Gefördert von der Bürgerstiftung Ostfildern: kulturelle Bildung in der Städtischen Galerie. Hier ein Blick in die Ausstellung „Tutti frutti“ im vergangenen Jahr. Foto: Ines Rudel

Sie unterstützen soziale, ökologische und kulturelle Projekte. Sie öffnen den Beutel, wo die öffentlichen Hand verschlossen bleibt. Viele Kommunen im Kreis Esslingen haben eine Bürgerstiftung, aber nicht alle. Zu letzteren zählt Neuhausen.

In Roland Götz’ Worten schwingt Enttäuschung mit: „An Zustimmung fehlt es mir nicht, aber an Mitstreitern“, sagt der Neuhausener Bürger, der gern stiften gehen würde. Eine Bürgerstiftung in seiner Heimatgemeinde schwebt ihm vor. Im Visier hat er wohlhabende Mitbürger, von denen es einige gebe, während die Gemeinde mit schwindenden Finanzressourcen zu kämpfen hat. Vielleicht kappen die knappen Kassen bald die Mittel für „die kleinen, schönen, menschlichen Dinge, zum Beispiel unser Bädle“, fürchtet Götz. Trotzdem steht er mit seiner Idee allein da.

 

Dabei ist Neuhausen umzingelt von Bürgerstiftungen, erfreut sich doch Baden-Württemberg der bundesweit größten Bürgerstiftungsdichte. Ostfildern hat eine, Filderstadt ebenfalls, Denkendorf auch. Die dortigen Verwaltungschefs sind voll des Lobes über die von ihnen formell unabhängigen Stiftungen. Was den Bürgermeister als Beiratsvorsitzenden oder den Oberbürgermeister als privat mitwirkenden Netzwerker nicht ausschließt. Im Ehrenamt und nicht kraft Amtes engagieren sich Denkendorfs Ralf Barth und Filderstadts Christoph Traub in den örtlichen Stiftungen – „in meinen Möglichkeiten als Oberbürgermeister, aber nicht als Oberbürgermeister“, formuliert Traub. Versteht sich, dass die Stadt- und Gemeindeoberhäupter das Modell allen bürgerstiftungslosen Kommunen ans Herz legen – „uneingeschränkt“, tönt es unisono.

„Bürgerstiftungen stiften Sinn“

Denn nebst ihrer ureigenen Aufgabe, der finanziellen Förderung von ökologischen, kulturellen und sozialen Projekten, leisten die Bürgerstiftungen etwas Besonderes und Essenzielles. „Sie stiften Sinn“, sagt Traub. „Sie sind Säulen des Zusammenhalts, der Solidarität und der Demokratie“ – weil sie als bürgerschaftliche Initiativen Vermögenswerte und Spenden von Bürgern einwerben, um die Erträge gemeinnützigen Zwecken zuzuführen.

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Beim Sponsoring selbst fließen weder exorbitante Beträge noch eine Dauerförderung. Beides geben die Erträge aus dem Stiftungskapital und die eingehenden Spenden in aller Regel nicht her. Beides bleibt Aufgabe der Kommune. In Denkendorf etwa bewegt sich das Fördervolumen laut Bürgermeister Barth zwischen 500 und 2000 Euro pro Projekt. Mehr ist nicht drin, aber die Stiftung könne damit Förderlücken schließen, die von anderer Seite nicht abgedeckt seien. Und: „Nahezu alle Förderanträge wurden positiv beschieden“, erklärt Stiftungsvorsitzende Marlies Kellmayer.

Größere Brötchen backt man in Ostfildern, wo die Bürgerstiftung 15 000 Euro locker macht für einen Pakt mit den örtlichen Schulen für umfassende Präventionsangebote gegen Gewalt, Sucht, Intoleranz und Hass. Ein weiteres Großprojekt, sagt Andrea Koch-Widmann vom Vorstand der Stiftung, ist der Bau des Kühnle-Hauses mit 16 barrierefreien Mietwohnungen, ein „Beitrag zum guten Älterwerden mitten in Nellingen“. Die Bürgerstiftung fördert aber auch die kulturelle Bildung in der Städtischen Galerie, der Musikschule und der Stadtbücherei, informiert Stadtsprecherin Tanja Eisbrenner. „Beispielsweise ermöglich sie Grundschulkindern den Zugang zu abstrakter Kunst.“

Die Bürgerstiftung Filderstadt hat Florian Schweizer für sein ehrenamtliches Engagement ihre Auszeichnung „Stiller Held“ verliehen. Foto: Caroline/ Holowiecki

In Denkendorf ist man stolz auf das Entenrennen auf der Körsch, dessen Erlös in Projekte fließt, zum Beispiel die Aktion „Familien in Not“. In Filderstadt zeichnet man jährlich einen „Stillen Helden“ oder eine „Stille Heldin“ für den Einsatz fürs Gemeinwohl aus. Als besondere Erfolge verbucht der Stiftungsvorsitzende Wolfgang Herb geförderte Kinder- und Jugendprojekte wie Schulsozialarbeit, Schulgärten oder Ausbildungsprogramme, Naturschutz und – als Beispiel – die Finanzierung einer Küchenzeile in der Geflüchtetenunterkunft in Sielmingen.

Indes stößt die Stiftungsarbeit nicht nur wegen der begrenzten finanziellen Möglichkeiten an Grenzen. Sie können und wollen ihrem Selbstverständnis nach keine primär kommunalen oder staatlichen Aufgaben, erst recht keine Pflichtaufgaben übernehmen. Auch sind sie, wie Herb formuliert, „keine Sozialämter oder Wohlfahrtsverbände“. Und nicht zuletzt bleibt manches hinter den Erwartungen zurück, zum Beispiel die Bereitschaft der Mitbürger zum bürgerschaftlichen Engagement. Das Bewusstsein dafür „zu fördern und zu fordern“, so Herb, bleibe eine „fortwährende Aufgabe“, die „Gewinnung neuer Ehrenamtlicher und Zustifter“ sei oft mühselig. Koch-Widmann ergänzt: „Wir sind bei der jungen Generation nicht ausreichend verankert.“

Bürgermeister sieht keinen dringlichen Bedarf

Roland Götz in Neuhausen kann ein Lied davon singen. Auch von Gemeinderat und Verwaltung fühlt er sich in seinen Bürgerstiftungsplänen nicht so richtig bestärkt. Immerhin zeigt sich Bürgermeister Ingo Hacker auf Anfrage unserer Zeitung offen: „Eine Bürgerstiftung würde die Angebote von Bund, Land und Kommune ergänzen.“ Dringlichen Bedarf sieht er allerdings nicht: In Neuhausen seien bereits der Verein „Zukunft für Kinder“, der auf „enorme Spendenbereitschaft“ treffe, und die gemeinnützige HEM-Schwerger-Stiftung aktiv.

Was ist eine Bürgerstiftung?

Definition
 Eine rechtliche Definition von Bürgerstiftungen gibt es nicht. Gleichwohl haben sich inzwischen gemeinsame Merkmale herausgebildet, die das Selbstverständnis der meisten Bürgerstiftungen spiegeln. Dazu zählt die Unabhängigkeit von Staat und Kommune, ebenso die wirtschaftliche, politische und konfessionelle Unabhängigkeit. Bürgerstiftungen können auf die Initiative eines oder einer Einzelnen zurückgehen, aber sie werden von mehreren Privatpersonen und nicht von Einzelpersonen oder Unternehmen getragen. Sie sind dem Gedanken der Partizipation verpflichtet, fördern bürgerschaftliche Projekte und Hilfe zur Selbsthilfe. Dazu bauen sie ein Stiftungskapital aus Zustiftungen auf und sammeln Spenden.

Geschichte
 Bürgerstiftungen sind relativ neu. Die erste in Deutschland wurde 1996 in Gütersloh gegründet. Inzwischen gibt es laut der Stiftung Aktive Bürgerschaft bundesweit über 400 Bürgerstiftungen mit einem Stiftungskapital von über 550 Millionen Euro. Von 1996 bis Ende 2022 wurden gemeinnützige Projekte mit insgesamt 266 Millionen Euro gefördert. Die meisten Bürgerstiftungen (118) gibt es in Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Baden-Württemberg (110). Umgerechnet auf die Bevölkerung liegt der Südwesten vorn mit einer Stiftung pro 103 000 Einwohnern.