Allein beim Amtsgericht Stuttgart musste Platz für drei Kilometer Akten geschaffen werden. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wegen der Notariatsreform warten manche Erben seit neun Monaten auf die Testamentseröffnung. Und das ist nicht das einzige Problem der laut einem Amtsgerichtsdirektor „größten Reform in der Geschichte der baden-württembergischen Justiz“.

Stuttgart - Seit Wochen belegt eine junge Seniorin im Marienhospital ein Bett, die dort gar nicht hingehört. Die Behandlung ist seit der zweiten Maiwoche abgeschlossen. Die Frau ist ein Fall fürs Pflegeheim – eigentlich. „Wir haben verschiedene Pflegeeinrichtungen für sie angefragt“, berichtet Michael Almstedt, der Leiter der Pflegeüberleitung des Marienhospitals. Vergeblich. „Wir kriegen sie nicht los“, sagt er. Denn die alleinstehende Frau, die ihre Finanzen nicht mehr regeln kann, hat noch keinen gesetzlichen Betreuer, der sicherstellen könnte, dass das Heim sein Geld bekommt. Ein Kandidat für die Aufgabe stünde bereit, nur ist er noch nicht vom Amtsgericht eingesetzt. „Es verfestigt sich bei uns der Eindruck, dass die Bearbeitungszeiten noch einmal zugenommen haben, speziell am Amtsgericht Stuttgart“, so Almstedt.

Schon vor dem 1. Januar ist es für die Kliniken wegen des Mangels an Pflegeheimplätzen schwer gewesen, für pflegebedürftige Patienten einen Platz zu finden. Doch mit dem Jahreswechsel ist ein Faktor hinzugekommen: Die Notariatsreform, in deren Zuge die Amtsgerichte Aufgaben von den Notariaten übernommen haben, geht mit einem Bearbeitungsstau einher. Auch in Stuttgart ist es bei Betreuungsverfahren laut dem Stuttgarter Sozialamt zu Verzögerungen gekommen. In „wenigen Einzelfällen“ sei dies auch bei „dringenden Betreuerbestellungen“ der Fall gewesen, so Amtsleiter Stefan Spatz. Er hat aber den Eindruck, dass sich der Bearbeitungsstau wieder abbaue.

Für Krankenhäuser eine Kostenfrage

Letzteres wäre (nicht nur) für die Krankenhäuser eine gute Nachricht. Denn ohne Betreuer gebe es für Patienten ohne sich kümmernde Angehörige keine Chance auf einen Platz im Pflegeheim, berichtet auch der Geschäftsführende Ärztliche Direktor des Robert Bosch Krankenhauses, Mark Dominik Alscher. Die schwierige Vermittlung sei für sie „auch ein Kostenthema“. Ist die Akutbehandlung abgeschlossen, zahlt die Krankenkasse nicht mehr. Michael Almstedt vom Marienhospital befürchtet, dass die Kasse im Fall der jungen Seniorin nur zwei Wochen von vielleicht drei Monaten übernehmen könnte.

Hört man sich bei Betreuern um, ist die Stimmung gedrückt. „Was früher maximal zwei Monate gedauert hat, dauert nun sechs Monate“, heißt es bei einem Betreuungsverein. Ehrenamtliche seien frustriert, weil die Amtsgerichte so schlecht erreichbar seien. Hinzu komme das Finanzielle: „Wirtschaftlich merken wir das natürlich, wenn keine neuen Klienten dazu kommen“, sagt Roger Kuntschik, Geschäftsführer beim Betreuungsverein Stuttgart-Filder. Für selbstständige Berufsbetreuer sei das noch schwerer aufzufangen. Klaus Fournell vom Landesverband der Berufsbetreuer/Innen berichtet von Kollegen, die seit Monaten auf die Auszahlung ihrer Vergütungen warteten. Das sei eine Existenzbedrohung.

Kaum Beschwerden in Bad Cannstatt

Bei den Amtsgerichten bittet man um Verständnis. Das Amtsgericht Stuttgart musste wegen der Notariatsreform Platz für drei Kilometer Akten frei machen, um Testamente, Grundstückskaufverträge und notarielle Urkunden aus 2833 laufenden Betreuungs- und 1163 offenen Nachlassverfahren der aufgelösten Bezirksnotariate einzulagern. Laufend kommen neue Fälle hinzu. Der Umstrukturierungsprozess könne sich noch bis in den Frühwinter hineinziehen, meint Richter Jörg-Michael Dimmler. Betreuungsfälle mit Handlungszwang würden vorrangig behandelt. Bei Erbscheinen müsse man Geduld mitbringen. Wie viel Geduld das im Extremfall sein kann, macht eine Leserzuschrift deutlich: Ein Betroffener wartet seit Oktober 2017 darauf, dass das Testament einer Verwandten eröffnet wird – die damals zuständige Notarin hatte dies nicht getan. Seither ist nichts passiert. Das Amtsgericht Stuttgart sei „heillos überfordert“ ist der Eindruck des Lesers. Bei Gericht sollen sich die Beschwerden aber in Grenzen halten.

„Bei uns liegen die Beschwerden im einstelligen Bereich“, betont auch der Cannstatter Amtsgerichtsdirektor Bernd Ohdörfer. Sein Gericht hat 2000 Betreuungsverfahren sowie mehrere 100 Nachlassverfahren von Notariaten übernommen. Er rechnet damit, dass es bis zum Jahresende dauern wird, „bis wir von einem Normalbetrieb nach dieser größten Reform in der Geschichte der baden-württembergischen Justiz sprechen können“. Selbstverständlich priorisiere man bei der Bearbeitung. Verfahren, bei denen Fristen einzuhalten seien, wie bei einer Erbschaftsausschlagung würden vorgezogen – gleiches gelte, wenn sofortiger Handlungsbedarf bestehe, wie bei einer Eilbetreuung im Krankenhaus. Was die Vergütung der Betreuer angeht, habe man sich darauf verständigt, dass die Anträge in „angemessener Zeit“ bearbeitet werden sollen.

Die Geschäftsführerin des städtischen Eigenbetriebs Leben und Wohnen, Sabine Bergmann-Dietz, begrüßt die Notariatsreform. Sie verspricht sich langfristig eine Verbesserung der Situation. Auch vor 2018 sei es zu Verzögerungen gekommen. Den Stau der vergangenen ein, zwei Jahre hätten die Gerichte mitübernommen. Andere Träger berichten ähnliches. Bergmann-Dietz sieht ein weiteres Problem: dass sich zu wenige Menschen rechtzeitig mit den Themen Betreuung und Vorsorgevollmacht auseinandersetzen. Wenn ein Heim die Wahl habe, nehme es den Bewohner, bei dem alles geklärt sei.