorstellung wurde mit dem Abbrechen der Zelte und Verladung in den auf dem Cannstatter Güterbahnhof bereitstehenden Extrazug begonnen. Die Pferde und Büffel wurden von den Indianern und Cowboys zum Bahnhof geritten, was natürlich unter großem Hallo des Publikums geschah“, berichtete das „Neue Tagblatt“. Es ging weiter nach Straßburg, wo ein Teil der Truppe Winterquartier bezog. Cody selbst pendelte zurück in die Realität. In den Indianer-Reservaten war es zu Unruhen gekommen. Er nahm eine Vermittlerrolle ein und erwirkte, dass einige der Indianerhäuptlinge, die der Regierung die Stirn geboten hatte, zu seiner Wildwest-Truppe stießen. Denn die Show ging weiter – noch bis 1913. Insgesamt tourte Buffalo Bill’s Wild West 30 Jahre lang. 1891 gastierte er unter anderem in der Karlsruher Südstadt – seitdem werden die Einwohner dieses Stadtteils „Südstadtindianer“ genannt – zwei Brunnen mit Indianermotiven zeugen bis heute von diesem Besuch.

Auch Karl May besuchte seine Show

In einer wissenschaftlichen Arbeit über den Auftritt von Buffalo Bill im Mai 1891 in Dortmund schrieb der Verfasser Karl Markus Kreis vor einigen Jahren: „Die Akteure selbst scheinen das Spektakel nicht negativ bewertet zu haben: Nicht das Gefühl, ausgestellt, vorgeführt und insofern erniedrigt zu werden, herrscht vor, sondern eher Neugierde auf die Welt des weißen Mannes, Spaß an den Auftritten und Begegnungen mit europäischer Prominenz (darunter Kaiser Wilhelm II. und Papst Leo XIII.) und nicht zuletzt Lust an Reisen und Abenteuer – sonst wären nicht so viele Native Americans freiwillig und häufig unter abenteuerlichen Umständen durch Europa gezogen.“ Nach seinem Tod 1917 verfassten Sioux-Indianer einen Nachruf, in dem sie Cody als „guten und treuen Freund“ würdigten.

Die Einflüsse, die von seinen Shows ausgingen, waren erheblich: „Die Wirkung, die Buffalo Bill’s Wild West durch seine Europa-Tourneen zwischen 1887 und 1906 auf die Vorstellung der Europäer vom ,wirklichen‘ Leben im Wilden Westen von Indianern und Cowboys ausübte, lässt sich kaum überschätzen“, schreibt Kreis. Das betraf offenbar auch den Schriftsteller Karl May. Er wohnte 1890 in Dresden Codys Spektakel bei und sah in den „Wild-West-Schaustellungen“ die Vorlage für „Schundhefte“. Möglicherweise haben sie auch auf ihn abgefärbt: „Es fällt auf, dass in den neunziger Jahren die Gestalt des Winnetou ihre Vollendung erfährt“, schreibt Kreis. 1906 beim zweiten Deutschland-Gastspiel von Buffalo Bill war Karl May in Dresden wieder unter den Zuschauern.

„Echte Sioux-Indianer“ sind auch 2015 noch gefragt

Möglich, dass manche Bilder bis heute im Unterbewusstsein verankert sind. An dieser Stelle kommt das Stuttgarter Schuhaus Bletzinger ins Spiel. Ein Traditionsgeschäft, das zufällig in jenem Jahr öffnete, als Buffalo Bill und seine Truppe auf dem Wasen Wilder Westen spielten. Jetzt feiert das Schuhaus 125-Jahr-Jubiläum. Aus diesem Anlass trat dort am Samstag ein „echter Sioux-Indianer“ auf – vermittelt vom gleichnamigen Schuhhersteller. Die Kunden konnten sich mit ihm fotografieren lassen. Der Andrang war groß. Wenn auch nicht ganz so groß wie einst auf dem Cannstatter Wasen.