Seit mehreren Jahren bekämpft Berlin die Wohnungsnot mit strengen Auflagen. Nun sollen Mieter besser vor Kündigung geschützt werden. Foto: dpa

Ein Mieter soll nach vielen Jahren seine Wohnung verlieren, weil die Geschäftsräume einer Beratungsfirma aus allen Nähten platzen. So nicht, sagt der BGH. Und macht für ähnliche Fälle klare Vorgaben.

Karlsruhe - Der Bundesgerichtshof (BGH) schützt Mieter besser vor Kündigung: Wenn der Vermieter in der Wohnung seine Büro- oder Geschäftsräume einrichten will, hat das nicht zwangsläufig Vorrang. Künftig müssen die Gerichte in jedem Einzelfall abwägen, ob die Interessen des Eigentümers wirklich so gewichtig sind, dass das die Räumung rechtfertigt. Das ergibt sich aus einem Grundsatz-Urteil, das am Mittwoch in Karlsruhe verkündet wurde. (Az. VIII ZR 45/16)

Bisher war es verbreitete Praxis, in solchen Fällen ein „berechtigtes Interesse“ an der Kündigung anzunehmen - ähnlich wie beim Eigenbedarf, also wenn der Vermieter oder dessen nahe Angehörige in einer neuen Lebenssituation selbst in die Wohnung ziehen möchten. Der Mieter hat hier in aller Regel keine großen Chancen, sich zu wehren.

Die Vorsitzende Richterin Karin Milger räumte ein, dass das zumindest teilweise auch mit früheren BGH-Entscheidungen zusammenhänge, die offensichtlich missverstanden worden seien. Einen Fall aus Berlin nahm der Senat deshalb nun zum Anlass, um die Linie neu vorzugeben.

Milger betonte, dass es im Streit um Wohnungskündigungen oft um existenzielle Belange gehe. „Deshalb wünschen wir uns, dass man sich dafür in den Instanzen die ausreichende Zeit nimmt“, sagte sie.

Strenge Auflagen sollen Wohnungsnot lindern

Grundsätzlich hat der Vermieter den BGH-Vorgaben zufolge bessere Chancen, wenn er in der Wohnung leben und arbeiten möchte. Will er die Räume ausschließlich fürs Geschäft, muss es dafür gewichtige Gründe geben, also etwa, dass er sonst nicht rentabel arbeiten kann.

Im Berliner Fall sieht der Senat solche Nachteile nicht. Dort hatte ein Mieter nach 40 Jahren ausziehen sollen, weil der Ehemann der Vermieterin in der Wohnung Akten seiner Beratungsfirma unterbringen wollte. Der BGH konnte nicht erkennen, warum das nicht auch etwas weiter entfernt möglich sein sollte. Der Mieter kann also bleiben.

Die Berliner Gerichte hatten zuvor die Kündigung für berechtigt gehalten, die Räumung aber wegen eines neuen Schutz-Gesetzes für Wohnraum untersagt. Um die Wohnungsnot in der Hauptstadt zu lindern, ist es nur noch unter strengen Auflagen erlaubt, in einer Wohnung ein Büro, eine Kanzlei oder eine Praxis einzurichten oder dort Feriengäste einzuquartieren. Wegen der grundsätzlichen Bedenken spielte dieses Zweckentfremdungsverbot vor dem BGH keine Rolle mehr.

In einem zweiten Fall aus Koblenz mahnte der Senat ebenfalls mehr Sorgfalt bei der Prüfung an. Hier sollte ein Mieter weichen, um Platz für den neuen Hausmeister zu machen. Am Ende zog dieser aber gar nicht ein - sondern eine ganz andere Familie. Der Mieter sieht sich getäuscht und will Schadenersatz für seine Umzugskosten und die neue höhere Miete. Der Vermieter sagt, der Hausmeister habe sich später umentschieden, er wolle wegen Kniebeschwerden nun doch nicht in den dritten Stock. Das Berufungsgericht fand diese Begründung plausibel.

Anders die Karlsruher Richter, die die Darstellung für „kaum nachvollziehbar“ halten. Braucht der Eigentümer die Wohnung letztlich gar nicht wie angekündigt, muss er das dem Urteil zufolge aber gut und stimmig begründen. Komme er seiner „besonderen Darlegungslast“ nicht nach, seien die Gerichte verpflichtet davon auszugehen, dass der Mieter hinters Licht geführt wurde.