Stuttgart - Die meisten Deutschen halten das Wahlrecht nicht mehr für ausreichend, um sich politisch zu artikulieren, sondern verlangen die Möglichkeit, im Einzelfall mitzureden. Dies ergab eine Umfrage, die die Bertelsmann-Stiftung unter 2700 Bürgern in 27 Gemeinden gemacht hat – darunter Filderstadt, Konstanz, Freiburg, Heidelberg und Schwäbisch Gmünd.
Stuttgart - Die meisten Deutschen halten das Wahlrecht nicht mehr für ausreichend, um sich politisch zu artikulieren, sondern verlangen die Möglichkeit, im Einzelfall mitzureden. Dies ergab eine Umfrage, die die Bertelsmann-Stiftung unter 2700 Bürgern in 27 Gemeinden gemacht hat – darunter Filderstadt, Konstanz, Freiburg, Heidelberg und Schwäbisch Gmünd.
76 Prozent sprechen sich demnach für ein solches Mitspracherecht aus, ohne andererseits die Stimmabgabe bei Wahlen als wichtigste Art der Einflussnahme in Frage zu stellen. „Die verschiedenen Formen der Beteiligung konkurrieren nicht miteinander, sondern ergänzen sich“, schreiben die Autoren der Studie „Partizipation im Wandel“. Nur noch eine verschwindend kleine Minderheit stehe direktdemokratischen Bürgerentscheiden ablehnend gegenüber.
Selbst 70 Prozent der Kommunalpolitiker befürworteten Bürgerentscheide, schreiben die Autoren und beziehen sich auf die Befragung von Bürgermeistern und Ratsmitgliedern. Allerdings halten die Mandatsträger die repräsentative Demokratie offenbar nach wie vor für wichtiger. Die Bürger seien ihrer politischen Elite um einige Schritte voraus, heißt es in der Studie.
Diese war von der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Gisela Erler (Grüne), angeregt worden. Fachlich begleitet wurde sie unter anderem von den Politikwissenschaftlern Oscar Gabriel (Stuttgart) und Ulrich Eith (Freiburg). Die Studie, an deren Kosten sich das Land laut Staatsministerium mit rund 10 000 Euro beteiligt hat, nimmt für sich in Anspruch, repräsentativ für ganz Deutschland zu sein.
Fast ein Drittel aller Bürger hat sich nach eigenen Angaben bereits an einem Bürgerbegehren oder Bürgerentscheid beteiligt, lautet ein weiteres Ergebnis. Vier von zehn Befragten, die bisher an keinem Bürgerentscheid teilgenommen haben, bekunden jedoch ihre Bereitschaft, dies künftig zu tun: „Die Bürger wünschen sich deutlich mehr direkte Demokratie, als diese von den politischen Eliten als Angebot in ihren Kommunen wahrgenommen wird.“
Das Interesse an reinen Diskussionsrunden hält sich hingegen in Grenzen. Lediglich 19 Prozent gaben an, sich schon einmal in einem dialogorientierten Verfahren engagiert zu haben. Auf diesem Sektor herrsche ein „leichter Angebotsüberhang“, heißt es. Skeptisch zeigen sich die Bürger auch gegenüber Online-Beteiligungsverfahren.
Für den oft formulierten Einwand, Bürgerbeteiligung diene lediglich den Interessen kleiner Gruppen, fanden die Demoskopen keinen Beleg. Im Gegenteil: „Fast acht von zehn Bürgern (79%) meinen, Bürgerbeteiligung generiere neue Ideen, und auch die Entscheider sehen das ganz überwiegend so.“ In den Augen der Menschen erhöhe sich also die Gemeinwohlorientierung politischer Entscheidungen.
Eine gut gemachte Bürgerbeteiligung erhöhe also die Zufriedenheit mit der Demokratie, lautet eine weitere Erkenntnis. Eine schlecht gemachte bewirke allerdings das Gegenteil: „Sie zerstört Vertrauen und schafft Unzufriedenheit.“ Das sei etwa dann der Fall, wenn Beteiligungsverfahren als Show oder Alibiveranstaltung empfunden würden. Die Bürger wollten immer auch mitentscheiden über das Ob, und nicht lediglich über das Wie.