Ein eigener Schreibtisch gehört in einigen Firmen zur Vergangenheit. Foto: Max Kovalenko

Dass jeder hat seinen eigenen, festen Schreibtisch hat, scheint ein veraltetes Konzept. Immer mehr Firmen setzen auf mobile Arbeitsplätze.

Dass jeder hat seinen eigenen, festen Schreibtisch hat, scheint ein veraltetes Konzept. Immer mehr Firmen setzen auf mobile Arbeitsplätze.

Wer kennt das nicht aus eigener Erfahrung: Jahrelang sitzt man mit einem Arbeitskollegen im selben Raum; man teilt den Lärm, die Luft, die Gespräche, die Lästereien über Kollegen. Nicht immer aber teilt man die Ansichten, wie ein Arbeitsplatz auszusehen hat. Da stehen einem Tassen mit eingetrocknetem Kaffeesatz gegenüber. Mit Fettflecken übersäte Blätter stapeln sich seit Monaten unberührt. In der Blumenerde der wuchernden Grünlilie kräuseln sich verdorrte Stängel. Eine vom vergangenen Advent übrig gebliebene Mandarine trotzt dem frühlingshaften Wetter mit betonharter Schale.

„Wer sein Leben in Ordnung bringen will, muss erst einmal sein Haus aufräumen“, besagt eine chinesische Weisheit. Und tatsächlich – so bestätigen es auch Psychologen und Personaltrainer – besteht ein Zusammenhang zwischen der „inneren Unordnung“ und der Unlust, das eigene Zuhause oder den Arbeitsplatz regelmäßig von unnötigem Ballast zu befreien. „Wenn man etwa negative Kontakte zu anderen Menschen nicht abbricht, geht das auf das Konto des inneren Schweinehundes, der einen vor unangenehmen Gefühlen bewahren möchte“, schreibt der Münchner Personalcoach Marco von Münchhausen in seinem Buch „Entrümpeln mit dem inneren Schweinehund“.

Ordnung gibt Energie

Doch für die meisten Menschen ist das Thema Aufräumen negativ behaftet – zu viel Zeit kostet es, sich durch die Papierberge zu kämpfen, nur um sich letztlich doch im Detail zu verlieren und kein Ende zu sehen. Das Denken „Ich würde ja gern aufräumen, weiß aber nicht, wie“ gilt nach Münchhausens Ansicht für viele Menschen.

Ordnung schafft nicht nur den für eine volle Arbeitsleistung nötigen Überblick, sondern auch zusätzliche Energie und eine höhere Motivation. Die Feng-Shui-Expertin Rita Pohle aus Sulzfeld am Main berät Firmen und Mitarbeiter bezüglich der Arbeitsplatzeinrichtung und -gestaltung und versucht, ihren Klienten klarzumachen, dass sich Erfolgserlebnisse nur an einem aufgeräumten Arbeitsplatz einstellen. „Wenn ich ständig etwas suche, dann werde ich doch nie fertig mit meiner Arbeit“, sagt sie.

Zudem sei es nicht gut für die Psyche und äußerst demotivierend, wenn man schon morgens ins Chaos komme und von vorneherein kein „Land“ sehe. „Wenn jemand nicht einmal mehr die Farbe seiner Schreibtischunterlage kennt, dann wird es sehr kritisch.“ Sie rät deshalb, den ganzen Tisch erst einmal komplett leer zu räumen, ihn zu putzen und dann einzelne Stapel – sortiert nach Prioritäten und Themen – zu machen. Rita Pohle ist davon überzeugt, dass ein Schreibtisch-Chaot wegen der ständigen Suche nach Unterlagen pro Tag mindestens eine halbe Stunde an reiner Arbeitszeit verliert.

Was macht man mit leeren Arbeitsplätzen?

Doch vor dem Ärger über den Büronachbarn oder das Aufräumen des Schreibtisches steht das Gebäude selbst. Denn das, so sagte die in Berlin lebende und aus Stuttgart stammende Architektin Regine Leibinger kürzlich in einem Interview, sei schließlich das Wichtigste. „Nachhaltigkeit muss für vieles herhalten. Doch mit dem Annehmen eines Gebäudes, mit dem In-es-hineinwachsen, es gern und lang liebevoll nutzen zu wollen, weil es schön ist, entsteht eine emotionale Verbindung. Und ohne die gibt es keine Nachhaltigkeit.“

Es ist gerade diese Nachhaltigkeit, die auch bei Drees&Sommer eine wichtige Rolle spielt. Das internationale Unternehmen mit einem Standort in Stuttgart berät öffentliche und private Bauherren sowie Investoren bei Fragen rund um deren Immobilie, somit auch zur Büroeinrichtung. Bei Drees&Sommer selbst wird seit etwa einem Jahr nach dem Desk-Sharing-Prinzip (auf Deutsch: Teilen des Arbeitsplatzes) gearbeitet.

„Wir haben eine Analyse gemacht und festgestellt, dass wir jeden Tag nur einen Bruchteil unserer tatsächlich vorhandenen Arbeitsplatzkapazität nutzen. Schließlich verbringen viele unserer Mitarbeiter etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit beim Kunden und sitzen gar nicht an ihren eigentlichen Plätzen“, sagt Thomas Jaißle, Partner bei Drees&Sommer in Stuttgart-Vaihingen. Genau an diesem Punkt stellte sich die Frage: Was macht man mit leeren Arbeitsplätzen, wenn die Leute nicht da sind? Und wie kann man das Gebäude am effektivsten nutzen?

Am Schreibtisch gilt: Essen verboten!

Anfangs seien nicht alle Mitarbeiter begeistert gewesen. Die Vorstellung, den eigenen Schreibtisch jeden Abend penibel abräumen und alles in einem Rollcontainer verstauen zu müssen, habe nicht bei allen Euphorie ausgelöst, gibt Jaißle zu. Doch gerade für die jungen Kollegen, die mit Tablet, Smartphone und Laptop aufgewachsen sind, sei diese Art der Mobilität keine große Umstellung gewesen. „Alle anderen haben wir einfach überzeugt und mitgerissen.“

Was aus einem Platzproblem heraus geboren wurde, geht nun aber auch in ganz anderer Hinsicht auf. „Die Leute arbeiten effektiver und sind motivierter, außerdem sind alle flexibler und können sich jeden Tag neu mit genau dem Team zusammen in ein Büro setzen, mit dem sie gerade an einem Projekt arbeiten“, sagt Jaißle. Und: Wasser darf am Arbeitsplatz zwar getrunken werden, nicht aber Kaffee oder Tee. Damit soll der Gang an die Kaffeemaschine forciert werden, denn auch hier treffen Mitarbeiter aufeinander und kommen eher ins Gespräch als am eigenen Arbeitsplatz. „Wir haben dadurch einen intensiveren Austausch untereinander.“

Der stetige Wechsel bringt Schwung ins Büro

Allerdings funktioniert dieses Prinzip nicht bei allen Firmen. So könne man bei der Beratung von Unternehmen nicht „mit der Brechstange“ vorgehen. „Wenn ein Unternehmen verkrustet denkt und es als normal gilt, von einem langen Büroflur rechts und links die ganzen Räume abzugehen, dann ist es in der Regel schwer, diese Menschen vom offenen und mobilen Konzept zu überzeugen“, sagt Jaißle. Zudem dürften die Mitarbeiter nicht überfordert und in ein Konzept gezwungen werden, das gar nicht zu ihrer Arbeitsweise passe.

Bei Trumpf in Ditzingen ist man allerdings vom Konzept überzeugt, schon seit Jahren. „Auch bei uns gibt es in vielen Bereichen mobile Arbeitsplätze mit Containern“, sagt Jörg Roscher, Abteilungsleiter im Zentralbereich Organisationsentwicklung. Wo Menschen häufig in verschiedenen Teams zusammenarbeiteten, sei eine solche Mobilität durchaus sinnvoll. Außerdem bringe ein steter Wechsel Schwung in die ganze Sache. „Ist doch nicht schlecht, wenn man öfter mal die Perspektive wechselt und häufig neue Büronachbarn hat“, so Roscher.

Auch auf eine gewisse Ordentlichkeit der Mitarbeiter wird in Ditzingen Wert gelegt. „Chaos am Arbeitsplatz gibt es bei uns nicht.“ Immerhin sei eine gepflegte Atmosphäre nicht nur wichtig für die dort arbeitenden Menschen, sie sage auch viel über das Unternehmen aus.

Das Unternehmen muss für gesunde Atmosphäre sorgen

Auch bei der Stuttgarter Werbeagentur Milla &Partner steht die gepflegte Ordentlichkeit ganz oben auf der Agenda. „Wer Müll oder haufenweise alte Kaffeetassen auf seinem Schreibtisch sammelt, der missachtet seine eigene Arbeit“, findet Agentur-Chef Johannes Milla. Wer eins mit sich und der Arbeit sei, der brauche keinen Müll auf dem Platz. Zudem gebiete es der Respekt gegenüber den Kollegen, dass der Schreibtisch aufgeräumt sei. Im Umkehrschluss muss sich ein Unternehmen nach Millas Ansicht mehr um das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter am Arbeitsplatz kümmern. Dazu gehören unter anderem eine gute Raumakustik, gute Lichtverhältnisse, ergonomische Büromöbel.

Bei Milla im szenig-trendigen Heusteigviertel macht man das, indem man die Arbeitsplätze häufiger auch mal auf die Dachterrasse oder in eines der zahlreichen Cafés um die Ecke verlegt. „Weiche Werte und Orte der Begegnung“ nennt man das dann. Gerade solche Begegnungen in einem anderen Rahmen findet der PR-Profi wichtig für seine Mitarbeiter. Wovon Milla allerdings gar nichts hält, sind sterile Schreibtische ohne jede persönliche Note. „Es ist wichtig, dass die Menschen auch am Arbeitsplatz ihre Individualität leben können. Der Schreibtisch ist doch kein Kartäuserkloster oder vereinheitlichter Galeerenplatz.“ Die Frage, ob unbedingt Plastik-Figürchen auf dem PC seiner Angestellten thronen müssen, habe sich ihm aber glücklicherweise noch nie gestellt. Auch habe er noch nie einen Mitarbeiter ermahnen müssen, dass dieser seine leeren Tassen wegräumen solle, sagt Johannes Milla. „Schlimme Exzesse oder Müll gibt es bei uns zum Glück nicht, unsere Mitarbeiter haben ein ausgeprägtes Bewusstsein für Ästhetik.“

Regelmäßig schaut eine Ergonomie-Expertin vorbei

Damit auch die Wirbelsäule seiner Mitarbeiter nichts von ihrer Ästhetik einbüßt, spricht einmal pro Jahr eine Expertin für Arbeitsplatz-Ergonomie in der Agentur vor. Und dann bringt sie den Mitarbeitern bei, wie man richtig auf den Bildschirm schaut, gut und gesund sitzt und die Büromöbel auf den persönlichen Bedarf einstellt. Denn im Haus in der Heusteigstraße soll keinesfalls das passieren, was vor nicht allzu langer Zeit eine Studie erschreckenderweise zutage gefördert hat: „90 Prozent aller Arbeitnehmer wissen gar nicht, dass und wie man den Bürostuhl richtig einstellt“, sagt Milla und schüttelt den Kopf.

Täglich wechselnde, mobile Arbeitsplätze mit Rollcontainern kann er sich für seine Mitarbeiter allerdings nicht vorstellen. „Jeder Mensch braucht einen Ort und einen Ankerplatz, an dem er seine gedankliche Stabilität findet. Dazu gehört meiner Ansicht nach auch der eigene Schreibtisch – und damit die Möglichkeit zu Konzentration und Ruhe am Arbeitsplatz.“